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Der blieb, so höre ich, am Leben. Ausgelöscht aber wurde im Nachbarhaus die gesamte Familie von Dr. Akkram: die Frau, zwei Söhne, zwei Töchter, Geschwister und Vater - insgesamt elf Personen. Wie kann man da weiterleben? Erzbischof Gabriel Kassab zeigt uns einen zehn Zentimeter großen Granat splitter, der am 2. April durch sein Fenster flog. Das Dach seines Hauses wurde von Tausenden kleinen Splittern durchsiebt. Er blieb unverletzt, aber er sieht schlecht aus, hustet seit zwei Monaten. Er erzählt eine fast unglaubliche Geschichte, die mir aber später von anderen bestätigt wird: Die Engländer hätten von Lastwagen Hilfspakete in die Menschenmenge geworfen, allerdings nur so lange, als Journalisten filmten; dann wurde der Wagen verschlossen. Ein Priester - und, nachdem dieser erkrankt war, der Bischof selber - fuhr mit einem geborgten Kleinbus durch die Stadt, um Lebensmittel zu verteilen. Nun aber gibt es nichts mehr zum Verteilen, auf die Armen wartet die Hungersnot. Die Angst der Christen vor der Zukunft ist auch die Angst vor einer islamischen Regierung. Schon jetzt werden die Frauen auf der Straße angesprochen und aufgefordert, ein Kopftuch und lange Ärmel zu tragen. Bis vor wenigen Jahren trugen auch die muslimischen Frauen kein Kopftuch. Am 11. März hatte sich meine Freundin Dr. Jenan von mir mit den Worten verabschiedet: "Ist das nun das letzte Mal, daß wir uns sehen?" Dem Himmel sei Dank, jetzt gibt es ein Wiedersehen für uns in der Eingangshalle des Mutter-Kind-Spitals Ibn Ghazwan in Basra. Aus Jenan sprudelt es förmlich heraus. "Wir halten zusammen und haben gemeinsam unser Spital geschützt!" Einige der Ärzte haben seit Kriegsbeginn das Spital nicht mehr verlassen; als am Tage des Einzugs der Briten die Plünderungen begannen, haben sie am Eingang des Spitals Stellung bezogen - mit der Waffe in der Hand. Dann suchten sie die Briten in deren Hauptquartier im Hotel Shatt-el-Arab auf und baten um Schutz für das Spital, um Schutz für 100 schwerkranke Kinder. Sie erhielten die gleiche Antwort, die die Leute in Bagdad von den Amerikanern erhalten haben: "Wir sind zum Kämpfen da, nicht zum Beschützen. Das ist nicht unsere Aufgabe!" Am Tag unserer Ankunft wird das Auto des Spitals, das zum Medikamentendepot unterwegs war, überfallen. Die Räuber zerren die beiden Insassen aus dem Auto und fahren mit dem Wagen davon. Das Medikamentendepot wurde bereits zwei Wochen zuvor nahezu vollständig geplündert, ebenso das Lebensmittelvorratslager. Es mangelt an vielen Medikamenten. Ich erhalte eine lange Wunschliste. 90 Prozent der Kinder, die im Krankenhaus aufgenommen sind, leiden an Durchfall. Hier sind nur die sehr schweren Fälle, die anderen werden ambulant betreut. Es gibt Cholera und Typhus in Basra. Die Wasserversorgung funktioniert nicht. Die Leute bohren Wasserrohre an, um an Wasser zu gelangen. Und jeden Tag werden Kupferrohre entwendet, die dann auf dem Markt für ein paar Dinar zu kaufen sind. Die Briten lehnen den Schutz der 15 Pumpstationen ab. Helfer des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz flicken jeden Tag an den Leitungen, ersetzen Rohre, und am nächsten Tag beginnen sie ihre Arbeit von vorn. Ein IKRK-Mann äußert Verständnis für die Armen, die sich ein paar Dinar mit den Kupferrohren verdienen möchten. Für ihn liegt hier ein klarer Bruch der Genfer Konvention vor: "Die Briten sind verantwortlich für diese Situation!" Die Temperaturen steigen, eine Epidemie scheint unausweichlich zu sein. Hunderte, ja Tausende Kleinkinder werden in diesem Sommer an Durchfall und Austrocknung sterben - weil die Besatzungsmacht kein Interesse an der irakischen Bevölkerung zeigt. Auch diese Kinder werden Kriegsopfer sein, aber ihr Name und ihre Anzahl wird in keiner Kriegsopferstatistik zu finden sein. Parolen an Häuserwänden fordern Amerikaner und Briten auf: "Verlaßt unser Land!" Die fünfjährige Sarah besucht mich gemeinsam mit ihrem Vater in dem winzigen Hotel, dem einzigen, das derzeit in Basra geöffnet hat (das große Sheraton-Hotel ist nur mehr eine Brandruine; 300 Menschen haben dort gearbeitet, nun sind sie arbeitslos). Er entschuldigt sich für sein spätes Kommen: Einer seiner Freunde hat heute seine neunjährige Tochter verloren, sie war auf eine Mine getreten... Egal, wen man hier trifft, egal, mit wem man spricht: Überall verbirgt sich dahinter eine Tragödie. Sarah konnte nicht behandelt werden mit den Medikamenten, die ich mitgebracht hatte. Diese Medikamente erfordern eine genaue Kontrolle gewisser Blutwerte, diese Kontrollen sind derzeit hier nicht durchführbar, und so blieb das Mädchen unbehandelt. Ein fünfjähriges Mädchen, das aufgrund seiner chronischen Schmerzen das Lachen nicht gelernt hat, und ein unglücklicher, unendlich trauriger Vater sitzen mir gegenüber. Ich kann ihm nichts versprechen, aber ich muß versuchen, das Kind nach Österreich zur Behandlung zu bringen. Sarah kann nicht gehen, sie muß von ihrem Vater getragen werden, einen Rollstuhl hat sie nicht. Die beiden verabschieden sich rasch, es ist spät, und die nächtlichen Straßen sind gefährlich. Panzer rattern vorbei. Während dieser Reise erschreckt mich der Anblick jedes meiner Freude, die ich wiedersehe. Die furchtbaren Erlebnisse der letzten Wochen stehen unübersehbar in ihren Gesichtern geschrieben, und sie befinden sich noch immer in einem Schockzustand. Es gibt keine Zukunftsvision, die sie aus dem Schock befreien könnte. Ein Land voller potentieller Flüchtlinge, aber kein Staat dieser Erde will sie haben. Für 1000 von ihnen endete die Flucht im Niemandsland, und die Europäische Union hat sofort mit Beendigung der Bombardements das Asylrecht für Iraker aufgehoben. Die reichen Länder des Westens machen ihre Grenzen immer dichter gegenüber den Verzweifelten und Hoffnungslosen dieser Erde. Der Krieg ist nicht vorbei für diese Menschen, die Gefährdung größer als noch vor wenigen Wochen - nun aber gelten sie als "befreit", und auf weitere Hilfe brauchen sie nicht zu warten. Was bringt die Zukunft diesen Menschen? Kampf gegen die Besatzungsmacht? Bürgerkrieg? Es herrscht Ratlosigkeit. Das Völkerrecht ist seit dem 20. März 2003 außer Kraft gesetzt. Der Krieg war völkerrechtswidrig, und das Verhalten der Besatzungsmächte ist völkerrechtswidrig. Nach der Genfer Konvention sind sie verantwortlich für die Aufrechterhaltung der Ordnung, für Gesetz und Recht, für den Schutz des Einzelnen und der Gemeinschaft. Wo bleibt diese Verantwortung? Die stereotype Antwort "Das ist nicht unsere Aufgabe" stimmt einfach nicht. Es ist ihre Aufgabe! Die Nachrichten über den Irak sind spärlich geworden. Der Journalistentroß ist abgezogen. Zurück blieb das Elend, das jeder Krieg mit sich bringt, das nicht spektakulär ist und das daher kaum jemanden mehr interessiert. Wie viele Menschen sind Opfer dieses Krieges geworden? Die wahre Zahl werden wir nie erfahren. Und auch die Zahl derer, die im Gefolge dieses Krieges sterben, wird uns unbekannt bleiben. Jeder Einzelne der 23 Millionen Iraker leidet an den Kriegsfolgen: Arbeitslosigkeit, Hunger, Krankheiten, Zusammenbruch der medizinischen Versorgung, Anarchie. Und ein ganzes Volk in Hoffnungslosigkeit. Als ich aus Amman kommend in Wien das Flugzeug verlassen will, stehen zwei Polizisten bereits an der Flugzeugtüre und kontrollieren die Pässe. Damit soll verhindert werden, daß ein irakischer Flüchtling österreichischen Boden betritt, ja auch nur den Boden des Flughafens. Ein Flüchtling würde sofort ins Flugzeuginnere zurückgeschickt werden. Ich komme aus einem Land voller potentieller Flüchtlinge, von denen jeder Einzelne Grund genug hat wegzugehen. Nach den Erlebnissen der letzten Wochen kann ich jeden verstehen, der das will. Und ich schäme mich, Besitzerin eines EU-Passes zu sein. Von Eva-Maria Hobiger erschienen in Ossietzky zuvor "Sterbende Kinder in Basra" (23/02) und "Irak versinkt in Anarchie" (11/03).
Erschienen in Ossietzky 12/2003 |
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