Zivilisierungsopfer

von Peter Söhren

Soldaten der Bundeswehr sind in Afghanistan zu Tode gekommen. Daß sie sich dort aufgehalten hätten, um die von Minister Struck propagierte "Verteidigung der Bundesrepublik am Hindukusch" zu betreiben, ist allzu unglaubwürdig. Also wird ihrer unter der Parole gedacht, auch Deutschland müsse sich für den Aufbau der "Zivilgesellschaft in Afghanistan" einsetzen - nachdem die USA den Weg dorthin durch ihre Militärschläge freigelegt hätten. Aber was ist zivil an den Verhältnissen, die das Pentagon sich zurechtgebombt hat? In Kabul spielt tags über eine zwielichtige Gestalt von Gnaden des Weißen Hauses den Staatspräsidenten, nachts herrschen die lokalen Bandenführer. In den anderen afghanischen Territorien liegt die Macht bei altbekannten und blutbesudelten Warlords aus den Zeiten des Bürgerkrieges. Korruption und Kriminalität sind im politischen Alltagsgeschäft gang und gäbe. Schließlich lassen sich Privatarmeen ja nicht aus einem Gouverneurs- oder Ministergehalt bezahlen. Konkurrierend dazu gewinnen offenbar die Taliban wieder an Boden. Und sämtliche Fraktionen in diesem derzeitigen Kampf um Machtanteile in Afghanistan genossen einst die Förderung US-amerikanischer Geheimdienste und Waffenhändler. Erreicht ist durch die Operation "Enduring freedom" zweierlei: Erstens steht die Drogenbranche wieder, anders als vor dem Krieg, in voller Blüte. Zweitens verfügt die Regierung der USA nun über solide Militärbasen in Zentralasien. Daß eine Politik, die solches bewirkt, auch einer gewissen Abfederung bedarf, liegt auf der Hand. Dem dient die "Internationale Schutztruppe", die ISAF. Opfer auf der eigenen Seite sind dabei einkalkuliert. Dienstleister arbeiten eben riskant.

Erschienen in Ossietzky 12/2003