Jesus, auf die Reihe gebracht

von Uwe Reinecke

Ihr sollt ein Segen sein" - der Befehlston des Kirchentagsmottos kam nicht von ungefähr. Wohl kein vorheriger Kirchen- oder Katholikentag war stärker vom Militär geprägt als der Ökumenische Kirchentag 2003 in Berlin. Da die Bundeswehr uns schon in Bosnien, Kenia und am Hindukusch verteidigt, will sie auch an der Heimatfront kämpfen. Die Kirchentagsleitung überließ ihr das Feld kampflos. Die Bundeswehr erkaufte sich das Stillschweigen der Kirchen zu den neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien, die den grenzenlosen Einsatz deutscher SoldatInnen zur Regel machen, mit einem großzügigen Sponsoring für den Kirchentag - der sich zu Dank verpflichtet fühlte.

Das Kirchentagsmotto hätte besser so gelautet: "Wess' Brot ich ess, dess' Lied ich sing'." Folgerichtig verteilte die Militärseelsorge auch das "Evangelische Gesang- und Gebetbuch für Soldaten" für "christliche Anlässe". Ob diese vor dem Bombenwerfen oder erst bei der Zigarette danach gegeben sind, wurde nicht mitgeteilt.

Einige Militärpfarrer traten in Kampfuniform auf. Die Dienstgradabzeichen des katholischen Soldatenpfarrers unterscheiden sich von denen des evangelischen. Aber solche kleinen Unterschiede hinderten sie nicht am ökumenischen Miteinander - weltweit. Offiziell vermeiden diese Geistlichen die Worte Uniform und Dienstgradabzeichen. Eine klare Sprache ist in den Kirchen unbeliebt. In einem aber waren die Armeeseelsorger unzweideutig: Sie verleugneten den Friedensauftrag des Evangeliums und bogen und logen sich die Taten und Reden des Jesus von Nazareth so zurecht, als hätte er das Töten befohlen. Dazu bemühten sie den Evangelisten Matthäus. Dessen Geschichte vom Hauptmann von Kapernaum und die Bergpredigt wurden in militärseelsorgerischer Exegese zum Tötungsauftrag. Sagt nicht Jesus über den Hauptmann: "Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem (außer bei diesem Hauptmann) gefunden"? Er sagt es aber nicht, weil der Hauptmann gerade Bomben auf Jugoslawien geworfen, sondern, weil er sich für einen "Heiden" eingesetzt hat. Das verschwiegen die Armeepfarrer selbstverständlich.

In der Bergpredigt sagt Jesus über das Töten: "Ihr habt gehört, daß gesagt worden ist: ›Du sollst nicht töten; wer aber tötet, der muß vors Gericht.‹ Ich aber sage euch: ›Wer mit seinem Bruder zürnt, der muß vors Gericht.‹" Die Bundeswehr macht daraus in der Broschüre "... auf die Reihe gebracht - Informationen für die Zeit beim Bund": "Nach diesem Gebot gibt Gott niemandem das Recht, einem anderen das Leben zu nehmen. Wer denkt, daß er gegen dieses Gebot nicht verstößt, sollte auf Jesu Auslegung in der Bergpredigt hören. Jesus bezeichnet bereits das Beschimpfen und Beleidigen eines anderen als ›töten‹."

Nur wenige Zeilen weiter fordert Jesus als Konsequenz: "Versöhne dich mit deinem Bruder." Und fährt fort: "Vertrage dich mit deinem Gegner." Die Militärseelsorge läßt diese entscheidende Aussage ebenfalls aus, um Jesu Worte als Aufforderung zum Töten von Menschen lesen zu können. Und so können die SoldatInnen lernen: Da schon das Beleidigen "töten" ist und wohl keiner behaupten will, er hätte noch nie jemanden beleidigt, also getötet, kann die Bundeswehr sich die Tötungsart frei aussuchen. Gegebenenfalls wirft sie eben Bomben. Das ist ganz egal, denn wir alle sind Mörder.

Der "Gemeinschaft Katholischer Soldaten", ebenfalls auf dem Kirchentag vertreten, reicht das nicht aus. Sie kennt eine Steigerung, die sie in der Broschüre "Soldaten und Christen - Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker" darstellt: "Das menschliche Leben auf Erden ist der von Gott gewollte Beginn eines Lebens, das unter der Verheißung des ›Ewigen Lebens‹ steht und über den Tod hinausweist. Das irdische Leben ist damit nicht das höchste, wohl aber elementares Gut des Menschen." Ja, wenn das so ist. Was regen sich die Opfer der Bundeswehr und ihrer Verbündeten eigentlich auf? Wer früher durch Bomben vom irdischen Leben befreit wird, hat mehr vom "Ewigen Leben".

Die Leitung des Ökumenischen Kirchentags ließ die zackigen Blasphemien nicht nur unwidersprochen zu, sondern förderte sie. Protest gegen die Militarisierung des Kirchentages wurde schnell unterbunden. Zur Beruhigung des Gewissens gab es in Berlin Schals mit der Aufschrift "Selig sind, die Frieden stiften." Doch auf diesem Kirchentag, befürchte ich, lag kein göttlicher Segen, stattdessen auf der Bundeswehr ein offizieller Kirchensegen.

Erschienen in Ossietzky 12/2003