Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Der schmerzhafte rote Streifenvon Gerhard Zwerenz 1953 lebte ich in Leipzig, hielt mich aber während der Woche, in die der 17. Juni fiel, in einem abgeschiedenen erzgebirgischen Dorf auf, wo wir von den Vorgängen gar nichts bemerkten. Am 19. Juni ratterte ein sowjetischer Panzer die Straße entlang, jemand schaltete das Radio ein. Wir fielen aus allen Wolken, als wir erfuhren, was geschehen war. Nach Leipzig zurückgekehrt begann ich zu recherchieren und schrieb die Anfangskapitel eines Buches über den 17. Juni, das erst 1959 in Köln bei Kiepenheuer & Witsch unter dem Titel "Die Liebe der toten Männer" erscheinen konnte. Als Motto setzte ich voran: "dies buch ist gewidmet meinen freunden erich loest und günter zehm und allen anderen in ulbrichts kerkern. dies buch ist geschrieben gegen ihre kerkermeister und alle jene, die das unrecht unterstützen, verschweigen oder insgeheim billigen, zur tagesordnung übergehen, den kaisern geben, was ihnen nicht ist, von freiheit reden und nichts für sie tun." Inzwischen ist viel Wasser den Rhein, Main, die Spree und Pleiße hinabgeflossen. Günter Zehm, der nach seiner Haft monatelang Aufnahme in unserer kleinen Kölner Wohnung fand, wandelte sich bald, wie so mancher in den Westen entkommene Ex-Genosse, zum grimmigen Kalten Krieger. Erich Loest akzeptierte später nicht meine Sympathien für die PDS. Die Erde ist rund, ich nehme kein einziges Wort zurück und bleibe Sozialist. Seit 1953 ist ein Halbjahrhundert vergangen. In Medien und Politköpfen blühen die Mythen. Es ist fast wie damals. Drei Tage lang blieb die SED auf der Wahrheitsspur. Dann war für sie der 17. Juni nur noch ein faschistischer Putsch und für den Westen ein gefundenes Fressen im Kalten Krieg. Drei Jahre später forderten wir 56er Oppositionellen Reformen im Sinne Chruschtschows. Harichs Verhaftung am 29.11.1956 und Blochs Zwangsemeritierung Ende des Jahres setzten den Schlußpunkt. 33 Jahre danach gab die DDR den Geist auf, was mich nicht überraschte. Es war aber ein Trauerfall. Land, Menschen und Staat hätten ein besseres Schicksal verdient. Meine Hoffnung, die PDS werde ab 1989 unsere 56er Opposition fortführen, bleibt unerfüllt. Der unverarbeitete Konflikt vom 17. Juni 1953 reicht bis ins 21. Jahrhundert hinein. Das sah ich wohl voraus. Der erste Satz meines Buches lautet: "Tage, die um den Erdball gingen wie schlimme Zeitungen ..." Ein Gegenwartsroman offenbar. Als letzter Satz steht da: "... um ihr linkes Handgelenk schnellte der rote Streifen wie eine Kette." Es ist nicht nur die Spur von Handschellen gemeint. Unruhen und Massenstreiks blieben im 20. Jahrhundert nicht auf den Osten beschränkt. Im Westen gab es den Pariser Mai 1968, und im Umgang mit den wilden 68ern in der Bonner Republik war die Obrigkeit auch nicht zimperlich. Fischer aber ist heute Außenminister, Cohn-Bendit romantischer Revolutionsheld sowie Europa-Abgeordneter. Harich und Janka dagegen sind vergessen. Bloch wird mißverstanden als Hoffnungspfaffe. Mein alter Genosse Loest spielt den sozialdemokratischen Goethe von Sachsen. Unsere verlorenen Revolten von gestern und die verfluchten Kriege von heute zeigen, was Ursache und was Folge ist. Die friedliche Revolte von 1989 war keine Revolution, sondern der Rückweg in den Dschungel der Arbeitslosigkeit, der Krisen und Kriege des globalisierenden Kapitals. 1945 hatten die Ostdeutschen den Krieg mehr verloren als die Westdeutschen, sahen es ein und erfuhren, sie dürften zur siegreichen Arbeiterklasse gehören, wenn sie sich bemühten. Am 17. Juni 1953 glaubten beide Seiten gegeneinander daran. So zählten sie von 1945 über 1953 und 1956 zum Proletariat, das sich 1989 per Massenakklamation selbst abschaffte und sich seither bei Bourgeoisie und Sozis einreiht, d.h. sie flogen aus den Grundbüchern raus, werden vom Westen mürrisch subventioniert und blicken leicht verwirrt bis romantisch zurück auf die Klassenkämpfe unter den Genossen. Warum kam es im Nazireich nie zu einem dem 17. Juni vergleichbaren Arbeiter- und Volksaufstand? Das Volk konnte nur hitlertreu, nicht aber stalintreu sein. Abgesehen von der verspäteten Offiziersrevolte des 20. Juli 1944 gab es von 1933 bis 1945 allerdings den permanenten Kampf kommunistischer Genossen, der 75 Prozent des gesamten antinazistischen Widerstandes ausmachte und dessen ungezählte Opfer heute schamlos verdrängt oder diffamiert werden. Die SED, gewillt, sich mit der DDR wie die Juden in Israel einen verfolgungsfreien Staat zu schaffen, sah sich als Erbe der getöteten Antifaschisten, hatte sich als gehorsame Partei neuen Typus aber jede Erinnerung an Rosa Luxemburgs Ideen der Spontaneität und des Massenstreiks verboten. Ein Drittel der Streikenden des 17. Juni gehörte der SED an. Der Gedanke, sich in der Streik-Spitze einzureihen, lag dieser sowjetisierten Partei, der jede Spur von Rosa Luxemburg ausgetrieben worden war, unendlich fern. Bis 1945 Verfolgte hatten sich als Machtinhaber in Verfolger verwandelt, was dem Aufstand die Züge einer Tragödie verleiht: Arbeiter gegen Arbeiter, Volk gegen Volkspolizei, Obere gegen Untere, aber auch Antikommunisten gegen Kommunisten. Dazu Medieninhaber West gegen Medieninhaber Ost, obendrein USA gegen UdSSR sowie Adenauer contra Ulbricht, den die von Stalins Tod verwirrten und verunsicherten Sowjets eben noch hatten opfern wollen. Der Aufstand rettete ihn. Im Nachhinein wird deutlich, Lawrenti Berija hat nicht nur Ulbricht stürzen, sondern die ganze DDR freigeben wollen. Statt Einheit, Freiheit und Absetzung von Ulbricht also als Resultat des 17. Juni dessen Machtsicherung und die Verfestigung der deutschen Spaltung auf Jahrzehnte hinaus. Nachdem Anfang des Jahres 2003 der sechs Jahrzehnte zurückliegenden Schlacht von Stalingrad in klotzigen tv-Dokumentationen gedacht wurde, stehen uns nun Medienfeiern zum 50. Jahrestag des 17. Juni 1953 ins Haus. Ein Volk, das nach 1933 nie einen Aufstand riskierte, soll sich den Teil-Aufstand eines Volksteils einverleiben. Wie gewohnt werden unsere obersten Staatsschauspieler an vergessenen Gräbern aus diätenschwangeren Hamsterbacken geschwollene Trauerreden absondern. Eine Schar nachgewachsener regierungstreuer Professoren wird die regierungstreuen Professoren von gestern korrigieren, bis nachwachsende regierungstreue Historiker ihre Vorgänger von heute zu korrigieren sich anschicken. Heftiges Geschwafel über die zwei deutschen Diktaturen steht zu erwarten, als hätte es die DDR je zur Vergleichbarkeit mit dem Dritten Reich gebracht. Immerhin kann jetzt der in Gräber und Zuchthäuser versenkten Opfer gedacht werden, die in der DDR dem Vergessen anheimgegeben waren, während die BRD sie heuchelnd und hechelnd feierte. Die SPD aber sollte ihrer fatalen Burgfriedenspolitik von 1914 und der durch Ebert und Noske verratenen eigenen Revolution von 1918 mit den Folgen von 1933 gedenken, als die Niederlage von1945 samt deutscher Teilung vorprogrammiert wurde. Die bitteren Lehren des 17. Juni 1953 veranlaßten einige tausend SED-Ge-nossen, im Jahre 1956 den Antistalinkurs Chruschtschows auch in der DDR zu fordern. Wir, die 56er, wollten den anderen deutschen Staat nicht abschaffen, sondern humanisieren. Ab Oktober 1956 bevölkerten unsere 56er Genossen die Haftanstalten, in denen sie noch auf die letzten 53er trafen. Erst die 89er dürfen die Früchte ihrer spätbürgerlichen Demos genießen. Obere Staatsdiener von Eppelmann und Gauck bis Thierse als Revolutionsbeamte, das einfache Volk auf den langen Gängen der Arbeitsämter, wo über die Befreiung von Lohn und Brot in Freiheit nachzudenken Zeit bleibt. Der Konflikt zwischen Arbeit und Kapital schwärt weiter. Wiedervereint trennen wir uns wie vordem in armselige Reiche und eine reiche Anzahl von Armen. - Auf denn in die alten Krisen und neuen asymmetrischen Kriege des kapitalen Globalwahns. Zum 50. Jahrestag des 17. Juni 53 werden unzählige feierliche Reden ertönen, jeder Politiker-Satz eine versuchte Gehirnwäsche. "Wir, unsere Hirten an der Spitze, befanden uns nur einmal in Gesellschaft der Freiheit. Am Tage ihrer Beerdigung." (Karl Marx)
Erschienen in Ossietzky 12/2003 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |