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Die Texte beginnen mit der Mitteilung "10 000 Ruhrbergleute überflüssig", und es folgen unzählige ähnliche Mitteilungen, mit größter Akribie zusammengetragen. Zugleich werden aber auch die unzähligen Streiks beschrieben, in denen die Arbeiter Widerstand leisteten gegen die Willkür des Großkapitals und dessen politischer Vollstrecker, der Reichskanzler Brüning, von Papen und von Schleicher. Im Arbeiterwiderstand sehen die Verfasser nämlich die einzige Möglichkeit, die drohende faschistische "Barbarei", die sie voraussehen, doch noch aufzuhalten. Die Jahre davor, die der Weltwirtschaftskrise, waren für die "kleinen Leute", für die Eckert und Fuchs eintreten, Jahre der Unsicherheit und des materiellen Elends; die Unternehmer nutzten sie, den Arbeitern die erkämpften Rechte zu rauben und zugleich mit Hilfe der jeweils Regierenden die eignen Profite abzusichern. Das geschah seit Brüning mittels autoritärer "Notverordnungen", wodurch die Not verordnet wurde, und zwar in Form von Lohnabbau, Aushöhlung des Tarifrechtes, Kürzung der Wohlfahrtsunterstützung, Streichung kommunaler Leistungen, Einschränkung bürgerlicher Freiheiten, z.B. Versammlungsfreiheit. Viele dieser Maßnahmen kommen dem heutigen Leser bekannt vor: Sie heißen "Reformen" (Seite 283: "›reformieren‹, das heißt abbauen") und werden von den Arbeitgebern verlangt: "Die Vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände verlangt einschneidende Reformmaßnahmen der Sozialversicherung und der Arbeitslosenversicherung" (S. 137). Über die Hauptstadt im Jahre 1932 heißt es: "... In Berlin sind zum 1.April die Unterstützungen für die 250 000 Wohlfahrtserwerbslosen gekürzt worden... Berlin muß seine Ausgaben so rigoros kürzen, daß z.B. der gesamte Hoch- und Tiefbau nur noch auf dem Papier steht. Das bedeutet, daß Berlin große Teile seiner Anlagen (Straßen, Bahnen usw.) nicht erhalten, sondern verfallen lassen wird. Das Gesundheitswesen wird abgebaut durch Schließung von Krankenhäusern usw. ... Wieder soll es also die Arbeiterschaft sein, die die Lasten der sich verschärfenden Krise tragen soll. Hierzu liegen schon konkrete Pläne vor, die die Zusammenlegung der Arbeitslosenversicherung, der Krisenfürsorge und Wohlfahrt zu einer ›einheitlichen Fürsorge‹ vorsehen... Später soll die gesamte Erwerbslosenbetreuung den Gewerkschaften übergeben werden..." Und der Abschnitt endet: "...Während so auf der einen Seite das Proletariat immer stärker belastet wird, sollen die Leute, die Vermögen haben, also die Herren Kapitalisten, entlastet werden. Die Herabsetzung der Vermögenssteuer steht unmittelbar bevor" (S. 293 f.). Dazu kam die milliardenschwere "Osthilfe" für die Groß agrarier in den östlichen Provinzen (S. 531 f.). Übrigens: Für Aufrüstungsprojekte standen auch in der Zeit des "Sparens" immer noch Gelder zur Verfügung (S. 410). Deutschland und die anderen kapitalistischen Ländern waren darauf aus, "gegen die sozialistische Sowjetunion zu marschieren." (S. 411) Kurt Goldstein, Ehrenpräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, schreibt zu dem Buch: "Ich kenne zwei Bücher, die man lesen muß, wenn man wissen will, wie Deutschland in den Faschismus geraten und wie der faschistische Alltag war: Das sind die Tagebücher von Victor Klemperer und diese Wochenberichte..." Eine große Leserschaft wäre ihnen also zu wünschen, besonders auch aus dem Kreis der Theologen. Diese tun sich immer schwer zu erkennen, was um der Gerechtigkeit willen der Mehrheit, den "kleinen Leuten", dient und nicht den "Wenigen", den Reichen. Letzte Äußerungen der kirchlichen Oberen, Kardinal Lehmann und Ratsvorsitzender Kock, die vorbehaltlos die "Agenda 2010" (aus der sehr schnell eine "Notverordnung" herausschlüpfen kann) unterstützt haben, zeigen ihren großen Lernbedarf. Fraglich ist, ob sie auch lernwillig sind oder nicht doch lieber wie bisher die Propaganda der Industrie und Regierung nachplappern - wie in den Jahren der Weltwirtschaftskrise (S. 133). Erwin Eckert / Emil Fuchs: "Blick in den Abgrund. Das Ende der Weimarer Republik im Spiegel zeitgenössischer Berichte und Interpretationen", herausgegeben und eingeleitet von Friedrich-Martin Balzer und Manfred Weißbecker, Pahl-Rugenstein Verlag, 646 Seiten, 32 €
Erschienen in Ossietzky 12/2003 |
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