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Diese Fakten zwängen zum Handeln, die Regierung habe keine andere Wahl, behaupteten Sie. Beide Gründe sind falsch. Zunächst die Demographiefalle: In der Veranstaltung hielten Sie Papiere hoch, wonach heute vier Arbeitsfähige für einen über 65jährigen aufkämen, 2050 aber zwei Arbeitsfähige einen Alten mitversorgen müßten. Schlimmer noch: Genau 53,4 Prozent betrage dann der Bevölkerungsanteil der Alten gemessen an der Zahl der Arbeitsfähigen (100 Prozent). Deshalb müsse gekürzt werden - sowohl an der Rente (die Riester-Reform reiche nicht aus) als auch an den Arbeitslosen- und den Krankenkosten. Woher aber wollen die Ministerialbeamten diese bedrohliche Prozentzahl für das Jahr 2050 so genau kennen, sogar hinter dem Komma? Den medizinischen Fortschritt für fünf Jahrzehnte einfach hochzurechnen, grenzt an Scharlatanerie - zumal dieselben Beamten auch schon Überlegungen anstellen, daß "wir" uns aufwendige Altenpflege und teure medizinische Behandlungen an über 75jährigen bald nicht mehr leisten könnten... Wie die Geburtenrate und wie der Einwanderungsüberschuß sich entwickeln werden, weiß niemand und kann nicht einmal geschätzt werden, ist aber politisch beeinflußbar. Wenn "die Wirtschaft" es verlangte, würde die heutige Regierung ebenso wie ihre Vorgänger schnell wieder viele Gastarbeiter ins Land holen, wozu sie sich ja mit der sogenannten Greencard schon bereit erklärt hat (die dann aber kaum benutzt wurde). Hätte die Regierung ehrlich Sorge vor einem "aussterbenden Deutschland", brauchte sie nur für jedes Kind ein Kindergeld zu zahlen, das die tatsächlichen Kosten in einem Durchschnittshaushalt aufwöge, zudem eine Versorgung in Höhe des letzten Nettolohnes für Eltern mit Erziehungsaufgaben, unentgeltliche Kindertagesstätten und garantierte Rückkehr in den Beruf nach der Erziehungszeit. Die Ihnen übermittelten Prozentangaben über das Verhältnis zwischen Arbeitsfähigen und Alten über einen Zeitraum von 50 Jahren sind unseriös. Manipulativ aufbereitet mit dem Ziel, die geplanten Sozialkürzungen zu legitimieren. Das Demographie-Argument (s. Ossietzky 25/02) ist mir aber auch schon deswegen unverständlich, weil wir inzwischen fünf Millionen gemeldete Arbeitslose haben, über eine Million davon im Alter unter 25 Jahren (mitgerechnet die in Zweit- oder Drittausbildung oder Jugend-Job-Programmen). Und da erzählt man Ihnen, daß zu wenige nachgewachsen seien, um die zu vielen Alten mit Rente, Pflege und medizinischen Leistungen zu versorgen. Wenn man doch all die, die gerne für Alte und Kranke mitarbeiten würden, nur arbeiten ließe! Wie können Sie als Abgeordneter an einen so offensichtlich unsinnigen "demographischen Sachzwang" glauben? Die Probleme auf der Einnahmenseite der Sozialversicherungen sind das Ergebnis einer bewußten Strategie der Unternehmen im Verein mit den Regierungen; mit Demographie haben sie nichts zu tun. Hauptursache ist die kontinuierliche Absenkung der Bruttolohnrate sowohl am Volkseinkommen wie auch am Bruttoinlandsprodukt zugunsten der Kapitalseite; hinzu kommen "Entlastungsgesetze" (zum Beispiel die Senkung der Sozialabgaben bei Minijobs auf 25 Prozent) und eine massive Umverteilung von unten nach oben durch die Steuergesetze. Wäre der Bruttolohn in den letzten 15 Jahren im gleichen Maße wie zuvor am Wirtschaftswachstum beteiligt worden, hätten wir keine Engpässe in den Sozialkassen. Ebenso würde in Zukunft der normale Produktionszuwachs mehr als ausreichen, um auch eine eventuell höhere Zahl an Alten mitzuversorgen. Hier für eine Trendumkehr zu sorgen, wäre Aufgabe einer Sozialdemokratie, die diesen Namen verdiente. Als zweiten Grund für Ihre Meinungsänderung nannten Sie die "dramatisch gestiegenen Ausgaben in der Gesetzlichen Krankenkasse", die 1991 noch bei 93 Milliarden Euro gelegen, 2002 jedoch schon 143 Milliarden Euro erreicht hätten. Wiederum sind Sie auf eine unzulässige Darstellung hereingefallen, die Sie jetzt als Angstpropaganda in Ihren Versammlungen weitergeben. Denn sowohl das reale Bruttoinlandsprodukt wie vor allem auch die Preise sind seit 1991 ungefähr im gleichen Verhältnis gestiegen wie die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung: 1991 lag das Bruttoinlandsprodukt nominell bei 1502 Milliarden Euro, 2002 bei rund 2100 Milliarden Euro (laut Schätzung der Bundesbank). Der Anteil der Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung am Bruttoinlandsprodukt liegt seit 1980 immer im Sechs-Prozent-Bereich. Sie behaupteten, nur die Sozialdemokratie könne "die jetzt notwendigen ›Reformen‹" einigermaßen sozial gestalten. Das könne nicht die Union und schon gar nicht die FDP. Sie machen sich da was vor! Sie und die Grünen sind noch zu manch anderem zu gebrauchen, gerade auch mit "Bauchschmerzen", "zähneknirschend", einige gar "mit der Faust in der Tasche". Hilmar Kopper, damals Chef der Aufsichtsräte von DaimlerChrysler und Deutsche Bank, hat in einem Interview des Hamburger Abendblatts schon im November 1999 die Ihnen von der Kapitalseite und den großen Medien zugewiesene Rolle treffend bezeichnet. Gefragt, ob "ausgerechnet die Sozialdemokraten" eine "Trendwende weg vom Staat und hin zum Individuum einleiten" könnten, antwortete er: "Ja, vielleicht kann das nur eine solche Regierung schaffen. Wenn Sie mich vor anderthalb Jahren gefragt hätten, ob ich mir eine aktive Beteiligung der Bundesrepublik an einem Krieg auf dem Balkan unter einer rot-grünen Regierung vorstellen könnte, dann hätte ich Sie für nicht ganz gescheit gehalten. Genau so aber kam es. Und es konnte nur von der rot-grünen Regierung kommen, sonst hätten wir in diesem Land eine Revolution gehabt. Ähnliches gilt wohl auch für die Veränderung des Sozialstaates. Wahrscheinlich müssen die heiligen Kühe von denen geschlachtet werden, die an ihrer Aufzucht am aktivsten beteiligt waren." In Frankreich, Italien und Österreich meinte die von den Medien manipulierte Öffentlichkeit, auf die Linksparteien verzichten zu können. Das Ergebnis sind Massenproteste bis hin zum Generalstreik. Ob die Gewerkschaften dort die schlimmsten Einschnitte in die sozialen Leistungen oder ins Arbeitsrecht verhindern können, hängt stark davon ab, ob die Bundesrepublik Deutschland als größtes EU-Land in ihrer Steuer- und Abgabenpolitik auf Dumpingkurs bleibt und weiterhin soziale Schutzrechte einreißt. In dieser Situation müßte eine Sozialdemokratie aufhören, ihre Mitglieder und ihre aus Tradition treuen Wähler sowie die Gewerkschaften zu mißbrauchen, um neoliberale, marktradikale Wirtschaftspolitik durchzusetzen. Ob Sie dennoch weiter mitmachen, müssen Sie vor Ihren Wählerinnen und Wählern und vor Ihrem Gewissen verantworten. Unser Autor hat in diesem Sinne - viel eingehender - an den SPD-Abgeordneten in Münster (Westfalen) geschrieben. Der Abgeordnete Christoph Strässer hat bisher nicht geantwortet. Verständlich. Was könnte er denn antworten?
Erschienen in Ossietzky 12/2003 |
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