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Schon früh (1957) antwortete die DDR auf die Herausforderung der (West)Berliner Festwochen mit (Ost)Berliner Festtagen, erst spät (1987) rief sie als Pendant zum Theatertreffen ein Nationales Theaterfestival der DDR in ihrer Halbstadt ins Leben. Nach der »Wende« wurden die Bühnen im Osten allmählich von Intendanten aus dem Westen übernommen – Ausgleich für die Schließung des Schiller-Theaters und der Freien Volksbühne. Der Schwerpunkt des West-Berliner Theaters verlagerte sich in den Osten. Nur Frank Castorf, der seine beste Zeit im Widerstand gegen kunstfremde Bürokraten in der DDR hatte, trotzt mit den demonstrativen Großbuchstaben OST an seiner Volksbühne. Was Theater betrifft, bekenne ich mich als Ostalgiker. In der DDR lebte das Theater von der ständigen Reibung mit der Macht und der Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, auch von der ihm zukommenden Ersatzfunktion für gleichgeschaltete Medien mit Scheuklappen. Auf DDR-Regisseure traf ein Ausspruch des großen spanischen Filmemachers Bunuel zu: »Ich habe mein Leben lang gegen die Zensur gekämpft, aber Gott allein weiß, was ich der Zensur verdanke.« Auch in der DDR gab es das, was man heute als Regietheater bezeichnet, aber es war nie l’art pour l’art. Hinter Inszenierungen, die sich oft konzeptionell aufeinander bezogen, stand eine (mit einem heute gern verspotteten Attribut) aufklärerische Idee, umgesetzt mit unverwechselbaren künstlerischen Handschriften, aber ohne Originalitätssucht. An alledem mangelte es beim diesjährigen Theatertreffen. Während bei den Festwochen über Änderungen nachgedacht wird, ist hier – abgesehen von leichten Neuerungen beim Stückemarkt – die einzige Veränderung eine neue Leiterin, Iris Laufenberg. Sonst fast alles beim Alten: Die siebenköpfige Kritikerjury traf eine fragwürdige Auswahl. Nach der Diskussion von 107 Inszenierungen aus 28 Städten einigte sie sich auf die üblichen zehn »bemerkenswertesten Aufführungen der deutschsprachigen Schauspielbühnen«. Allein je drei kamen vom Thalia- Theater Hamburg und vom Schauspielhaus Zürich, je eine vom Wiener Burgtheater, den Münchner Kammerspielen sowie der Schaubühne und der Volksbühne aus Berlin. Schwer vorstellbar, daß bemerkenswertes Theater nur in fünf Städten gespielt wird. Da doch die übergroße Mehrheit der 24 000 Besucher des Treffens Berliner sind, scheint es mir auch wenig sinnvoll, zwei Inszenierungen auszuwählen, die sie auch außerhalb des Treffens in ihrer Stadt sehen können. Im Vergleich zu Thomas Ostermeiers eruptiver Schaubühnen-»Nora« wirkte Stephan Kimmigs Hamburger Variante des Ibsen-Dramas blaß. Daß nur zwei zeitgenössische Stücke ausgewählt worden waren, sagt wohl etwas über den Mangel an bemerkenswerter Gegenwartsdramatik aus; aber daß die acht Klassiker nur selten in originellen, auch zeitbezogenen Interpretationen erschienen, spricht nicht gerade für das Gespür der Juroren. Es genügt nicht, daß die Akteure im Habitus unserer Tage auf die Bühne kommen, zumal Sprache und Konflikte ihrer Zeit verhaftet bleiben. Wenn Andrea Breth Lessings »Emilia Galotti« in ein Berlusconi-Italien verpflanzt, geht das nicht auf. Als moderner erweist sich da Michael Thalheimers künstliche, allerdings sehr manieristische Abstrahierung des Stückes im Deutschen Theater (außerhalb des Treffens). Durch eine ähnlich starke Stilisierung und Reduzierung des Inhalts auf Gesten und ausdrucksstarke Posen wurde Thalheimers Hamburger Deutung von Schnitzlers »Liebelei« vor kahlem Bühnenhintergrund als überzeitliche Parabel von Liebessehnsucht und Bindungsunfähigkeit zu einem der interessantesten Eindrücke des Treffens. Von den schauspielerischen Leistungen haften zwei am stärksten im Gedächtnis. Zum einen Robert Hunger-Bühler als chamäleonartiger Richard III. In Stefan Puchers texttreuer Shakespeare-Inszenierung aus Zürich, die sonst – wieder in Straßenanzügen – wenig überzeugend versucht, das perverse Machtspiel aus dem England des 15. Jahrhunderts in die Gegenwart zu holen. Zum anderen Ulrike Krumbiegel als Kassandra in Andreas Kriegenburgs »Orestie« von den Münchner Kammerspielen. In einem furiosen Solo wechselt sie von Improvisationen im Alltagsjargon zu originalem antikem Pathos – ein Charakteristikum der ganzen Aufführung, deren Extemporis ebenso wie das Wasser auf der Spielfläche an den frühen Castorf erinnern, bei dem Kriegenburg während dessen Volksbühnen-Anfängen Hausregisseur war. Zuletzt prügelt George W. Bush diese Kassandra mit einem Baseballschläger zu Tode, weil sie auf die Frage nach seiner Zukunft antwortete: »Da ist nichts.« Mit dem US-Präsidenten treten english speaking in kabarettistischen Einlagen auch Donald Rumsfeld und Angela Merkel auf – alle durch Fotopapiermasken kenntlich gemacht. Solcher Verdeutlichung bedürfen die aktuellen Absichten dieser Inszenierung eigentlich nicht. Sie kommen im ersten Teil schon zum Ausdruck, wenn Zeitungen mit Siegesmeldungen vom Bühnenhimmel herabregnen, Frauen Fotos ihrer vermißten Männer an eine Wand heften und die Daheimgebliebenen vor Agamemnons Rückkehr »Troja ist unser« skandieren. Bei allen Abschweifungen bleibt Kriegenburg dem manchmal irritierten Publikum in fast fünf langen Stunden nichts vom originalen Aischylos schuldig, bis hin zum utopischen Ende, wo sich die Erinnyen zu Eumeniden wandeln und Athene die rechtsstaatliche Demokratie ausruft. Von der Berliner Kritik (soweit mir bekannt geworden) zu Unrecht verrissen, erfüllt diese »Orestie« wirklich einmal das Kriterium einer »bemerkenswerten Aufführung«. Sie erfüllt es jedenfalls mehr als Armin Petras‘ vielfach gelobte zeitgeistige Inszenierung seines (unter dem Pseudonym Fritz Kater) eigenen Stückes mit dem anspruchsvollen Titel »Zeit zu lieben Zeit zu sterben«. Sind die Anekdoten, die der DDR-erfahrene Autor/Regisseur im ersten Teil junge Leute erzählen läßt, bevor sie die Uniform der Nationalen Volksarmee anziehen, zwischen Schule, Sex und Fußball noch einigermaßen stimmig (aber nicht unbedingt ostspezifisch), so gibt sich der Mittelteil »Ein alter Film« in Comedy-Manier mit Slapstick- Einlagen eher verwirrend. Daß da einer anfangs mit ungarischem Fähnchen in der Hand und Salami unterm Arm auftritt, verweist zwar auf einen anderen Schauplatz der vorgeführten Familiengeschichte, aber daß dazu ein ungarischer Film von 1981 als Vorlage dient, wird nur mir erkennbar, weil ich zufällig eine Woche zuvor das Original, »Die Zeit bleibt stehen« von Péter Gothár, gesehen habe. Am schönsten und kürzesten dann der dritte Teil: eine traurige Liebesgeschichte, die überall spielen könnte. Zum Abschluß: »Groundings« von Christoph Marthaler aus Zürich, eine Produktion, die bis zu schwyzerdütschen Textpassagen ihre Herkunft nicht verleugnet. Sie ist die subtile Rache ihres Autors und Regisseurs an den Verwaltungsbürokraten der Bankenmetropole, die ihn beinahe aus der Intendanz des Schauspielhauses hinauskatapultiert hätten. Bis sie »eine Hoffnungsvariante« der Weiterbeschäftigung anboten, die nun zum ironischen Untertitel des Stückes – einer kabarettistischen Nummernrevue – wurde. »Groundings«, was wörtlich Landungen meint, im Managerjargon aber auch Pleiten, Pech und Pannen, spielt auf den Bankrott der Swissair an, der einigen Stoff für das Theaterprojekt liefert. Marthaler hat auch Reden, Artikel und Sitzungsprotokolle verarbeitet. Wirtschaft und Politik werden ja immer mehr zu Realsatire, man braucht Verwaltungsratssitzun- gen und Power Advertising (»Marketing ist Gottesdienst am Kunden«) mit ihrem englischdurchsetzten Ökonomiekaderwelsch nur auf die Bühne zu bringen. Über die Schweizer Anlässe hinaus haben ein Kasinokapitalist, ein Nationalglobalist, ein Gemütsmensch mit Sachzwang und ein Anlageberater, die auch von allerlei Wehwehchen geplagt sind und gelegentlich nach Abschiedsritualen auf Clubsesseln als Schleudersitzen durch eine Wand in den Orkus entsorgt werden, noch etwas vorzuführen: »tragikomische Verfallserscheinungen eines an sein Ende gekommenen Systems und seiner Protagonisten irgendwo im Überall «. Wenn sich einer darüber beklagt, nur fünf Millionen Euro Abfindung bekommen zu haben, erkennt man wie in Mobbing und Privatisierungswahn nur allzu deutlich auch deutsche Praktiken wieder. Mit Marthaler-typischen Gesangseinlagen ein vergnüglicher, wenn auch zu lang geratener Abschluß des Theatertreffens, das nach der »Orestie« doch noch in der Gegenwart ankam.
Erschienen in Ossietzky 11/2003 |
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