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Noch jede Regierung der BRD hat versprochen, die Verschuldung des Staates zu senken, aber das Gegenteil getan. Schon 1950 lagen die Verbindlichkeiten des Staates bei 20 Milliarden Mark; 1960 waren sie auf 52,8 Milliarden Mark gestiegen, 1970 auf 125 Milliarden Mark, 1980 auf 468 Milliarden Mark, und 1990 erreichten sie 1053 Milliarden Mark. Manche hatten erwartet, daß die Betriebe im DDR-Volksbesitz dem neuen Gesamtstaat als Schuldner enorm entlasten würden. Doch es kam anders – es kam die Treuhand. Statt durch die Privatisierungen geschätzte 700 bis 1000 Milliarden Mark für den Staat zu realisieren, zahlte die Kohl-Regierung 300 bis 500 Milliarden Mark drauf, damit westdeutsche Konzerne sich das vormalige Volksvermögen mühelos aneignen konnten. Anschließend wurden die Betriebe abgewickelt, die Beschäftigten »frei«-gesetzt. Im Jahr 2000 lagen die Staatsschulden der BRD bei 2343 Milliarden Mark oder 1198 Milliarden Euro; 66 Milliarden Euro Zinsen waren fällig. Im folgenden Jahr mußte der große Sparkommissar Hans Eichel den Schuldenstand tatsächlich nur um fünf Milliarden Euro auf 1203 Milliarden Euro erhöhen, weil er das Glück hatte, 100 Milliarden Mark oder 51 Milliarden Euro aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen in die staatlichen Kassen leiten zu können – die ihm aber zu großen Teilen im Jahr darauf von den Käuferfirmen per Steuerabschreibungen wieder genommen wurden. 2001/2 begann außerdem Eichels große Steuerreform zu wirken, die das große Kapital von Abgaben an den Staat weitgehend freistellte. Prompt gab‘s den Blauen Brief aus Brüssel, weil die Bundesrepublik 2002 mit ca. 3,4 Prozent Neuverschuldung vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) die Maastricht-Kriterien überschritten hatte. Inzwischen mußte der noch amtierende Finanzminister eingestehen, daß 2003 die Drei-Prozent-Grenze wieder nicht zu halten ist: Die öffentlichen Kassen müssen sich um etwa 4 Prozent vom BIP neu verschulden. Das ergäbe dann ungefähr 1290 Euro oder 60,8 Prozent staatliche Gesamtverschuldung vom BIP – eine zusätzliche Verletzung des so schön gesponnenen »Stabilitätspaktes« der EU. Staatsschulden sind offenbar in der kapitalistischen Volkswirtschaft unumgänglich. Das beweisen die USA, wo Präsident Bush gerade den Reichen mehr als 300 Milliarden Dollar Steuern erläßt, Programme für Armenspeisung und Krankenversorgung streicht und den Staat für ca. 600 Milliarden Dollar neue Schulden aufnehmen läßt, um den neuesten US-Imperialismus mit einigen Hundert Milliarden Dollar zusätzlich zu finanzieren. Das beweist auch die immer noch zweitgrößte kapitalistische Wirtschaftsmacht Japan, die sich seit mindestens zehn Jahren nur durch massive Schuldenaufnahme vor einer harten Wirtschaftskrise bewahrte. Die Gesamtverschuldung des Staates liegt dort mit mehr als 120 Prozent vom BIP doppelt so hoch wie hierzulande. Das kapitalistische System braucht Schulden, wenn es sich nähren und weiter wachsen soll. Denn die Schulden der einen sind immer die Guthaben der anderen – die Bank dient dabei als Vermittlungsinstitut und lebt von der Zinsdifferenz: Meine Kreditschulden muß ich z. B. mit 7 Prozent Zinsen »bedienen«; ein anderer hat für sein zu kapitalisierendes Geld Sparkassenbriefe »gekauft«, die ihm 4,5 Prozent bringen, die Differenz gehört der Bank. Die Besitzenden setzen alles daran, daß ihre Guthaben (ihr Kapital) sich Jahr für Jahr vermehren; sonst machen sie Kapitalstreik. Wenn allein das Geldvermögen der kleinen und großen Reichen in der BRD jetzt bei über 5000 Milliarden Euro liegt, dann bedeutet das zugleich mehr als 5000 Milliarden Euro Forderungen gegen die Schuldkonten derer, die das Risiko auf sich nahmen oder nehmen mußten, sich zu verschulden – viele kleine Firmen ebenso wie Millionen von Privathaushalten. Und ebenso der Staat auf allen Ebenen: In den 5 Billionen Euro Vermögensbesitz sind die knapp 1,3 Billionen Euro Staatsschuldtitel enthalten. Warum reden Schröder & Co. nicht von den Besitzern all der Bundesschatzbriefe und anderer Wertpapiere, die doch zu 90 Prozent auch in diesem Land leben (und zudem große Guthaben im Ausland besitzen)? Gehören die Kinder der Reichen nicht zu uns? Korrekterweise müßte man doch sagen, daß die Mehrheit »unserer Kinder« per Staatshaftung an eine kleine reiche Minderheit »unserer Kinder« große Summen zahlen muß – wenn alles so bleibt, wie die Reichen sich das vorstellen. Wir sollten uns also von den Krokodilstränen, die die Eliten in Wirtschaft und Staat über »die zu hohen Staatsschulden« vergießen, nicht erweichen lassen. Eine Regierung, die in einer kapitalistischen Volkswirtschaft dafür sorgt, daß die nicht benötigten Finanzmittel der Reichen in Staatsanlagen mit garantiertem Zins und Zinseszins fließen, handelt systemkonform. Eine höhere staatliche Kreditaufnahme, wie der DGB und die Memorandumgruppe kritischer Wirtschaftswissenschaftler sie fordern, wird sowieso kommen – schon allein weil die Banken mit den vielen Geldern ihrer Kunden, die Sicherheit und Gewinn verlangen, sonst in noch größere Schwierigkeiten gerieten. Die Frage ist nur, wofür die vom Staat zusätzlich aufgenommenen Kredite verwendet werden: ob endlich für mehr Beschäftigung und bessere öffentliche Infrastruktur sowie angemessene Sozialtransfers oder wieder nur für mehr Subventionen und Steuererleichterungen zugunsten der Privatwirtschaft. Das angstmachende Gerede von »unseren Kindern und Enkeln, auf deren Kosten wir heute mit unseren Staatsschulden« leben, ist volkswirtschaftlicher Unsinn. Wenn die heutigen Gewinne der Kapitalbesitzer nicht morgen schon eine profitable Anlage finden, stagniert die Wirtschaft und verstärkt sich die Tendenz zu Kapitalvernichtung und Arbeitslosigkeit. Weitere Millionen Menschen werden daran gehindert, ihre Begabungen auszubilden und ihre Fähigkeiten zum Wohle aller einzusetzen. In Wahrheit sind es also die Marktfundamentalisten in den Regierungsämtern, die mit ihren Sparprogrammen das Soziale am Staat wegschreddern, die öffentlichen Dienste verkommen lassen und so die Zukunft der Kinder belasten. Staatliche Kreditaufnahme für eine bessere Ausstattung des Gemeinwesens könnte hingegen die Krisen auslösende Tendenz sinkender Profitraten immerhin hinausschieben. Eine dauerhafte Lösung liegt darin nicht, denn durch die Neuverschuldung wird der Staat immer mehr zum Zinseintreiber für die Reichen. Entschärfen läßt sich das Problem der Staatsschulden durch eine andere Steuergesetzgebung. Warum gibt es in Deutschland keine Vermögensteuer und eine nur ganz geringe Erbschaftssteuer, die lediglich 3,7 Prozent zum Gesamtsteueraufkommen beiträgt? In Frankreich bringen beide Steuern auf Vermögen 10,5 Prozent, in den USA 14 Prozent, in England 14,2 Prozent, in Japan 16,3 Prozent. Hätten wir ähnliche Steuergesetze mit ähnlichen Steuersätzen, dann ergäben sich daraus pro Jahr rund 50 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen, und die Bundesrepublik würde mühelos den Maastricht-Kriterien der EU gerecht. Eine ähnliche Wirkung hätte es, die gezielt herbeigeführte Verarmung des Staates durch die »Jahrhundertsteuerreform« von 2000 rückgängig zu machen: Seitdem fließt keine Körperschaftssteuer mehr (vorher 22 Milliarden Euro), ein Drittel weniger Gewerbesteuer und jährlich etwa 100 000 Euro weniger Einkommensteuer von jedem Einkommensmillionär. »Unser Staat« aber will im Steuer- und Abgabendumping der großen Industrieländer Erster bleiben. Dafür leiht er sich das Geld gegen Zins und Zinseszins von jenen vermögenden Bürgern, denen er es zuvor per Steuerreform geschenkt hat. Und das soll so weitergehen: Von 2004 an sollen auf Zinserträge nur noch 25 Prozent Steuern erhoben werden; bisher beträgt die Zinsabschlagssteuer immerhin 30 Prozent. Eine generelle Verpflichtung der Banken zur Auskunft über Zinsund Dividendeneinkünfte wurde verworfen. Die BRD sei »ein demokratischer und sozialer Bundesstaat«, heißt es im Grundgesetz-Artikel 20. Wenn Regierungshandeln es »unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen«, heißt es dort, »haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist«. Generalstreiks in Frankreich, Italien, Österreich zeigen die Richtung. Das Gerede von den zu hohen Staatsschulden, an denen die Sozialstaatlichkeit schuld sei, ist Propaganda – wie man schon daran erkennen kann, daß die Ausgaben für die »Innere« und »Äußere Sicherheit« nicht von Kürzungen bedroht sind, sie steigen weiter. Und unser Vorkriegsminister Peter Struck hat jetzt in Brüssel zusammen mit seinen Kollegen aus Italien und Frankreich gefordert, daß »Rüstungsinvestitionen« von den EU-Vorschriften zur Schuldenbegrenzung ausgenommen werden sollen – als stände die Aufrüstung über allen anderen, allen eigentlichen Staatsaufgaben.
Erschienen in Ossietzky 11/2003 |
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