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In der Zeitung lese ich: »Für Ex-Bürgerrechtler Rainer Eppelmann, CDU Bundestagsabgeordneter und Vorstandsvorsitzender der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, ist die innere Einheit Deutschlands erst abgeschlossen, wenn der 17. Juni 1953 als Teil der gemeinsamen Geschichte und nicht als Ost- Regionalgeschichte akzeptiert wird.« Ja, blieb dem Mann denn verborgen, daß die Bonner Bundesbürger schon immer den 17. Juni per Staatsfeiertag mit hohlen Redensarten im Bundestag und Volksfest bei Kaffee und Kuchen im Grünen begingen? In dieser Frage waren wir innerlich längst vereint, als uns äußerlich die Mauer trennte. Der umtriebige CDU-MdB weist allerdings erheblichen individuellen Nachholbedarf an Geschichtskenntnissen auf, wenn er gesteht: »Vom Aufstand der Arbeiter am 17. Juni 1953 gegen Ulbrichts Regime weiß ich nur noch, daß Panzer durch die Maximilianstraße – wo wir damals wohnten – fuhren.« Jetzt begreife ich, warum unser Eppelmann heute »bundesweit 450 Veranstaltungen« zur Aufklärung organisiert. Er will einfach wissen, was gewesen ist. Laut Biographie, die mir das Internet spendet, wurde er am 12. 2. 1943 »als Sohn einer Handwerkerfamilie in Berlin geboren«. Was Google taktvoll verschweigt, gibt unser Freiheitskämpfer 1993 in seiner naiven Biographie »Fremd im eigenen Haus. Mein Leben im anderen Deutschland« ehrlicherweise preis: Sein Handwerkervater war SS-Unterscharführer und Wächter in den Konzentrationslagern Buchenwald und Sachsenhausen. Die Handwerkerfamilienmama wiederum »war zuerst im Bund Deutscher Mädel (BDM) und trat dann als Postbeamtin in die NSDAP ein«. Es klingt fast wie von Martin Walser. Doch in der DDR schadete ihnen das nicht, denn »ein alter Kommunist« schützte die Mutter, und der Vater hatte sich seine »SS-Blutgruppentätowierung« längst wegoperieren lassen. Freilich blieb der Papa »ein entschiedener Antikommunist«. Wen wundert das. Obwohl es ja auch bekehrte Ex-SSler gegeben hat. Trotz familiärer Vorbelastung diente Sohn Rainer in der DDR als aufrechter Pazifist und Bausoldat, kassierte acht Monate Haft und optierte 1982 für den »Berliner Appell« mit der Devise: »Frieden schaffen ohne Waffen«. Als Minister für Abrüstung und Verteidigung in der Regierung unter Ministerpräsident de Maizière ordnete er stolz die Umbenennung von Volksarmee-Kasernen an, die bis dahin Namen ermordeter Antifaschisten trugen. Das war nun wiederum echte Familientradition: Der antikommunistische SS-Vater hatte die Antifaschisten tapfer im KZ bewacht, der Sohn verfügte die Löschung ihrer Namen. Ganz wie es die politische Konsequenz verlangte, zu der gehört, daß der schöne Spruch von 1982 »Frieden schaffen ohne Waffen« mit dem Ende der DDR auch sein Ende fand. Fortan sind Pazifisten wieder wie vordem Staatsfeinde, ersatzweise irreale Idioten. Die Abkehr östlicher Bürgerrechtler von ihren pazifistischen DDR-Bekenntnissen offenbart den operativen Vorgang als Rückkehr zu den kriegerischen Vätern. Kein Mensch ist verantwortlich für die Taten seiner Eltern. Als Michael Benjamin in den Vorstand der Kommunistischen Plattform der PDS gewählt wurde, las man in den Zeitungen, dies sei der Sohn der berüchtigten »Roten Hilde«, ehemals DDR-Justizministerin. Daß er auch Sohn des 1942 im KZ Mauthausen ermordeten Arztes Georg Benjamin, des Bruders des Kulturphilosophen Walter Benjamin und also dessen Neffe war, wurde nirgendwo mitgeteilt. Was nun Rainer Eppelmann betrifft, finde ich seinen in der DDR angefeindeten und dennoch praktizierten Pazifismus so respektabel wie dessen schroffe Aufkündigung bei Ende des Staates fatal. Als obersten Volksaufklärer über den Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 halte ich den Mann für absolut ungeeignet. Es steckt in ihm zuviel Unwissenheit und unbewältigte Feindschaft. Es gab in jenen Juni-Tagen gute Gründe für Streik und Aufruhr. Es gab aber auch gute Gründe für die Verteidigung der DDR. Für mich waren die Ereignisse erster Anlaß zum Bruch.1956, drei Jahre später, waren wir viele Genossen, die auf Reformen drangen, wissend, daß Vorgänge wie 1953 in die Niederlage führen mußten. Wir meinten, taktisch klüger geworden zu sein, waren aber nicht erfolgreicher. Nach einem halben Jahrhundert ist es Zeit zur Selbstbesinnung. Überlebende, traumatisierte Kommunisten, Hitler und Stalin knapp entkommen, mußten mit der DDR bei Strafe des Untergangs das sowjetische Modell durchsetzen. Stalins Tod im März 1953 brachte die Machtverhältnisse in den Politbüros durcheinander. Berija in Moskau und Herrnstadt/Zeisser in Ostberlin waren geneigt, die DDR in einem neutralen Deutschland aufgehen zu lassen, und stürzten darüber. Berija wurde erschossen. Der Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 stieß in die Zeit der Verwirrung. Eben noch hatte die SU der DDR einen liberaleren »Neuen Kurs« verordnet, den Walter Ulbricht sabotierte. Der Aufstand rettete Ulbricht, denn nun wurde er für den alten, harten Kurs benötigt. Die Art und Weise, wie das Politbüro sowohl auf den 17. Juni 1953 als auf die Antistalinrede Chruschtschows beim 20. Parteitag der KPdSU 1956 reagierte, erwies seine prinzipielle Reformunwilligkeit und Reformunfähigkeit. Meine Verweise auf die Notwendigkeit einer »zweiten Revolution« wurden, wie nicht anders zu erwarten, als konterrevolutionär verdammt, Ernst Bloch diffamierte man als Revisionisten und stellte ihn kalt. Das System hatte sich abgeschlossen. Laut internem Bericht der sowjetischen Besatzungsmacht streikten bzw. demonstrierten im Juni 53 etwa 800 000 Männer und Frauen. Die Bilanz: 29 Tote, dazu 11 ermordete SED-Funktionäre und Polizisten. Von sechs Todesurteilen wurden vier vollstreckt. Es gab 350 verletzte Demonstranten und 81 verletzte SED-Genossen und Polizisten. Festgenommen wurden 6521 Menschen, nach anderen Quellen 7663, bei Prozessen bis in den Oktober hinein setzte es 1240 Gefängnisstrafen. 1957/58 kamen noch mehrere hundert verurteilte 56er hinzu. Der Blick zurück zeigt: Das von Moskau oktroyierte SED-DDR-Modell war seiner ökonomischen und demokratischen Defizite halber dem Kapital gegenüber nicht konkurrenzfähig. Der Arbeiteraufstand offenbarte die Schwächen der Parteidiktatur, zählte aber selbst zu den nicht mehr zeitgemäßen Kampfmethoden. Die westliche Arbeiterbewegung konnte mit der Existenz von Sowjetunion und DDR im Rücken deutliche Verbesserungen für sich durchzusetzen. Seit dem Ende der SU fehlt das Gegengewicht. Die Balance zwischen Arbeit und Kapital ging verloren. Das Resultat sind Krisen und Kriege wie vor der Russischen Oktoberrevolution, die unter Stalin zwar mißriet, aber die Barbarei des Kapitals essentiell störte, und sei es durch eigene Barbarei. Den 17. Juni als gemeinsame deutsche Geschichte vorzuführen, wie es Eppelmann in 450 Veranstaltungen versucht, kollidiert mit dem Umstand, daß er eine originale und regionale ostdeutsche Revolte war, an welcher Tatsache weder gemeinsame Feiertage noch Fernsehfilme oder Politikerreden etwas ändern können. Die von Arbeitslosigkeit und neuen Kriegen bedrohten Deutschen dürfen sich aber langsam fragen, weshalb es in der Nazizeit keinen vergleichbaren Arbeiter- oder Volksaufstand gegen die Diktatur gegeben hat. Das muß doch mental begründet sein. Für mich wurde der 17. Juni 1953 zur zweiten Wende, die 1957 zu Parteiausschluß und Flucht in die BRD führte. Die erste Wende hatte ich nach dem 20. Juli 1944 als unumgänglichen Bruch mit der deutschen Wehrmacht durch Desertion vollzogen. Eine dritte Wende schien sich 1989/90 zu realisieren als Einheit in Freiheit mit Friedensdividende, stattdessen jedoch ergaben sich mehr Krisen und Kriege, so daß wir einer vierten Wende pazifierender Reformationen in Kirchen, Staaten, Parteien und im Militär bedürfen. Wie wäre es, Herr CDU-Abgeordneter Rainer Eppelmann, mit 450 Veranstaltungen zu diesem tatsächlich so gesamtdeutschen wie weltbewegenden Thema. Ich bin gern bereit zur Mitarbeit.
Erschienen in Ossietzky 11/2003 |
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