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Natürlich konnte sich Frau Bergner im Alter noch auf ihren wunderbaren Start im Berlin Anfang der zwanziger Jahre besinnen, als sie "Wie es euch gefällt" spielte und sich in vielen feinen Rollen präsentierte: "Das war eine Bombe. Das war sozusagen mein Durchbruch. Ich war wie besoffen." Damals explodierten in Frau Bergners Umfeld auch ganz andere "Bomben". Denn das war die Zeit, wie sie in ihren "Unordentlichen Erinnerungen" (Berlin 1987) berichtet, "wo Brecht und Helene Weigel im Deutschen Theater herumliefen und dort zu Hause waren. Eines Tages merkte ich, daß Helene Weigel einen auffallend dicken Bauch hatte, und fragte: ‚Was ist denn das?' Worauf sie mir in der Melodie aus dem ‚Verschwender' antwortete: ‚Da streiten sich die Leut' herum ...' Ein bißchen später erzählte sie mir aber, wer der Vater war, und als der ‚Stefan' sehr bald darauf geboren wurde, hatte er seine komplette Babyausstattung von mir. Brecht war ein sehr gewissenhafter wunderbarer Gatte und Vater. Stefan war ein undankbarer Sohn und ist es heute noch. Ich erinnere mich hier an eine kleine Geschichte über Stefan. Es war während unserer sehr langen, intensiven Vorarbeit zur ‚Duchess of Malfi' in New York. Brecht war eben wieder aus Hollywood nach New York gekommen ... Ich fand ihn ungewöhnlich blaß und deprimiert. Nachdem ich aufgehört hatte, ihn vergeblich zu fragen, was denn los sei, sagte er schließlich von sich aus: ‚Wissen Sie, was Stefan gestern zu mir gesagt hat? Er hat gesagt, von mir werde einmal nichts übrigbleiben als ein paar Gedichte.' Und der mir das damals erzählte, war ‚Herr Keuner'. Und er war sehr bleich. Am liebsten hätte ich damals Stefans Babyausstattung zurückverlangt, so bös war ich auf ihn." Ein im ökonomischen Interesse des Sohnes waltendes Schicksal (falls es ein Schicksal gibt, welches auf familiäre ökonomische Interessen Rücksicht nimmt) hat es immerhin so eingerichtet, daß auf dem Rücktitel der Buchausgaben mit Herrn Keuners späten Gedichten der unübersehbare urheberrechtliche Vermerk prangt: "Copyright by Stefan S. Brecht 1967. Alle Rechte vorbehalten." Übrigens taucht diese Notiz nicht nur in Brechts Gedichtsammlungen auf, sondern, beispielsweise, auch im Band XIV seiner Stücke. Sohn Stefan hat seit seinen Jugendjahren vom Papa Bertolt nämlich einiges gelernt. Zwar nicht, wie man besonders gute Gedichte schreibt (das kann jeder bestätigen, der versucht hat, einen vor vielen Jahren vom Aufbau-Verlag in Berlin herausgegebenen Band mit Stefan-Brecht-Poesie zu lesen). Aber an nützlicher Erfahrung hat sich auch Herr S. B. im Lauf seines Lebens dies und jenes angeeignet. Man lernt ja immer noch was dazu, auch wenn es um die Verrechnung von Tantiemen geht. Da wirft einer schon mal vorwitzige Meinungen, die er in jugendlichem Leichtsinn forsch verkündet hatte, elegant in den bekannten Mülleimer der Literaturkritik. Inzwischen ist bekannt geworden, daß Brechts Stücke Jahrzehnte nach dem Tod des Verfassers eine gewisse Frische bewahrt haben und noch brauchbar zu sein scheinen. Sowas spricht sich ja herum; sogar in New York hört man davon. Neuesten Meldungen zufolge hat der berühmte Regisseur Peter Zadek (Jahrgang 1926) von einer szenischen Chronik Wind gekriegt, die anno 1941 im Schauspielhaus Zürich uraufgeführt worden war; Zadek will "Mutter Courage und ihre Kinder" demnächst inszenieren. In Frankfurt am Main lebte nicht nur der junge Johann Wolfgang Goethe; dort wirkt auch der ältere Marcel Reich-Ranicki. Der Dichter Goethe wurde von der Nachwelt zum Olympier erhoben. Der Buchkritiker Reich-Ranicki ist bis zum heutigen Tag sechsmal als Ehrendoktor ausgezeichnet worden (darunter einmal von der Universität Uppsala), worauf er sich selber zum Literaturpapst ernannte. Der Frankfurter Olympier hat sich nie zu Brechts Theaterstücken geäußert, weil er aus rein kalendarischen Gründen nicht mal deren Autor kannte. Der Frankfurter Literatur-Papst beurteilt diese Dramen genauso überheblich wie der junge Stefan Brecht. Was Reich-Ranicki betrifft, so weiß man aus der Geschichte der Menschheit, wie hartnäckig und intensiv sich Päpste irren. Der Eindruck, daß Päpste ihre Irrtümer fast lüstern genießen, ist nicht von der Hand zu weisen. Wenn R.-R. verkündet, daß allenfalls ein paar Gedichte von Brecht noch interessant seien, wird das die Theatermacher und Theaterfreunde wenig berühren. Jeder macht sich so lächerlich, wie er kann. Elisabeth Bergner (in ihrer Freude an anachronistischen Zeit-Verschiebungen) hätte dem Rezensionsautomaten womöglich keine Babyausstattung geschenkt, sondern einen Sabberlatz.
Erschienen in Ossietzky 10/2003 |
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