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Was wir alle wissen, bedarf keiner Begründung - oder doch? "Wir alle wissen", behauptet er, daß sich der Altersaufbau der Gesellschaft dramatisch verändert habe und daß deshalb Sozialreformen unumgänglich seien - als ob die Misere darin bestände, daß in den vergangenen Jahren nicht genug Nachwuchs geboren worden wäre, der jetzt durch seine Arbeit für die Alten aufzukommen hätte, und als ob deswegen die Alten ihre Ansprüche auf ausreichende Rente und medizinische Versorgung reduzieren müßten - dabei schließen in Ulm wie anderswo Betriebe ihre Lehrwerkstätten, wächst die Jugendarbeitslosigkeit. "Wir alle wissen", weiß Gönner, daß die Europäische Union erweitert werde und daß sich dadurch der Wettbewerb um Produktionskosten verschärfe - als ob Exportweltmeister Deutschland mit seinen besonders niedrigen Lohnstückkosten die Konkurrenz Litauens, der Slowakei und Maltas fürchten müßte. Fast alle glauben zu wissen, was ihnen die Konzernpresse vorschwindelt. Reine Ideologie. Die versammelten Gewerkschaftskollegen klatschen brav - dankbar dafür, daß der Oberbürgermeister am 1. Mai zu ihnen spricht, ganz egal, was er sagt. Und es klingt allemal gemütlich, wenn er "wir alle" sagt. * 2. Mai, Seelow. An der damaligen Reichsstraße 1 (heute Bundesstraße 1) westlich von Küstrin (heute Kostrzyn), wo sie in Richtung Berlin aus der Oder-Niederung auf das 20 Meter höhere Normalniveau brandenburgischer Sandböden ansteigt, starben in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs 50 000 Soldaten (33 000 sowjetische, 5000 polnische, 12 000 deutsche). Die deutschen schossen von oben, konnten von dort mehr toten, aber letztlich den Vormarsch der anderen nicht aufhalten. Noch 1945 setzte die Rote Armee ihren Soldaten, die bei der Befreiung von Faschismus und Krieg ihr Leben gelassen hatten, ein Denkmal. Davor liegt jetzt ein Kranz des Volksbundes deutsche Kriegsgräberfürsorge mit der Schleifenaufschrift: "Den Opfern von Krieg und Gewalt". Die übliche Enthistorisierung, Abstrahierung. Damit man nichts mehr daraus lernen kann. Vor zehn Jahren, im Mai 1993, bedauerte die Berliner Morgenpost die neue Leiterin der Gedenkstätte, weil sie "ein schlimmes Erbe übernommen" habe. Denn der Antifaschismus ist für den Springer-Konzern ein schlimmes Erbe. In einem hinteren Raum, der die Vergangenheit der Gedenkstätte dokumentiert, distanzieren sich die heute Verantwortlichen von dem früheren Namen "Gedenkstätte der Befreiung". Die Wende 1989 habe die frühere Geschichtsinterpretation "ad absurdum geführt", lese ich da. Nach heutiger Geschichtsinterpretation war es keine Befreiung. Das Museum zeigt hauptsächlich Gewehre, Geschütze, Granaten, Uniformen, sowjetische und deutsche, kaum erläutert. Eine Dia-Schau überhäuft die Besucher mit der Aufzählung numerierter Einheiten, die von da oder dort vorstoßen oder sich zurückziehen, ohne daß erwähnt würde, ob sowjetische, polnische oder deutsche Einheiten gemeint sind. Unverständlich. Opfer kommen nicht vor. Am Anfang des Rundgangs steht: "Das Ende des Zweiten Weltkriegs im Osten Europas begann am 12. Januar 1945 mit der Winteroffensive der Roten Armee. In den folgenden Monaten ging Ostpreußen verloren." Wem ging Ostpreußen verloren? Unterschwellig werden die Besucher in ein Kollektiv einbezogen, in ein "wir alle", wo konkret nur die Großdeutsche Wehrmacht gemeint sein kann. - Am Ende des Rundgangs: "Das bittere Ende... Der bittere Weg in die Gefangenschaft." So werden die Besucher emotional auf die Seite der Großdeutschen Wehrmacht gezogen, und so werden sie aus dem Museum entlassen. Dem Besucherbuch ist zu entnehmen, daß hin und wieder die Bundeswehr im Rahmen von Wehrübungen Soldatengruppen herführt. Solche Gruppen hinterlassen gewöhnlich nur die knappe Nachricht, daß sie hier waren. Einen Hauptmann der Reserve dagegen drängte es zum Bekenntnis: "Ruhm und Ehre den deutschen Soldaten, die ihre Heimat - auch in aussichtslosen Lagen - tapfer verteidigt haben." Weitere Eintragungen: "Respektvolle Erinnerung an unsere tapferen Soldaten!" - "Ehrendes Andenken unseren tapferen Soldaten." - "Im Gedenken an unsere gefallenen deutschen Helden, die fürs Vaterland fielen." Jemand wagte einmal, diesem deutschnationalen Militarismus einen kurzen Hinweis entgegenzusetzen, was das für ein Krieg und was das für eine Großdeutsche Wehrmacht war: "mordende Horden, die ganz Europa erobern wollten". Deren Kampf sei nicht heroisch zu nennen. Und: "Ich verbeuge mich vor den sowjetischen Soldaten." Böse Kommentare späterer Besucher umrahmen diese Eintragung: "Hier spricht einer der Unverbesserlichen." - "Leider gibt es davon viel zu viele." Seit 1989 sind die Besucherzahlen um zwei Drittel zurückgegangen. Soll ich das bedauern oder unter diesen Umständen eher begrüßen? Es gibt in der gewendeten Seelower Gedenkstätte noch eine Tür, oberhalb der Toiletten. Sie wird auf Klingeln geöffnet. Dahinter kann man in einem dunklen Treppenhaus eine kleine antimilitaristisch aufklärende Ausstellung besichtigen - auf die außen nichts hinweist.
Erschienen in Ossietzky 10/2003 |
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