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Vor ein paar Wochen war die amerikanische Friedensaktivistin Rachel Corrie in einer ähnlichen Situation; sie erwartete, daß der Fahrer anhält. Er tat es nicht, und sie wurde zermalmt. Ich kam diesmal nicht, um zu demonstrieren, sondern um mich umzusehen. Im Olivenhain, ein paar Meter entfernt von den Zelten, die die Dorfbewohner von Mas'ha zusammen mit israelischen und internationalen Friedensaktivisten aufgebaut hatten, bereiteten drei Ungeheuer den Boden für die "Trennungsmauer" vor. Staubwolken wirbelten auf, und ohrenbetäubender Lärm umgab uns, so daß wir kaum miteinander reden konnten. Sie arbeiteten jeden Tag, sogar über Pessach, zwölf Stunden täglich ohne Unterbrechung. Die israelische Öffentlichkeit ist für die "Trennungsmauer". Sie weiß nicht, was sie da unterstützt. Man muß an Ort und Stelle kommen, um all die Folgen des Bauvorhabens zu verstehen. Diese Mauer hat nichts mit Sicherheit zu tun, auch wenn sie der israelischen Öffentlichkeit als "Sicherheitszaun" verkauft wird. Die Öffentlichkeit, die sich natürlich nach Sicherheit sehnt, nimmt die Worte für bare Münze. Endlich wird etwas getan! Und die Sache sieht ja ganz einfach, fast selbstverständlich aus: Ein Palästinenser, der sich in Israel in die Luft jagen will, muß zuerst die 1967er Grenze, die sogenannte Grüne Linie, überqueren. Wenn eine Mauer oder ein Zaun entlang der Grünen Linie gebaut wird, wird der Terrorist nicht nach Israel kommen können. Keine Angriffe mehr, keine Selbstmordattentäter. Aber die Logik sagt: Wenn dies wirklich ein Sicherheitswall sein soll, dann müßte er direkt entlang der Grünen Linie gebaut werden. Alle Israelis (außer den Siedlern) wären dann auf der einen Seite (der westlichen) und alle Palästinenser auf der anderen. Die Linie sollte so gerade wie möglich und so kurz wie möglich sein; denn sie muß inspiziert, patrouilliert und verteidigt werden. Je kürzer sie ist, desto einfacher und billiger wird sie zu verteidigen sein. Das wäre die Logik der Sicherheit. In Wirklichkeit ist der Wall, von kleinen Abschnitten abgesehen, nicht auf der Grünen Linie gebaut, auch nicht in gerader Linie. Im Gegenteil, er mäandert wie ein Fluß, dreht und windet sich, nähert sich der Grünen Linie und entfernt sich von ihr. Das ist kein Zufall. Das Flußbett wird von der Natur diktiert. Das Wasser gehorcht den Gesetzen der Schwerkraft. Aber der Plan für den Wall berücksichtigt die Natur nicht. Die Bulldozer sind der Natur gegenüber gleichgültig; unbarmherzig durchschneiden sie sie. Was bestimmt diesen Plan? Wenn man neben dem Wall steht, wird die Antwort deutlich sichtbar. Die einzige Erwägung, die seinen Verlauf bestimmt, sind die Siedlungen. Der Wall windet sich wie eine Schlange nach einem einfachen Prinzip: Die meisten Siedlungen müssen auf der westlichen Seite des Walles liegen, um eines Tages Israel angeschlossen zu werden. Als ich auf einem Hügel stand, der vom Wall überquert werden soll, und in westlicher Richtung sah, erblickte ich unten Elkana, eine große jüdische Siedlung. Auf der östlichen Seite - nur ein paar Dutzend Meter entfernt - liegt das palästinensische Dorf Mas'ha. Das Dorf selbst steht auf der östlichen Seite, aber fast all seine Ländereien liegen auf der westlichen. Der Wall wird das Dorf also von 98 Prozent seines Landes abschneiden, von Olivenhainen und Feldern, die sich bis zur Grünen Linie - etwa sieben Kilometer - nahe Kafr Kassem erstrecken. Mas'ha ist ein großes Dorf, wie das Nachbardorf Bidia, wohin Tausende von Israelis an jedem Samstag zum Einkaufen kamen. Auch Mas'ha war einst ein blühendes Dorf. Es hat eine große Industriezone, die nun völlig verlassen ist. Man kann es nur zu Fuß auf einem steilen Pfad erreichen. Zu Beginn der Intifada blockierte die israelische Armee die Hauptstraße mit zwei Haufen von Erde und Felsen. Kein Fahrzeug kann passieren. "Zuerst zerstörten sie unsere Arbeitsplätze," sagt Anwar Amar, der Dorfälteste, bitter. "Jetzt kommen sie wieder und nehmen uns unser Land." Der Wall läßt einige palästinensische Dörfer ganz auf der westlichen Seite - gefangen zwischen dem Wall und der Grünen Linie. Die bewegungslos gemachten Bewohner finden keinen Lebensunterhalt. Andere Dörfer, wie Mas'ha, liegen auf der östlichen Seite, aber abgeschnitten von dem Land, von dem sie lebten. Und es gibt Orte wie die Stadt Kalkilia, die fast vollständig von einer Wall schlinge umgeben wird mit nur einer kleinen Öffnung zur Westbank hin. Eine der Absichten des Walles ist zweifellos, das Leben der Einwohner zur Hölle zu machen, um sie nach und nach zum Weggehen zu bewegen. So schwebt der üble Geruch des "Transfer" über der Mauer. Wie der schreckliche Bulldozer, der Erde und Felsen vor sich herschiebt, so schiebt die Besatzung die palästinensische Bevölkerung immer weiter nach Osten, also hinaus. Historiker können dies als einen kontinuierlichen Prozeß erkennen, der vor 120 Jahren begann und nicht einen Augenblick aufgehört hat. Es begann mit der Vertreibung der Fellachen von dem Land, das abwesende Landbesitzer verkauften, und setzte sich in der Nakba 1948 fort, der massiven Landenteignung der Araber in Israel nach dem Krieg; es folgten die Vertreibungen während des 1967er Krieges, die schleichende Räumung durch den Siedlungs- und Umgehungsstraßenbau während der Besatzungsjahre; und nun vertreibt der Wall weitere Palästinenser. Die hebräischen Bulldozer rollen vorwärts. Es ist kein Zufall, daß Ariel Scharon den Spitznamen "Bulldozer" hat. Der Wall von Mas'ha und Kalkilia, der sich bis in die Gilboa-Berge fortsetzt, ist nicht der einzige. Östlich davon ist schon ein zweiter in Planung. Er wird Ariel und die Kadumim-Siedlungen umgeben, 20 Kilometer in das palästinensische Land vordringen und damit fast die Mittelachse der Westbank, die Ramallah-Nablus-Straße, erreichen. Mehr noch: Scharon plant den "Östlichen Wall", der die Westbank vom Jordantal abschneidet. Wenn diese Absicht verwirklicht ist, wird die ganze Westbank zu einer Insel werden, nur von israelischem Land umgeben. Und die südliche Westbank (Hebron und Bethlehem) wird von der nördlichen Westbank (Ramallah, Nablus, Djenin) abgeschnitten, die ihrerseits in verschiedene Enklaven aufgeteilt wird. Die Landkarte, die so entsteht, erinnert an die Südafrikas zur Apartheidzeit. Die rassistische Regierung schuf mehrere schwarze "Homelands", auch "Bantustans" genannt, angeblich selbstverwaltete Gebiete, deren schwarze Führer von der weißen Regierung bestimmt wurden. Jedes Bantustan war ganz vom Gebiet des rassistischen Staates umgeben, abgeschnitten vom Rest der Welt. Genau dies ist es, was Scharon im Sinne hat, wenn er über einen "palästinensischen Staat" spricht. Er wird aus mehreren Enklaven bestehen, umgeben von israelischem Gebiet, ohne eine Außengrenze mit Jordanien oder Ägypten. Scharon hat daran seit Jahrzehnten gearbeitet, Dutzende von Siedlungen gemäß dieser Karte errichtet. Darin zeigt sich der Zweck. Ebenso wie der Wall nichts mit Sicherheit zu tun hat, wird er gewiß keinen Frieden bringen, sondern nur noch mehr Haß und Blutvergießen erzeugen. Die bloße Idee, daß ein Hindernis aus Zement oder Stacheldraht den Haß beenden wird, ist lächerlich. Die Arbeit der Bulldozer geht weiter - vom frühen Morgen bis in den späten Abend. Scharon redet über den "Fahrplan" (Road Map) und schafft unterdessen neue Fakten auf dem Boden. Aber dieser Wall hat eine noch tiefere Bedeutung. Es ist kein Zufall, daß er in Israel ungeheuer populär ist, von Scharon bis Mitzna und Beilin: Er befriedigt eine innere Notwendigkeit. In seinem Buch "Der Judenstaat", dem Gründungsdokument des Zionismus, schrieb Theodor Herzl 1896 folgende Sätze: "Für Europa würden wir dort (in Palästina) ein Stück des Walles gegen Asien bilden. Wir würden den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen.". Diese Idee, daß wir der Vorposten Europas sind und einen hohen Wall zwischen uns und asiatischer Barbarei - d.h. den Arabern - benötigen, ist in die ursprüngliche Vision eingebettet. Vielleicht hat sie sogar noch tiefere Wurzeln. Als die Juden begannen, in Ghettos zu wohnen - bevor ihnen das von außen vorgeschrieben wurde -, umgaben sie sich mit einer Mauer, um sich von der feindlichen Umwelt abzuschotten. Mauer und Trennung - als Garantie für Sicherheit - sind tief in das kollektive jüdische Unterbewußtsein eingeprägt. Aber eine neue hebräische Gesellschaft in diesem Land will nicht in einem neuen jüdischen Ghetto leben. Wir suchen nicht Trennung, sondern das Gegenteil: Offenheit gegenüber der Region. Nicht "eine Villa im Dschungel", wie Ehud Barak schrieb, nicht einen europäischen Vorposten gegen asiatische Barbarei, wie Herzl den israelischen Staat gesehen hat, sondern eine offene Gesellschaft, die in Frieden lebt und in Partnerschaft mit den Nationen der Region gedeiht. Der üble Wall ist nicht nur ein Instrument, um Palästinenser zu enteignen, nicht nur ein Terrorinstrument, als Verteidigungswall gegen Terrorismus getarnt, nicht nur ein Propagandainstrument, um Sicherheit der Siedler vorzutäuschen. Es ist vor allem ein Hindernis für Israel, ein Wall, der unsern Weg in eine Zukunft des Friedens, der Sicherheit und des Wohlstands blockiert. Aus dem Englischen übersetzt von Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert. Kontext:
Erschienen in Ossietzky 10/2003 |
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