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Die Frau als Zubehör
von Christel Berger
Diese Lebensrolle hatte wohl niemand der Jüngsten aus der Familie des
Universitätsprofessors und Multimillionärs Alfred Pringsheim zugetraut.
Verwöhnt inmitten von vier Brüdern, klug, selbstbewußt und mit
einem für ihre Zeit ungewöhnlichem Anspruch, die Domänen von
Männern zu belegen (Universität und dort ausgerechnet Mathematik und
Physik) – so begann es. Dann begegnete sie dem gerade berühmt werdenden
Schriftsteller Thomas Mann. Hochzeit und in rascher Folge dreimal zwei Kinder,
Krankheiten, Kuren, Hausbauten. Rasch begriff sie, wofür sie gebraucht
wurde. Sie war Haushaltsvorstand, Trösterin, Vermittlerin, Finanzexpertin,
Managerin, Reisebegleiterin, Briefschreiberin, Sekretärin, Kritikerin.
Alles zu beseitigen und notfalls zu erledigen, was »Tommy« vom Arbeiten
abhielt, war ihre Aufgabe. Ein langes Leben lang, in München, in der Schweiz
und im amerikanischen Exil. Sie verinnerlichte und perfektionierte diese Rolle,
so daß sie sich selbst 1936 in einem Brief an Tochter Erika ohne jeden
kritischen oder beleidigten Beigeschmack »sein Zubehör« nannte.
Und dabei war sie sich durchaus bewußt, keine geringe Rolle zu spielen.
Sie hat es zwar nie thematisiert, aber was hätte eine vielleicht drittrangige,
nobelpreisunverdächtige Mathematikerin im Vergleich zu »Frau Thomas
Mann« bewirken können, was wäre sie in der Öffentlichkeit
gewesen?
»Ich habe in meinem Leben nie tun können, was ich hätte tun
wollen« – dieses Bekenntnis aus ihrer Autobiographie nehmen ihr
die Biographenpaare Inge & Walter Jens und Kirsten Jüngling & Brigitte
Roßbeck, so verschieden ihre Betrachtungsweisen auch sonst sein mögen,
nicht ab. Alle vier stehen fest im Stoff, kennen die Lebensspuren von »K«
(wie sie in Thomas Manns Tagebüchern heißt). Warum genau zur selben
Zeit zwei Biographien erscheinen, mag ein Zufall sein, aber sowohl nach dem
Erfolg des Fernsehfilms »Die Familie Mann« als auch lange genug
nach feministischen Übertreibungen kommen die Bücher gerade recht.
Inge und Walter Jens tendieren dazu, die Berechtigung der Rolle als »Zubehör«
und die Erfüllung in dieser Aufgabe als mögliche Selbstverwirklichung
zu würdigen und zu verteidigen. Ihr Buch – stilistisch einheitlicher,
sprachlich gelungener – ist durch und durch nobel und diskret; einige
Ecken und Kanten der Familie Mann werden geflissentlich verschwiegen. Als ergiebige
Quelle erweist sich der von ihnen gefundene Briefwechsel mit Molly Shenstone,
mit der sich Katja Mann in den USA befreundete. Die für mich größte
Entdeckung in diesem Buch: Persönlichkeit und Wirken der Hedwig Pringsheim,
Katjas Mutter.
Kirsten Jüngling und Brigitte Roßbeck, um eine Generation jünger,
schreiben ausführlicher und respektloser. Bei aller Achtung vor Thomas
Manns literarischem Rang können sie an einigen Punkten nicht umhin, sich
über den Egoisten zu empören oder anzudeuten, wie ungerecht sie die
unterschiedliche Aufgabenverteilung im Hause Mann empfinden. In langen Passagen
beziehen sie ein, was die Biographen des Autors ermittelt haben, und wagen es,
auch mal rhetorisch nach Hintergründen und Verschwiegenem zu fragen. Ihre
Katja ist temperamentvoller, anfangs weniger souverän, beispielsweise im
Umgang mit den homoerotischen Neigungen ihres Mannes, aber klug genug, sich
unersetzbar zu machen. Freilich leidet sie dabei mehr, als das Ehepaar Jens
– erfahren in jahrzehntelanger Wissenschaftler-Gemeinsamkeit – seine
Katja leiden sieht. Was ich bei Inge und Walter Jens vermisse, aber bei Jüngling/Roßbeck
erwähnt finde, ist Katjas rüdes Eingreifen, als sich Thomas Mann bei
Senator McCarthy für beschuldigte Rechtsanwälte einsetzen will: Sie
läßt einen Brief einfach verschwinden. Anscheinend fürchtet
sie, ihr Mann riskiere durch sein Engagement gegen den McCarthyismus die in
den USA errungene gesellschaftliche Stellung.
Man sollte beide Bücher lesen. In den unterschiedlichen Perspektiven der
Biographenpaare werden die bleibenden Rätsel um Katja Mann deutlicher.
Inge und Walter Jens: »Frau Thomas Mann. Das Leben der Katharina Pringsheim«,
Rowohlt Verlag, 352 Seiten, 19.90 €; Kirsten Jüngling und Brigitte
Roßbeck: »Die Frau des Zauberers – Katja Mann«, Propyläen
Verlag, 416 Seiten, 22 €
Jochanan Trilse-Finkelstein Der Dichter mit dem freien Stuhl
Die liebsten Dichter einer Nation sind allemal die toten Dichter – auch
in Portugal. Zu Lebzeiten waren viele von ihnen Unruhestifter und litten unter
herrschender Ungerechtigkeit. Sind sie wirklich tot, flicht ihnen die Nachwelt
Kränze und baut Denkmäler – auffällig wohlgelungene Denkmäler
in Lisboa. Gehst du vom hügeligen, enggassigen Bairro Alto über den
Rossio zur Praca do Comercio am Rio Tejo, gelangst du zur Praca Camoes mit einer
erhabenen Statue des Nationaldichters Luis Valdez des Camoes, dessen Todestag,
der 10. Juni 1579 oder 80, zum Nationalfeiertag erhoben ist. Camoes lebte so
kritisch-ruppig wie arm. Fast in Schrittnähe ein weiterer nach einem Poeten
benannter Platz, fast ein Stadtviertel, Largo do Chiado. Chiado heißt
Spottvogel, Lästermaul. Gemeint ist der Balladendichter Antonio Ribeiro,
den man den portugiesischen Villon nennt, Zeitgenosse des Klassikers Camoes.
Ribeiro steht auf einem Sockel und lächelt verschmitzt – oder lacht
er uns aus? In seinem Largo ist immer Bewegung, Trubel, buntes Leben; aller
Klatsch von Lisboa wird hier ausgetauscht.
Kaum habe ich dieses Lachen genossen, stehe ich hinter einer sitzenden, in Metall
gegossenen Figur mit Hut. Sofort kommt die Erinnerung; James Joyce mit Hut im
Zentrum Dublins. Doch dieser Joyce ist Fernando Antonio Nogueira Pessoa (1888-1935),
der »anarchistische Bankier«, Autor mit vier Pseudonymen, der lebenslang
Unruhige und allgemein Verkannte. Just kein Optimist, fand er den Lebenssinn
nicht eben hoch noch tief. In der Monarchie bis 1910 waren, besonders nach dem
Verlust der Großkolonie Brasilien, Land, Leute und seine Familie verarmt.
Als er 22 Jahre alt war, kam eine unfähige, zerrissene Republik mit sieben
Parlamenten und 45 Regierungen in 16 Jahren, und ab 1928 diktierte Salazar.
Da brauchte ein kritischer Autor viele Pseudonyme in den zahlreichen Journalen,
in denen er veröffentlichte. Drei Gedichtbände in englischer Sprache
zwischen 1918 und 1921 waren die Ausbeute zu Lebenszeit, 1933 noch der portugiesische
Titel »Mensagem«, dazu einige Essays und Stücke (Einakter).
Sein Werk war verstreut oder im Nachlaß, erschien gesammelt postum, eine
Gesamtausgabe in den 50er Jahren. Heute gilt er als Vater der portugiesischen
Moderne, Weltautor und ist Legende.
Die gegossene Legende sitzt nun vor dem berühmtesten Café Lisboas,
der Stuhl neben ihm gehört zum Guß des Monuments. Du kannst dich
hinsetzen und Zwiesprache halten mit dem Dichter. Die meisten lassen sich fotografieren,
ich auch. Ich lese dabei in seinem Faust-Fragment in Versen, auch die »Maritime
Ode«. Übrigens kann man das Gipsmodell am Mosteiro dos Jerónimos
(Hieronymus-Kloster, heute Museum) ausgestellt sehen. Ein alter Holzstuhl steht
getreu daneben: das Modell. Pessoa sieht ziemlich traurig aus – so traurig,
wie er die Welt sah. Das Café »A Brasileira« besuchte er
ständig; dort trank er täglich sein Wasserglas Saft, doch dieser Saft
war ein hochprozentiger. Man kann es fast verstehen. Das einstige Bohème-Lokal
ist gegenwärtig zu betriebsam, zu laut, selbst Fado-Musik klingt hier verdudelt-elektronisch.
Fado muß man woanders hören, in bestimmten Restaurants des Stadtteils
Alfama, des ältesten, der sogar das Erdbeben von 1755 überdauert hat,
oder im Fado-Museum, das seinesgleichen sucht. Man findet es im Largo do Chafariz
de Dentro, Nr. 1 in der Alfama. Über zwei Etagen mit zahlreichen Fotos,
Plakaten, Noten, Schallplatten, nicht zu vergessen die verschiedenen Gitarren
und Violas, erfährst du fast alles über den Fado, kannst unterschiedlichste
Aufnahmen hören, lernst zahlreiche Sänger kennen, Fado lieben und
weißt am Ende noch immer nicht, was Fado ist. Das Wort erklärt kaum
etwas. Seine Geschichte ist etwa 200 Jahre alt. Ursprünge liegen im alten
Minnesang und in maurischer Musik, es gibt Hinweise auf Seemannslieder und fernöstliche
Einflüsse, wohl über die Exkolonie Goa. Lisboa war und ist Hafenstadt,
da ist Völkergemisch.
Man spielt Fado im Theater (Teatro de Revista) und im Kino, in Radio und Fernsehen,
in den Fado-Clubs und den erwähnten Restaurants. Seine Spannweite reicht
vom verzweiflungsvollen Trauerlied, etwa von den Altmeistern Toni Pinheiro und
Joaquim Campos, über Gassenhauer und Spottlied, vom Liebes- zum Kampflied;
oft besingen die Künstler ihre Kunst und sich selbst. Die Grenzen sind
fließend. Oft ist Fado kritisch wie aufrüttelnd, fordert Widerstand,
Salazar verbot ihn. Doch der Fado-Sänger José Afonso konnte am 25.
April 1974 mit »Grandola, Vila Morena« die vom Militär ausgehende
unblutige Revolution, die »Nelkenrevolution«, auslösen. Freilich
ist »Grandola« streng genommen kein Fado. Und zündet übrigens
nicht mehr so wie damals, in den Aufbrüchen.
Im Fado-Museum kannst du viel lernen. Es gibt etliche Untergruppen, etwa Fado
Menor, Fado Vitoria, Fado Corride, Fado Monravia u.a. Du kannst auch kaufen.
Kenner warnen, Fado an Kiosken zu erwerben, weil da zu viele unseriöse
Aufnahmen, Nachpressungen angeboten werden. Im Museum mag dich das Überangebot
an CDs mit Amália Rodrigues, der Königin des Fado, bedenklich stimmen.
Doch nur, solange du kramst; wenn du sie hörst, nicht mehr: die Fadista
absoluter Klasse, gleichermassen mit Stimme, Gesangstechnik, Darstellungskraft
und Überzeugung ausgestattet. Sie sang die Lieder aller Meister des Genres
von Alberto Janes über J.A.S. Moreira bis zu Luis Macedo. Manches wurde
allein für sie geschrieben, komponiert. Sie war eine nationale Stimme.
Als sie starb, gab es drei Tage Landestrauer. Wann wäre das jemals in hiesigen
Breiten denkbar, für wen?
Sie war in Sälen aufgetreten, in Arenen, auf Plätzen, in Radio und
TV; vor allem jedoch in den Fado-Restaurants im Bairro Alto, etwa im »Cristal«
oder in der »Casa do Leao« im Castelo Sao Jorge in der Alfama. Auch
im seit 1930 bestehenden »Luso« wie andere Großmeister: Manuel
de Almeida, Jomquin Pimentel oder Filipe Pinto. Gedenktafeln erinnern. Im »Luso«
erlebte ich in ihren schwarzen Gewändern Elsa Laboreiro und Yola, deren
Nachnamen man nicht nannte, den Tenor Pedro Motin, den Bariton Marco und die
unentbehrlichen drei Guitaristas. Jeder und jede sangen jeweils drei Lieder
unterschiedlichster Art, vom Jauchzer über das Klagelied zum Protest. Am
stärksten wirkte das Duett zweier Männer: der eine auf der Bühne.
der andere aus dem Saal unmittelbar neben meinem Tisch. Das klang wie große
Tragödie.
Im halbvollen Saal fast nur Ausländer, zumeist Briten. Viele gingen in
der Pause, der Raum wurde verkleinert. Kurz vor Mitternacht begann der zweite
Teil – die Musiker nun vor den Tischen im Saal. Man pflegt hier gut und
teuer zu speisen. Daher so wenige Einheimische? Wirtschaftskrise im Fado-Lokal?
Allmählich verließen weitere Gäste das Haus. Schließlich
hatte ich ein König-Ludwig-Erlebnis: Neun Musiker sangen und spielten nur
noch für zwei Gäste – mit Disziplin und vollem Ernst. –
Lange klang der Fado in mir nach. Noch jetzt, da ich schreibe: über die
CD von Nuno de Aguiar, dessen CD »História de Fado« an großen
Stücken hören lehrt. Und über allem die Stimme von Amália
mit ihrem vielleicht schönsten Lied »Al, Mouraria«.
Erschienen in Ossietzky 9/2003
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