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Erinnerung an einen Krieg um Öl
von Jean Villain
Der Autor hat in seinen alten Tagebüchern geblättert und darin diese
bisher unveröffentlichte Reisenotiz aus dem Jahre 1974 gefunden.
Pißwarme Tropennacht. Gemächlich schaukelt uns die »Frédéric
Joliot Curie« am nigerianischen Schelf entlang. Unser Ziel: Douala am
Douala-River, der größte Hafen Kameruns. Doch trotz Neumond ist der
Himmel ostwärts ungewöhnlich hell, er leuchtet dort so flammend rot,
als ginge gleich die eben erst im Meer versunkene Sonne wieder auf.
Ostwärts von uns liegt Biafra, jener Teil Nigerias, der, seines Erdölreichtums
wegen, vor kurzem erst von einem Krieg verwüstet wurde. Was jetzt noch
längs dieser Küste lodert, ist allerdings kein Kriegsbrand mehr, es
sind die Abgas-Fackeln von mehr als hundert im seichten Schelfwasser stehenden
Bohrinseln. Nur daß diese Feuersäulen höher lodern als die anderer
Bohrplattformen, weil hier das zusammen mit dem Öl anfallende Erdgas in
ungeheueren Mengen abgefackelt wird. Da vor Ort nicht profitabel nutzbar und
sein Export als Flüssiggas zu teuer, verkündet es, verwandelt zum
über viele Seemeilen dunkelrot flackernden Fanal, daß hier Ressourcen
vernichtet werden, von denen die Zukunft Afrikas abhängt. Sein Widerschein
liegt auf den Wellen wie eine untilgbare Blutspur und gibt uns, die wir dieses
falsche Morgenrot von der Brücke unseres Dampfers aus betrachten, das Gefühl,
die Spur führe direkt zum Hauptportal der Hölle.
Was ist uns, dem Kapitän, dem Chief Mate, dem Funker und mir, von jenem
noch gar nicht so weit zurückliegenden Krieg in Erinnerung geblieben? Nur
mühsam kriegen wir's zusammen.
Von Oktober 1966 bis Anfang 1970 kämpften Ibos gegen Haussas. Die in Westeuropa
und den USA von den Medien geschickt gelenkte öffentliche Meinung sympathisierte
mit den »unterdrückten« Ibos, die weiter nichts als frei sein
wollten und im Frühjahr 1967 in Port Harcourt ihre »freie Republik
Biafra« ausriefen.
Und weiter? Die nigerianische Zentralregierung versuchte, die Sezession militärisch
zu beenden, was in den USA und in Westeuropa Stürme der Entrüstung
auslöste und unzählige wohltätige und andere Vereine dazu veranlaßte,
erhebliche Geldmittel und Sachspenden für die Ibos zu sammeln. Bald schon
trafen in Port Harcourt die Care-Pakete voller Nestle-Büchsenmilch und
Schokolade ein, gefolgt von Medikamenten und Verbandsstoff für die Kämpfe
an der Front und schließlich gar von Leichtflugzeugen, denn die armen
Ibos mußten sich doch gegen die bösen Militärs aus Lagos wehren
können! Und dieweil die Sammelbüchsen allenthalben weiterklapperten,
flogen Spezialisten aus Europa nach Port Harcourt, um den Ibos beizubringen,
wie man aus Leichtflugzeugen Bomben schmeißt. Daraufhin ließ sich
die Zentralregierung gleichfalls ein paar Leichtflugzeuge liefern. Aus Moskau.
Weil die USA und Westeuropa keine liefern wollten. Was in Nordamerika und Westeuropa
die spitzen Schreie der Empörung und das Geklapper der Sammelbüchsen
noch lauter werden und auch die Zahl der nach Port Harcourt entsandten Spezialisten
weiter ansteigen ließ.
Das Ergebnis dieser solidarischen Bemühungen zweier hoch zivilisierter
Kontinente: mehr als eine Million tote Ibos, tote Haussas, eine unbekannte Anzahl
Toter weiterer Stämme und ein paar hunderttausend den Hungertod gestorbene
Kinder.
Davon, daß der Nigerdelta-Sezessionskrieg etwas mit den Bohrungen im Schelf
zu tun haben könnte, die selbst kühnste Hoffnungen der Erdölmultis
noch bei weitem übertrafen, war in den internationalen Massenmedien kaum
die Rede. Um so mehr von Menschenrechten, Freiheit und Gerechtigkeit. In Wahrheit
jedoch war man fündig geworden wie noch nie in jener Gegend Afrikas: Wo
immer man bohrte, sprudelte es so ergiebig, daß man, um den Barrel-Preise
am Weltmarkt vor dem Absturz zu bewahren, anderswo die Förderung drosseln
mußte, und je länger das Gemetzel im Nigerdelta währte, desto
heller flackerte die Festbeleuchtung vor Biafras Küste.
Als ich in dieser geisterhaften Nacht der falschen Morgenröte noch einen
Blick auf die Seekarte warf, entdeckte ich, daß der Kurs, auf dem wir
uns befanden, auch in anderer Hinsicht alles andere als geheuer war. Führte
er doch mitten durch ein seltsam quergeriffeltes Karree, das etwa 60 Meilen
lang und 40 breit sein mochte. Das Kreuzchen, das die neueste, mit Bleistift
eingetragene Position angab, lag mitten drin. Ebenfalls darin ein ungewöhnlich
langes Wort in fetten Druckbuchstaben: »Munitionsversenkungsgebiet«.
Es stand für ein paar hunderttausend Tonnen im zweiten Weltkrieg ungenutzt
gebliebener Bomben und Granaten wie auch giftiger Gase, für eine unberechenbare
Drachensaat, die Großbritanniens Regierung 1946 hier hatte versenken lassen.
Schiffsladungsweise, vor der Küste einer ihrer Kolonien und in sicherer
Distanz zu Englands grünen Ufern. Seither finden die Fischer Biafras in
ihren Netzen immer wieder korrodierte Kegel und Kanister. Ihr Problem, wie sie
mit ihnen fertig werden...
Erschienen in Ossietzky 9/2003
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