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Gerechtigkeit made in USA
von Ralph Hartmann
Als am Dienstag, dem 12. Februar 2002, vor dem Haager Jugoslawien-Tribunal
der Prozeß gegen Slobodan Milosevic, langjähriger Präsident
des von der NATO überfallenen Landes, begann, erklärte Chefanklägerin
Carla del Ponte mit feierlicher Stimme: »Dieses Tribunal und dieser Prozeß
demonstrieren machtvoll, daß niemand über den Gesetzen steht und
niemand der internationalen Justiz entkommt.« In Washington, wo man gerade
den Angriffskrieg gegen Afghanistan auswertete und den gegen den Irak vorbereitete,
wurde diese Botschaft mit Gelassenheit, ja mit Wohlwollen aufgenommen. Schließlich
weiß man hier nur allzu gut, daß derartige »machtvolle Demonstrationen«
nicht für die Mächtigen, sondern für die Machtlosen gelten. Und
außerdem: Am Churchillplatz Nr. 1, Sitz des Gerichtes, geschah und geschieht
nichts Wesentliches, was nicht das Plazet Washingtons hat. Wenn es dazu noch
eines Beweises bedurft hätte, dann wurde er inzwischen mit der Ernennung
des US-Amerikaners Theodor Meron zum Präsidenten des Tribunals geliefert.
Die internationale Öffentlichkeit nahm davon kaum Notiz, obwohl es sich
um eine Groteske der besonderen Art handelt. Mit dem Präsidenten der Amerikanischen
Gesellschaft für Internationales Recht übernahm ausgerechnet ein Vertreter
jenes Staates die Leitung des illegitimen Jugoslawien-Tribunals, der die völkerrechtsgemäße
Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofes strikt ablehnt und damit droht,
seine eigenen Staatsbürger notfalls mit militärischer Gewalt vor der
Jurisdiktion dieses Gerichtes zu schützen.
Wie man hört, arbeiten der Gerichtspräsident und die Chefanklägerin
prächtig zusammen. Doch zum Leidwesen ihrer Auftraggeber hat del Ponte
wie schon im Kosovo-Komplex (Ossietzky 21/2002) auch bei der Behandlung der
Kroatien- und Bosnien-Klage wenig Freude an ihren Zeugen – weder an den
aufgebotenen hochgestellten Persönlichkeiten noch an den sogenannten Augenzeugen
oder deren Vertretern. In den von Milosevic geführten Kreuzverhören
machen sie keine gute Figur.
Der zum Kroatien-Komplex als Hauptzeuge benannte kroatische Präsident Stepe
Mesic beschuldigte Milosevic, Jugoslawien zerstört zu haben, um ein »Großserbien«
zu errichten. Wie eine Seifenblase platzte diese Beschuldigung, als der Angeklagte
den Zeugen, zum Zeitpunkt der Zerschlagung der Sozialistischen Föderativen
Republik Jugoslawien Vorsitzender des kollektiven jugoslawischen Staatspräsidiums,
daran erinnerte, daß dieser ein Buch mit dem bezeichnenden ursprünglichen
Titel »Wie ich Jugoslawien zerstörte« verfaßt hat. Auf
Nachfragen mußte Mesic einräumen, daß er den Titel letztlich
auf Anraten des damaligen deutschen Außenministers Genschers änderte.
Nun heißt das Werk »Wie Jugoslawien zerstört wurde«.
Zum Bosnien-Komplex trat als erste Zeugin die Sekretärin des Bundes der
Lagerinsassen von Bosnien-Herzegowina, Malike Malisevic, auf, die 63 Arten perverser
Mißhandlungen von Moslems in serbischen Lagern darlegte. Dabei machte
sie selbst dem Erfinder des serbischen Fötengrills, Rudolf Scharping, Konkurrenz.
Sie übertraf ihn mit der Schilderung von Greuelszenen in der Aula einer
nicht näher bezeichneten Schule. Dort seien – zum Ergötzen der
uniformierten Zuschauer – acht Väter und Söhne auf die Bühne
gezerrt und gezwungen worden, sich nackt auszuziehen und sich gegenseitig den
Penis abzubeißen. Soweit die Zeugin der Frau del Ponte.
Welche Gefühle die Richter bei dieser Schilderung bewegten, darüber
sagt das Verhandlungsprotokoll nichts aus. Es hält allerdings fest, daß
die Zeugin im Kreuzverhör keinerlei Beweise oder Augenzeugen für ihre
Berichte nennen konnte. Auch vermerkt es die unwidersprochene Feststellung von
Milosevic, daß von den 15 Lagern, die die Zeugin erwähnte, 14 nur
dieser selbst bekannt sind und das einzige, das tatsächlich existierte,
das Gefangenenlager in Batkovic war. Es stand unter der permanenten Beobachtung
des Internationalen Roten Kreuzes. Von hier aus wurden Gefangene ausgetauscht.
Nein, im Saal 1 des Tribunals sieht es für Carla del Ponte und ihre Auftraggeber
– trotz der bisher 180 Prozeßtage, an denen ihre »Zeugen«
aufmarschierten, wozu noch einmal 117 Tage kommen sollen – auch weiterhin
nicht gut aus. Noch immer ist es ihnen nicht gelungen, den Angeklagten in die
Knie zu zwingen, obwohl sich sein Gesundheitszustand durch die unzumutbaren
Haft- und Verfahrensbedingungen, das Fehlen von Erholungspausen, selbst von
frischer Luft, lebensbedrohlich verschlechtert hat. Mehrfach mußten die
Verhandlungen deshalb unterbrochen werden. Die Staatsanwaltschaft ließ
daraufhin verlauten, Milosevic verweigere die Medizin zur Senkung seines außergewöhnlich
hohen Blutdruckes. In Wahrheit lehnte er die vom Gefängnisarzt verordnete
Medizin ab, die zu Schwindelgefühl, Schlaflosigkeit und allgemeiner Schwäche
führte und deren Dosis gar verdoppelt werden sollte. Er verlangte die Medikamente,
mit denen ihn seine jugoslawischen Ärzte behandelt hatten. Diesem Verlangen
wurde schließlich stattgegeben, nicht jedoch der international erhobenen
Forderung, ihm die Möglichkeit zu geben, sich außerhalb der Gefängnismauern
von seinen Belgrader Ärzten behandeln zu lassen. Statt dessen stellte die
Staatsanwaltschaft dem Angeklagten großzügig insgesamt 400 000 Seiten
Prozeßmaterialien zur Verfügung und Überlegungen an, wie der
Prozeß trotz einer Verhandlungsunfähigkeit fortgesetzt werden könne.
Sie reichten von der rechtswidrigen Absicht, dem sich selbst Verteidigenden
einen Pflichtverteidiger aufzuzwingen, bis zu dem absonderlichen Vorschlag,
Milosevic könne den Prozeßverlauf von seiner Zelle aus verfolgen.
Dies und manches andere deutet darauf hin, daß das nun von einem US-Amerikaner
geleitete Tribunal das einst im Wilden Westen vor Gericht geltende Motto »Give
him a fair trial and hang him« modifiziert in: »Give him an unfair
trial und lock him away forever«.
Neuerdings mehren sich auch die Anzeichen für ein engeres Zusammenwirken
zwischen dem Tribunal und den Regierenden in Belgrad. Unmittelbar nach dem heimtückischen
Mord an dem serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djin djic versuchte del
Ponte als erste, den Verdacht auf Milosevic und seine Anhänger zu lenken.
Der Versuch schlug fehl, da sich bald herausstellte, daß die Mörder
in den Reihen der »Roten Barette«, einer früheren Spezialeinheit
der Armee, zu suchen waren, also in Kreisen, mit denen Djindjic bereits im Jahre
2000 beim Sturz Milosevics insgeheim kooperiert hatte. Es war zu unwahrscheinlich,
daß die Verräter an Milosevic auf dessen Geheiß ihren damaligen
Auftraggeber umgebracht haben sollten.
Doch del Ponte mußte nicht allzu enttäuscht sein. Im Zuge der Ermittlungen
gegen die Djindjic-Attentäter wurde die Leiche des im August 2000 entführten
früheren serbischen Präsidenten Ivan Stambolic gefunden, den Milosevic
Ende der 80er Jahre entmachtet hatte. Ohne die Spur eines Beweises wurde behauptet,
Milosevic und/oder seine Ehefrau Mirja Markovic hätten die Entführung
und Ermordung in Auftrag gegeben, da Stambolic ein gefährlicher Konkurrent
in der unmittelbar bevorstehenden Präsidentschaftswahl gewesen sei. Daß
Stambolic überhaupt nicht kandidiert hat, spielte keine Rolle, ebensowenig
die Tatsache, daß Stambolic im Falle seiner Kandidatur die Anti-Milosevic-Kräfte
gespalten und damit eher dem Präsidentschaftskandidaten der damaligen Opposition
(DOS) als dem Amtsinhaber geschadet hätte. Ungeachtet dessen wurde inzwischen
Strafanzeige gegen Milosevic erstattet, da der ernsthafte Verdacht bestehe,
daß er die Stambolic-Mörder »angestiftet« habe.
Nach Djindjics Ermordung hatte die serbische Regierung den Ausnahmezustand verkündet
der 40 Tage währte. Demokratische Grundrechte wurden außer Kraft
gesetzt. Über 10 000 Personen wurden verhaftet. Auch nach Einschätzung
des bis vor kurzem amtierenden jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica
nutzte die DOS-Regierung den Ausnahmezustand »zur Abrechnung mit politisch
Andersdenkenden«. Das Belgrader Nationale Komitee für die Verteidigung
des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten (»Sloboda«) war und
ist schweren Repressalien ausgesetzt, sein Koordinator, Bogoljub Bjelica, wurde
verhaftet, auch andere Komitee-Mitglieder wurden wochenlang in Einzelhaft ohne
jegliche Kommunikaton mit der Außenwelt gehalten, Computer und für
die Unterstützung des Haager Angeklagten wichtige Dokumente wurden beschlagnahmt.
Gegen Milosevics Ehefrau, die sich in Moskau aufhalten soll, wurde Haftbefehl
erlassen. Lautstark wurde angekündigt, ihr Ehemann werde zum Mordfall Stambolic
von serbischen Ermittlern in Den Haag verhört.
Als sich Milosevic zu Beginn der neuerlichen Kampagne, die seine Verteidigung
untergraben soll, vor dem Tribunal zur Wehr setzte, wurde ihm in bekannter Manier
das Wort entzogen. Er konnte gerade noch verlangen, umgehend zum Mord an Stambolic
vernommen zu werden – und zwar öffentlich, vor laufenden Kameras.
Bisher sind die angekündigten und angeforderten Vernehmungsbeamten in Den
Haag nicht gesichtet worden. Statt dessen werden weitere ehemals hochrangige
serbische Angeklagte nach Den Haag geflogen, unter denen man solche »Insider«
zu finden hofft, die zur Rettung ihrer eigenen Person endlich die erhofften
Aussagen gegen Milosevic machen. Dieser zeigt sich indes weiter ungebeugt. In
einer Erklärung vom 23. April konstatierte er: »Dieses illegale Gericht
erlebt ein tagtägliches Fiasko. Und das in seiner eigenen Halbzeit. In
der Halbzeit, in der seine lügnerische Anklage und seine verlogenen Zeugen
auftreten. Das währt bereits das zweite Jahr. Sie wagen nicht, daran zu
denken, wie meine Halbzeit aussehen wird, in der ich sprechen werde und in der
die Zeugen sprechen werden, die ich aufrufe.«
Doch für Illusionen über den Prozeßausgang besteht auch weiterhin
kein Anlaß. Zweifellos wird das Zusammenspiel zwischen den Initiatoren
des Tribunals und Belgrad den Druck auf Milosevic erhöhen. Selbst während
des Angriffskrieges gegen den Irak fand US-Außenminister Colin Powell
Zeit, Belgrad einen Besuch abzustatten und seine Gesprächspartner zu ermuntern,
weitere Kriegsverbrecher auszuliefern, »damit sie der Gerechtigkeit ins
Antlitz sehen können«.
Erschienen in Ossietzky 9/2003
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