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Mit Schirrmacher nach Bagdad
von Otto Köhler
Karfreitagmorgen Punkt acht trafen wir uns am Bundeskanzleramt. Frank Schirrmacher
hatte seinen Dienst-Mercedes und Hans Magnus Enzensberger mitgebracht
Zwei Tage zuvor hatte Schirrmacher wieder einmal ein neues Projekt gedruckt.
Diesmal nicht den vierseitigen Plan des menschlichen Genoms. Sondern auf einer
Seite, aber in der neuen FAZ-Buntheit und kartenbestückt: »Die Straße
nach Bagdad.« So die Überschrift. Die Unterzeile war frohe Osterbotschaft:
»Atlas der Erreichbarkeit: 40 Stunden, 74 Abzweigungen bis in den Irak
– Der Horizont der neuen Weltordnung ist nicht mehr mit Brettern vernagelt.«
Wunderbar: Ankunft in Bagdad Karsamstag um Mitternacht, Ostersonntag zur freien
Verfügung, Ostermontag um acht zurück, Osterdienstag um Mitternacht
wieder in Berlin.
Gewiß, zusammen mit Enzensberger empfand der Herr des FAZ-Feuilletons
Grund zu »triumphaler Freude« über Saddams Fall. Aber noch
mehr freute er sich über sein Mercedes-Navigationssystem: »Wer dieser
Wegbeschreibung folgt, könnte erkennen, daß die Amerikaner im Irak
etwas für Europa ausgefochten haben, nicht gegen Europa.«
Na, mir soll’s recht sein. Deshalb stieg ich in seinen Dienst-Mercedes.
Er gab die Richtung ein: »Hier ist ein Navigationssystem angewandt worden,
um das Streckennetz einer neuen Weltordnung abzubilden. Man könnte jetzt
an einer Straßenkreuzung halten, nach dem Weg fragen und wäre nach
der 74. Abzweigung im Lande Ur.«
Es war im Grunde ganz einfach. Die neue Weltordnung aus dem Routenplaner in
Schirrmachers Dienstwagen hub so an: »Berlin: 1. Folgen Sie der Straße
Unter den Linden für 233 Meter (233 m / 0.01 Std.). 2. Biegen Sie nach
rechts ab, folgen Sie der Wilhelmstraße für 160 Meter (393 m / 0,01
Std.)«
Von links kam japsend Helmuth Karasek angerannt, zog Angela Merkel hinter sich
her. Sie winkten und riefen: »Wir gehören an die Seite Amerikas.«
Sie wollten mit. Schirrmacher tat, als merke er nichts, warf den Eulenspiegel
ungelesen aus dem Autofenster und fuhr, ohne zu bremsen, weiter. »Für
mich gibt es Grenzen«, murmelte er uns angewidert zu, »die müssen
wir pünktlich erreichen.«
Nach 226,3 km oder 2.32 Stunden hätten wir nach Schirrmachers Plan 17.
Polen erreicht. Vielleicht stimmte die Kilometerzahl, an die Staus war natürlich
nicht gedacht, vier Stunden hatte es gedauert. Aber Polen war in 25 Minuten
überfahren, nach 48,1 km, wenigstens auf dem Schirrmacher-Papier: »Wir
erleben seit Jahren eine Revolution des Raumes und haben doch noch die Karten
der Breschnew-Zeit im Kopf. Ehe wir Deutschen ganz und gar und für immer
in die Irre gehen, sollten wir den Raum schleunigst neu vermessen.« Da
drang er schon – zwanzigstens – in die Tschechische Republik ein,
bei Kilometer 668,3, Station 34 Bratislava, Soll 7.03 Std.; es wurde dunkel,
ich stieg aus, mir reichte es, ich hatte schon mal, weil ich den Zeitangaben
eines Routers glaubte, meinen Führerschein verloren. Und Schirrmacher hatte
die neue Grenze zwischen der Tschechischen Republik und der Slowakei, die alte
Protektoratsgrenze, überhaupt nicht wahrgenommen, auf seinem Plan nicht
verzeichnet, der Ärmste hatte – als FAZ-Herausgeber – noch
Breschnews Landkarte im Sinn.
So wäre es weitergegangen. Nach 10.53 Std., bei km 1064 Abzweig: »49.
Grenze zu Jugoslawien.« Jugoslawien? Die Breschnew-Karte! Ganz wie 1941
unter dem Führer gibt es heute kein Jugoslawien mehr. Seit 31. Mai 2002
nicht einmal mehr ein Restjugoslawien, das heißt jetzt Serbien und Montenegro,
Herr Schirrmacher.
»Es ist die Wegbeschreibung von Berlin, Bundeskanzleramt, in den Irak«,
versprach er seinen Lesern und präzisierte: »nach Bagdad«.
Von wegen. Seine Wegbeschreibung endet in der Türkei, Station 74: »Den
Grenzort Semdinli erreichen Sie nach 3918 km.« Von da sind es noch 40
Kilometer bis zur Grenze und an die 600 Kilometer nach Bagdad. Aber wie? Er
bleibt stumm, und meine Microsoft AutoRoute hilft auch nicht weiter: »Es
können keine Anweisungen von Semdinli nach Bagdad abgerufen werden. Eines
der vorhandenen Gebiete verfügt möglicherweise nicht über notwendige
Anschlußstellen wie Fähren oder Hauptstraßen.«
Semdinli und drumherum – ein gefährliches Gebiet. Die Türken
und die Kurden wissen noch nichts von Schirrmachers neuer Weltordnung, und Enzensbergers
triumphale Freude macht sie auch nicht an. Sie schießen einander tot.
Dumm, wenn man da dazwischenkommt.
Ich war glücklich, als ich ganz ohne die neue Weltordnung schon am Ostersonntag
aus Bratislava wieder zu Hause war, in Hamburg. Weiter als Ringelnatz hatte
ich es geschafft: »In Hamburg lebten zwei Ameisen, / Die wollten nach
Australien reisen, / Bei Altona auf der Chaussee, / Da taten ihnen die Beine
weh,/ Und da verzichteten sie weise / Dann auf den letzten Teil der Reise.«
Was aber aus Schirrmacher und Enzensberger geworden ist, weiß ich nicht.
Und wenn sie nicht gestorben sind, fragen sie in Semdinli noch immer nach der
Straße nach Bagdad.
P.S. Sollten in nächster Zeit mit »Frank Schirrmacher« oder
»Hans Magnus Enzensberger« unterzeichnete Artikel in der FAZ erscheinen
– Vorsicht! Die Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland hält
sich aus verständlichen Gründen vier Doppelgänger ihres Herausgebers.
Und Hans Magnus Enzensberger war eh nur ein Wiedergänger wessen gerade
auch immer.
Erschienen in Ossietzky 9/2003
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