Gott so fern ...

von Bernd C. Hesslein

Noch ist nicht der letzte Marschflugkörper ins falsche Ziel gelenkt worden, da wird für den Kriegsherrn im Weißen Haus schon Weihrauch gestreut. Unter den ersten der deutsche Außenminister, den die Medien gern kumpelhaft Joschka nennen. "Es ist klar", so verkündete er in Israel, wo vielleicht doch noch - wie zweimal zuvor (für Begin/Sadat und für Arafat/Rabin) - ein halber Friedensnobelpreis anfallen könnte, "daß die Amerikaner im Fahrersitz sein müssen." Es wird eine Höllenfahrt werden. Denn auch der Minister weiß, daß es bei der sogenannten Neuordnung im Nahen Osten weitergehen wird mit der Ausschaltung der Vereinten Nationen, der Mißachtung des Völkerrechts.

Es ist eine gespenstische Situation: ein Gottgesandter an der Spitze der mächtigsten Nation, deren demokratische Kontrollmechanismen außer Kraft sind, benutzt und angestiftet von einer Ministerriege, die mit dem demagogischen Bild vom weltweiten Terrorismus die Welt unter ihren Willen und ihre Interessen zwingen will. Ein lachhaftes Bild, sollte man meinen in einem Europa, das all dies schon mehrfach hinter sich hat. Und doch verfällt der geschichtserfahrene alte Kontinent seiner notorischen Untugend, mit gespaltener Zunge zu reden und sich um eine herrschsüchtige Großmacht zu drängeln. Appeasement nannte man das vor dem Zweiten Weltkrieg, als die Staatengemeinschaft des Völkerbundes die Rechtsbrüche und Provokationen des Nazi-Reiches beschwichtigend hinnahm. Heute verhält sich die westliche Welt ohne Not gegenüber der führenden Demokratie, als ob ein Despot bereits im Weißen Haus säße.

Tatsache ist, daß die Weltmacht USA einen (offensichtlich heilsamen) weltpolitischen Widerpart braucht. Doch wo kein Feind ist, der die selbsternannte und auch gehätschelte Führungsmacht USA in ihren Grenzen hält, sollten es die Freunde tun. Und die Vereinten Nationen, deren energisches und wohlmeinendes Gründungsmitglied die USA waren, ehe sie den aus Atomwaffenbesitz geborenen Allmachtsphantasien erlagen. Hier ist der Platz, an dem gegen Ungleichheit, Terrorismus und Gewalt in der Welt angegangen werden muß, kontinuierlich und rechtzeitig. Von hier aus kann Demokratie verbreitet werden. Von gleichen Nationen unter gleichen statt durch die Willkür einer Hegemonialmacht. Nur das Prinzip einer dem Völkerrecht unterworfenen Staatengemeinschaft wird die Welt vor ihren Selbstgefährdungen schützen.

Die wiedererwachte Friedensbewegung wird diesen Weg begleiten müssen. Die Politik bedarf ihres spontanen Protests und demonstrativen Drucks, damit Bewegung in das erstarrte System der Parteiendemokratie kommt. Die erstarkte und von neuen Generationen belebte Friedensbewegung darf sich nicht noch einmal, wie nach dem Scheitern der Anti-Raketen-Kampagne in Deutschland, gekränkt und mutlos zurückziehen. Sie kann vielleicht verhindern, daß die Vereinig ten Staaten von Amerika neben dem traditionellen Hinterhof Lateinamerika sich noch Europa als Vorgarten zulegen.

Sonst aber wird für die verwöhnte Alte Welt wahr, was sich in einem mexikanischen Volksspruch ausdrückt: "Gott so fern und Amerika so nah." Wer will das schon - außer Angela Merkel?

Erschienen in Ossietzky 8/2003