Heckenschützen und Plünderer

von Arno Klönne

Die US-amerikanischen und britischen Truppen hatten im Irak den Erfolg, mit dem zu rechnen war, es sei denn, man wäre auf die propagandistische Erfindung einer weltbedrohenden irakischen Streitmacht hereingefallen. Die Massenvernichtungswaffen, mit denen Saddam Hussein nach Angaben der US-amerikanischen und britischen Regierungspolitiker die Welt überziehen wollte, wurden nicht eingesetzt und nicht gefunden; es gab sie nicht. Anscheinend geben sich die politischen und militärischen Anführer der Irakbesatzung jetzt auch keine große Mühe, Beweismaterial für die behauptete Notwendigkeit des kriegerischen Zugriffs nachträglich aufzutreiben. So wichtig ist ihnen die moralische Rechtfertigung nicht. Und wenn der nächste Krieg - ob gegen Syrien oder Iran - ansteht, wird es einer aufwendigen Propaganda zwecks psychologischer Kriegsvorbereitung nicht mehr bedürfen: Alle Welt weiß ja jetzt, daß die USA den Nahen Osten als ein Terrain betrachten, das ihrer Gewalt untersteht.

Immerhin strengte sich die US-amerikanische Kriegsberichterstattung an, diejenigen Iraker, die zwar nicht unbedingt das Saddam-Regime, aber doch ihr Land gegen eine angreifende Macht verteidigen wollten, als Ausgeburten des Bösen hinzustellen, und so war denn viel von "Heckenschützen" die Rede, wenn Menschen mit Flinten gegen Panzerbesatzungen anzugehen versuchten. Der Begriff stammt aus Zeiten, als bei der Kriegsführung noch auf Parität Wert gelegt wurde: Die Krieger sollten sich im offenen Kampfe mit gleichen Chancen gegenüberstehen. Aber nun, im Irak: "Heckenschützen" als die Schurken und ihnen gegenüber eine angeblich saubere, angeblich sich offen dem Feinde entgegenstellende High-Tech-Kriegsmaschinerie mit ihren Streubomben? Absurder geht es nicht.

Sodann traten die Plünderer auf den Plan, für die Kriegsberichterstattung zur rechten Zeit, um eine langanhaltende Militärherrschaft der Angreifer als unentbehrlicher Ordnungskräfte zu begründen. Aus dem "befreiten irakischen Volk" wurde über Nacht ein "Mob". Der raubte Behörden, Museen und Krankenhäuser aus, aber ein einziges Ministerium ließ er ungeschoren: das nämlich, das die staatliche Ölindustrie administriert. US-amerikanische Soldaten hatten dieser Institution sogleich ihren Schutz gegeben. Das war nicht anders zu erwarten, denn hier wollen demnächst andere Plünderer einziehen, größere, die sich nicht randalierend im Fernsehen vorführen lassen.

Die kleinen irakischen Plünderer aber müßte man vielleicht wegen ihrer raschen Auffassungsgabe, ihrer Lernfähigkeit loben: Sie haben begriffen, daß es sich auszahlt, das Faustrecht anzuwenden. Freilich: Manche haben schwache, andere starke Fäuste. Wer hätte stärkere als die US-amerikanischen Truppen und die Konzerne, denen sie den Weg bereiten?

Erschienen in Ossietzky 8/2003