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Wir gingen anfangs vorsichtig nach vorn, bald verloren wir die Lust an der Schleicherei. Was soll's, meinte Eberhard, wenn die Amis mich schnappen, dann... Er blickte mich dabei lauemd von der Seite an. Aha, da wollte jemand meine Reaktion testen. Ich blieb vorsichtig. Wußte man denn, ob es ehrlich gemeint war? Vielleicht sollte ich nur herausgelockt und dann in die Pfanne gehauen werden. Ich gab keine Antwort, blieb stehen, hielt einen Finger an die Lippen und tat so, als hätte ich etwas bemerkt. Tatsächlich, dort war Bewegung. Ich warf mich nieder. Wir lagen und lauschten, und als ich wieder zu Eberhard hinblickte, hatte er die Knarre weggeworfen, hielt die Hände hoch, und vor ihm sah ich einen riesenhaften Kerl. Eberhard meinte es also doch ehrlich: Er ergab sich. Eine prima Gelegenheit, dachte ich, wollte meine Knarre wegwerfen, da hob der riesenhafte Kerl dort vor Eberhard seine Waffe und rammte ihm das Bajonett in den Hals. Ich hörte einen krächzenden Laut, etwas Rosarotes sprang aus dem Hals hervor, fast wie Leuchtspurmunition, es war helles Blut. Der Aufgestochene fiel nicht, blieb aus irgendwelchen Gründen stehen, während der Amerikaner sich bemühte, das Bajonett aus Eberhards Hals herauszuziehen, wobei er sein Opfer nun, wie der Soldat es lernt, mit Tritten traktierte. Man rammt eben seinem Feind das Bajonett in den Bauch oder zwischen die Rippen, aber nicht in den Hals. Er versuchte noch immer, sein Bajonett freizukriegen, es knarrte und knirschte, vielleicht hatte sich der Stahl in der Wirbelsäule verfangen, der Tote sank zu Boden, jetzt trat der Ami seinem erlegten Feind, ganz nach dem Reglement, auf die Brust und wuchtete die Waffe heraus. Das hatte etwas zu lange gedauert, mir war klargeworden, was einem blüht, der sich diesem Gemütsmenschen ergibt, ich legte an, sah einen massigen Schädel in der verlängerten Linie von Kimme und Korn und drückte ab, und wo dem Feind ein Stück Ohr unterm modisch schräg aufgesetzten Helm hervorlugte, klaffte gleich ein Loch, aus dem eine Blutfontäne heraussprang wie vorher aus Eberhards Hals. Der Amerikaner sank langsam in die Knie, legte seine Knarre vor sich auf die Erde und verbeugte sich Richtung Osten, so halb kniend hielt er sich, ich sprang hin, hielt ihm den Karabiner an den Hinterkopf und schoß ein zweites Mal. Es gab einen dumpfen Knall, mir flogen Schädelknochen, Gehirnmasse und Fleischfetzen ins Gesicht, ich konnte nichts sehen, warf mich auf den Boden, griff nach Gräsern und wischte mir das Zeug aus den Augen. Endlich brach ich Eberhards Erkennungsmarke ab, steckte sie ein und stapfte zurück. * Soweit meine erste Kriegsgeschichte. Die zweite schrieb ich 1960, als ich in Köln bei Lesungen vor Klassen in verschiedenen Altersstufen feststellte, daß es zum Thema Krieg nichts gab, was für junge und ältere Schüler paßte. So entstand die Eskalationsstory "Nicht alles gefallen lassen": Wir wohnten im dritten Stock mitten in der Stadt und haben uns nie etwas zuschulden kommen lassen, auch mit Dörfelts von gegenüber verband uns eine jahrelange Freundschaft, bis die Frau sich kurz vor dem Fest unsre Bratpfanne auslieh und nicht zurückbrachte. Als meine Mutter dreimal vergeblich gemahnt hatte, riß ihr eines Tages die Geduld, und sie sagte auf der Treppe zu Frau Muschg, die im vierten Stock wohnt, Frau Dörfelt sei eine Schlampe. Irgendwer muß das den Dörfelts hinterbracht haben, denn am nächsten Tag überfielen Klaus und Achim unsern Jüngsten, den Hans, und prügelten ihn windelweich. Ich stand grad im Hausflur, als Hans ankam und heulte. In diesem Moment trat Frau Dörfelt drüben aus der Haustür, ich lief über die Straße, packte ihre Einkaufstasche und stülpte sie ihr über den Kopf. Sie schrie aufgeregt um Hilfe, als wäre sonst was los, dabei drückten sie nur die Glasscherben etwas auf den Kopf, weil sie ein paar Milchflaschen in der Tasche gehabt hatte. Vielleicht wäre die Sache noch gut ausgegangen, aber es war um die Mittagszeit, und da kam Herr Dörfelt mit dem Wagen angefahren. Ich zog mich sofort zurück, doch Elli, meine Schwester, die mittags zum Essen heimkommt, fiel Herrn Dörfelt in die Hände. Er schlug ihr ins Gesicht und zerriß dabei ihren Rock. Das Geschrei lockte unsere Mutter ans Fenster, und als sie sah, wie Herr Dörfelt mit Elli umging, warf unsre Mutter mit Blumentöpfen nach ihm. Von Stund an herrschte erbitterte Feindschaft zwischen den Familien. Weil wir nun den Dörfelts nicht über den Weg trauten, installierte Herbert, mein ältester Bruder, der bei einem Optiker in die Lehre geht, ein Scherenfernrohr am Küchenfenster. Da konnte unsre Mutter, waren wir andern alle unterwegs, die Dörfelts beobachten. Augenscheinlich verfügten diese über ein ähnliches Instrument, denn eines Tages schossen sie von drüben mit einem Luftgewehr herüber. Ich erledigte das feindliche Fernrohr dafür mit einer Kleinkaliberbüchse, an diesem Abend ging unser Volkswagen unten im Hof in die Luft. Unser Vater, der als Oberkellner im hochrenommierten Café Imperial arbeitete, nicht schlecht verdiente und immer für den Ausgleich eintrat, meinte, wir sollten uns jetzt an die Polizei wenden.Aber unserer Mutter paßte das nicht, denn Frau Dörfelt verbreitete in der ganzen Straße, wir, das heißt unsre gesamte Familie, seien derart schmutzig, daß wir mindestens zweimal jede Woche badeten und für das hohe Wassergeld, das die Mieter zu gleichen Teilen zahlen müssen, verantwortlich seien. Wir beschlossen also, den Kampf aus eigener Kraft in aller Härte aufzunehmen, auch konnten wir nicht mehr zurück, verfolgte doch die ganze Nachbarschaft gebannt den Fortgang des Streites. Am nächsten Morgen schon wurde die Straße durch mörderisches Geschrei geweckt. Wir lachten uns halbtot, Herr Dörfelt, der früh als erster das Haus verließ, war in eine tiefe Grube gefallen, die sich vor der Haustür erstreckte. Er zappelte ganz schön in dem Stacheldraht, den wir gezogen hatten, nur mit dem linken Bein zappelte er nicht, das hielt er fein still, das hatte er sich gebrochen. Bei alledem konnte der Mann noch von Glück sagen - denn für den Fall, daß er die Grube bemerkt und umgangen hätte, war der Zünder einer Plastikbombe mit dem Anlasser seines Wagens verbunden. Damit ging kurze Zeit später Klunker-Paul, ein Untermieter von Dörfelts, hoch - er hatte den Arzt holen wollen. Es ist bekannt, daß die Dörfelts leicht übelnehmen. So gegen zehn Uhr begannen sie unsre Hausfront mit einem Flakgeschütz zu bestreichen. Sie mußten sich erst einschießen, die Einschläge befanden sich nicht alle in der Nähe unserer Fenster. Das konnte uns nur recht sein, denn jetzt fühlten sich auch die anderen Hausbewohner geärgert, und Herr Lehmann, der Hausbesitzer, begann um seinen Putz zu fürchten. Eine Weile sah er sich die Sache noch an, als aber zwei Granaten in seiner guten Stube krepierten, wurde er nervös und übergab uns den Schlüssel zum Boden. Wir robbten sofort hinauf und rissen die Tarnung von der Atomkanone. Es lief alles wie am Schnürchen, wir hatten den Einsatz oft genug geübt, die werden sich jetzt ganz schön wundern, triumphierte unsre Mutter und kniff als Richtkanonier das rechte Auge fachmännisch zusammen. Als wir das Rohr genau auf Dörfelts Küche eingestellt hatten, sah ich drüben gegenüber im Bodenfenster ein gleiches Rohr blinzeln, das hatte freilich keine Chance mehr. Elli, unsre Schwester, die den Verlust ihres Rockes nicht verschmerzen konnte, hatte zornroten Gesichts das Kommando "Feuer!" erteilt. Mit einem unvergeßlichen Fauchen verließ die Atomgranate das Rohr, zugleich fauchte es auch auf der Gegenseite. Die beiden Geschosse trafen sich genau in der Straßenmitte. Natürlich sind wir nun alle tot, die Straße ist hin, und wo unsre Stadt früher stand, breitet sich jetzt ein graubrauner Fleck aus. Aber eins muß man sagen, wir haben das Unsre getan, schließlich kann man sich nicht alles gefallen lassen. Die Nachbarn tanzen einem sonst auf der Nase herum. * Soweit meine kleine Satire, die mir immer mal wieder Ärger eintrug wegen Verdachts auf Pazifismus. Seit vier Jahrzehnten wird sie tausendfach nachgedruckt und für den Unterricht in Deutsch und Religion verwendet. Sie ist mein anhaltender Schulbuch-Bestseller, auch im Ausland bis hin nach Australien, nur in den USA nicht, was keinen verwundern sollte. Im Internet kursiert sie besonders in Vorkriegszeiten. Bei aller Freude über die weite Verbreitung meiner kurzen Story bin ich mitunter traurig, scheint sie doch zeitlos aktuell zu sein. Mich erinnern beide Kriegsgeschichten ständig daran, wie schnell der Soldat zum Mörder werden kann.
Erschienen in Ossietzky 8/2003 |
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