Pyrrhussiege

von Werner Standfuß

Donnerstag, 20. März. - Es ist Krieg. Der mörderische Spätkapitalismus gehört abgeschafft. Er läßt die Völker, die Menschen nicht in Frieden leben.

Es ist kalt, es ist grau, es ist windig, und Frau Schumann, die Kantinenfrau, spricht von ihrer "Stimmung". Ich sage: "Mit der Welt ist nicht viel los." So verständigen wir uns.

In Erstaunen versetzt mich Herr Fiebig, der Nachbar. Er ist wahrlich mit genug psychischen Krankheiten geschlagen: Er ist depressiv, er ist überdreht, er ist schizophren und weinerlich. Als ich im Garten arbeite, sagt er mehrmals plappernd: "Man kann nicht alles an einem Tag schaffen, nicht wahr?" Dann beginnt er mir zu helfen, wir sacken Laub ein, feuchten Kompost, er hält den Sack auf und sagt: "Viele Hände machen ein schnelles Ende." Vor allem sagt er: "Die machen wieder Krieg." Ohnmachtsgefühl, Angst, Wut. Ein gekränkter Gerechtigkeitssinn. Traurigkeit. Ein Verrückter ist angesichts des Verbrechens bei klarem Verstand.

Ich pflanze drei Primeln, dünge und häckle das Blumenbeet. Mit Hornspänen dünge ich auch den Nachbargarten. Gesträuch verschnitten, am Komposthaufen Ordnung gemacht.

Tags darauf. - Was und wem sollen wir glauben? "Junge vom Lande führt am Golf das Oberkommando", titeln die Dresdner Neuesten Nachrichten. Gemeint ist General Tommy Ray Franks, ein Texaner vom Jahrgang 1945. Er war Kundschafter in Vietnam, Panzerkommandeur im Golfkrieg, er kommandierte den Afghanistan-Feldzug, nun schlägt er im Irak zu. Er ist "offen und durchaus humorvoll" - ich zitiere aus der Tageszeitung -, ein "Kumpel", ein "Soldat mit schlammigen Stiefeln", ein "country boy", ein "Junge vom Lande". Was für ein General und Oberbefehlshaber! Die Wochenzeitung Die Zeit würdigt ihn so: "Jeder glaubt ihm, wenn er bekennt: ›Ich hasse den Krieg.‹ Keiner hält es für eine Worthülse, wenn er sagt: ›Das Allerschlimmste ist, wenn Menschen umkommen: Truppen, Zivilisten, Kinder - egal wer.‹" Warum ist dieser Junge vom Lande nach dem Grauen in Vietnam nicht aufs Land zurückgegangen? Das Wort egal verrät ihn. Krieg ist nicht egal. Das Sterben im Krieg ist nicht egal. Den Schönrednern, den Heuchlern, den Verbechern ist nicht zu glauben.

Ich fahre wieder in den Garten, räume hinterm Schuppen auf, sacke Abfall ein. Wir werden ihn in den Wald schaffen oder abliefern. Krokusse, Stiefmütterchen, Schneeglöckchen blühen.

Wir können kleine und kleinste Taten tun. Wir müssen innen fest sein gegen den globalen Niedergang. Wir leben bescheiden und leise - mit unbescheidenen und lauten Gedanken über die Pyrrhussiege des Spätkapitalismus.

Erschienen in Ossietzky 7/2003