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Januar 1940, heißt es auf jener Website, konfiszierte die schwedische Regierung Singers Buch über den Nazi-Minister Hermann Göring - auf der Grundlage eines Gesetzes von 1814, das die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter ahndet. Göring selbst und die Stockholmer Nazi-Botschaft hatten darauf gedrungen und außerdem die Auslieferung des Publizisten nach Deutschland verlangt. Freunde in der schwedischen Regierung sagten Singer, die Auslieferung sei abgelehnt worden, aber man wisse nicht, wie man angesichts der Kriegslage - im April 1940 überfiel die Nazi-Wehrmacht Dänemark und Norwegen - am Ende auf ein zweites oder drittes Auslieferungsbegehren Berlins reagieren würde. Deshalb ließen seine Freunde durchblicken, er solle versuchen, in die USA zu emigrieren. Doch das war leichter gesagt als getan. Der jüdische Emigrant hatte damals keine Kontakte über den Großen Teich. Nach dem Reichstagsbrand mit seiner Frau Hilde via Prag nach Schweden entkommen, hatte er dort sogleich seinen publizistischen Kampf gegen das Nazi-Regime fortgesetzt. Im März 1936 publizierte er in Stockholm die weltweit erste Schrift über den KZ-Gefangenen Carl von Ossietzky (Ingrid Zwerenz hat in Ossietzky 8/2002 darüber berichtet). Eine dänische Ausgabe folgte noch im gleichen Jahr, und just deshalb ist Singer nun auf die Website der dänischen Friedensakademie gelangt; sie hatte in den 90er Jahren eine Reprint-Ausgabe publiziert. Gemeinsam mit der Schriftstellerin Mia Leche Löfgren und weiteren schwedischen Persönlichkeiten gründete Singer 1936 das schwedische Ossietzky-Komitee, das die Entlassung des Chefredakteurs der Weltbühne aus dem KZ und seine Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis betrieb. Eines schönen Tages meldete sich das Osloer Preiskomitee bei ihm und bat um die Zusendung von sechs Exemplaren seines Buches. Das gab ihm große Hoffnung, die sich endlich auch als berechtigt erwies: Carl von Ossietzky erhielt 1936 den Friedensnobelpreis für das Jahr 1935. Der deutsche Emigrant engagierte sich zugleich für Ossietzkys Tochter Rosalinda, die mit Hilfe der Quäker zunächst Zuflucht in Großbritannien gefunden hatte. Sie schilderte ihm in einem Brief, daß Ernst Toller und andere Förderer die Ausgaben für ihre Ausbildung nicht mehr aufbringen könnten. Kurz entschlossen verschaffte er Rosalinda einen Platz in einer Internatsschule nahe Stockholm. Als Göring Singers Auslieferung verlangte, riet ihm Mia Leche-Löfgren, sich an den einflußreichen Chefredakteur der Göteborgs Handels- och Sjöfartstidning, Torgny Segerstedt, zu wenden. Segerstedt war für Singer kein Unbekannter, hatte er doch den einen oder anderen Ossietzky betreffenden Artikel von ihm abgedruckt. Und tatsächlich: Segerstedt, Chef der einzigen antifaschistischen bürgerlichen Zeitung Schwedens, half sofort. Bei einem Treffen in Göteborg bestellte er ihn ohne Umschweife zum USA-Korrespondenten seines Blattes und ebnete ihm den Weg zum Göteborger US-Generalkonsul. Singer erinnert sich: "Der Konsul hieß William C. Corcoran, er war ein persönlicher Freund des US-Präsidenten Roosevelt und großer Anti-Nazi." Auch Ingrid Segerstedt-Wiberg, der in Göteborg lebenden Tochter des berühmten schwedischen Publizisten, fällt sogleich der Name Corcoran ein, als ich ihr bei einem Besuch in der westschwedischen Metropole von Kurt Singer erzähle. "Mein Vater kannte Corcoran sehr gut, und auch ich hatte oft mit ihm zu tun", berichtet sie, "ich arbeitete damals praktisch illegal in der Flüchtlingshilfe." Sie kann sich lebhaft vorstellen, daß ihr Vater dem deutschen Antifaschisten mit dem größten Vergnügen half - hatte er doch bereits eine größere Fehde mit Göring hinter sich: Der Naziminister hatte sich in einem wütenden Fernschreiben an Segerstedt über eine Karikatur beschwert, in der Ragnvald Blix (der Mann, der das berühmte Titelbild von Tucholskys "Das Lächeln der Mona Lisa" schuf) Mussolini und Hitler aufs Korn nahm. Als Ingrid Segerstedt-Wiberg davon erzählt, lächelt sie still. Gerade ist sie in einer Umfrage nach den am meisten bewunderten Schwedinnen auf Platz vier gesetzt worden. "Ich verstehe nicht, warum ich so populär sein soll", meint sie. "Ich bin ja gar nicht mehr so oft in der Öffentlichkeit", überlegt sie, "da war vor einiger Zeit die Antinazi-Kundgebung, dann mein Austritt aus der Volkspartei - deren Führung will Schweden jetzt in der NATO haben - und schließlich immer wieder die SÄPO-Sachen." Zumindest die Nazi-Gefahr und die illegale Überwachung durch den Geheimdienst SÄPO sind Themen, die viele Schweden beschäftigen. Jene Kundgebung - das war nach dem Nazi-Mord an dem Stockholmer syndikalistischen Gewerkschafter Björn Söderberg, als Ingrid Segerstedt-Wiberg vor 5000 Göteborgern von einem provisorischen Zelt-Podium herunter vor rassistischem Ungeist warnte. "Es war ein großer Tag gegen die Angst, gegen die Furcht vor den neuen Nazis", erinnert sie sich und sagt: "Die Gefahr ist nicht vorüber." Viele Male schon sah sie sich Morddrohungen schwedischer Nazis ausgesetzt, und just nach ihrer Rede wurden Hakenkreuze und Nazi-Schlagworte an das Haus geschmiert, in dem sie wohnt; die Polizei richtete Personenschutz für sie ein. Nicht minder engagiert ist die langjährige Reichstagsabgeordnete der liberalen Volkspartei bei der Aufklärung der SÄPO-Überwachung. Schon ihr Vater war davon betroffen. Als es ihr 1998 endlich gelang, in dessen Akte Einsicht zu nehmen, fand sie nur die dürre Notiz "makulerat 1955". Auch von ihrer eigenen Akte - der Stockholmer CIA-Agent Hugh S. Cummings hatte sie als "Kommunistensympathisantin eines für Schweden ganz ungewöhnlichen Typs" klassifiziert - bekam sie nur zensierte Bruchstücke zu sehen. Deshalb hat sie gemeinsam mit anderen bekannten schwedischen Intellektuellen den Aufruf "Legt alle Papiere auf den Tisch - Öffnet die SÄPO-Archive!" initiiert. Die Göteborgerin ist in dieser Sache auch deshalb so unerbittlich, weil sie weiß, dass sie nicht nur wegen ihrer Friedensarbeit in das Scheinwerferlicht der Gesinnungsschnüffler geriet, sondern auch wegen ihres lebenslangen Einsatzes für Flüchtlinge, anfangs für deutsche und norwegische Antifaschisten, später für politische und Bürgerkriegsflüchtlinge aus der Dritten Welt. Auch deshalb ist sie froh, nach so vielen Jahren wieder von der geglückten Flucht Kurt Singers zu hören, der dank der Hilfe ihres Vaters in jenen schweren Tagen des Jahres 1940 alsbald die nötigen US-Visa erhielt. Schweden war damals schon weitgehend eingekreist, sichere Flug- und Schiffsverbindungen gab es nicht mehr. Die Nazi-Wehrmacht hatte Norwegen besetzt. Schließlich erwies sich der kleine finnische Eismeerhafen Petsamo als letztes Fenster zur Freiheit. Am 4. Juli 1940 landete die Familie Singer in New York. Damit war der antifaschistische Kampf für Singer nicht zu Ende. Neben seiner journalistischen Arbeit für Segerstedts Göteborger Zeitung und mehrere andere Blätter war er auch an der geheimen Front tätig. "Ja, ich habe das Hitler-Regime auch auf diese Weise bekämpft, und das hat schon in Schweden angefangen", bekennt er heute. "Ich war für schwedische, britische und US-Dienste tätig, in den Staaten dann vor allem auch - ähnlich wie Willy Brandt - für die norwegische Exilregierung in London." Dabei ging es besonders um die Sicherheit der in großer Zahl für die Alliierten fahrenden norwegischen Handelsschiffe und ihrer Besatzungen, die Ziel vieler geheimer Nazioperationen waren. Nach dem Krieg arbeitete Singer weiter als Journalist, gründete eine literarische Agentur, gab mehrere Anthologien heraus, schrieb etliche Biografien. Insgesamt hat er nicht weniger als 104 Bücher publiziert. Trotz seines hohen Alters verfolgt er das Weltgeschehen weiter sehr aufmerksam und nimmt gelegentlich in seinen "Briefen aus Kalifornien" in Ossietzky dazu Stellung. Einen Krieg gegen Irak hält er für Irrsinn und freut sich darüber, daß "die meisten Alliierten, sogar Kanzler Schröder, nicht mitmachen wollen". In all den Jahren hat Kurt Singer indes nicht vergessen, daß der Schwede Torgny Segerstedt - wie in den autobiografischen Notizen auf jener dänischen Website zu lesen ist - "unser Leben rettete und ihm eine neue Richtung gab".
Erschienen in Ossietzky 6/2003 |
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