Die Schwarze Hand

von Gerhard Zwerenz

Am 12. März 2003 wurde Zoran Djindjic in Belgrad ermordet. Politik und Medienbürokratie fallen aus allen Wolken. Wer noch über Geschichtsbewußtsein verfügt, denkt an das Attentat von Sarajevo am 28. Juni 1914. Was verbindet den ermordeten serbischen Ministerpräsidenten von heute mit dem ermordeten österreichischen Thronfolger von damals? Zumindest die Hybris überdehnter Machtansprüche. Halb willentlich und halb blindwütig marschierte Europa 1914 in den Ersten und 1939 in den Zweiten Weltkrieg. Dann verlor die Sowjetunion den Dritten (Kalten) Weltkrieg und NATO-Europa (plus USA) unterwarf sich den Balkan. Das Attentat auf Djindjic ist eine Botschaft. Muß Belgrad bald zum dritten Mal bombardiert werden? Kabul war schon dran, Bagdad wird dran kommen. Davor scheuen Schröder und Chirac momentan zurück. Denn danach sind Iran, Syrien und wer weiß noch alles an der Reihe. Die forsche Bush-Administration im Überdehnungsprozeß.

Die serbischen Freiheitskämpfer wurden einst "Schwarze Hand" genannt. Die gegenwärtige US-Regierung sieht sich im Freiheitskampf gegen den Terrorismus. Dem Internationalen Gerichtshof in Holland droht sie mit Atomwaffen, dem Irak und der Welt mit der "Mutter aller Bomben", welcher Superlativ gewiß dem Fanatismus christlicher Gotteskrieger entspricht, auch wenn der Papst nicht will. Auch er ein Feind und Terrorist?

Im Jahre 1969 gelang es mir, in Belgrad den Historiker Vasa Cubrilovic zu sprechen, den letzten Überlebenden der Attentäter von Sarajevo 1914. Auf meine Frage, wie er rückblickend seine Teilnahme bewertete, bedauerte er nicht seine Mittäterschaft, aber die Folgen.

Wie der Mord an Djindjic zeigt, ist der Sieg der NATO auf dem Balkan ungesichert wie die Macht Österreichs im Ersten Weltkrieg. Die Angriffsstrategie der Bush-Regierung, auf imperiale Unterwerfung und Welt-Übermacht abzielend, ist so borniert und geschichtsblind wie Europas Zustand anno 1914. Nur agiert die "Schwarze Hand" jetzt von Regierungssesseln aus.

Erschienen in Ossietzky 6/2003