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Auch wenn das überfallene Land seinem Namen nach und in seiner damaligen Staatsform nicht mehr existiert, gibt es gute Gründe, Jahr für Jahr, und gerade jetzt, an diesem Jahrestag, es ist mittlerweile der vierte, an die schrecklichen Bilder zu erinnern: die pechschwarzen, kilometerhohen Rauchwolken der brennenden Raffinerien in der Nähe Belgrads, die gen Himmel schießenden Flammen eines bombardierten Wolkenkratzers unweit des Zusammenflusses von Donau und Save, die verkohlten und zerfetzten Menschenleiber auf den Straßen von Prizren und Djakovica, in den Wohngebieten von Aleksinac, Pristina und Cupria, auf den Brücken von Novi Sad, Grdelica, Varvarin und vielen anderen Orten. Im Gedächtnis bleibt der im frischen Frühlingsgras liegende, vom Rumpf getrennte Schädel eines Bauern mit den noch offenen Augen; der Blick wirkt verwundert, als könne er gar nicht fassen, was mit Kopf und Körper geschehen war - schlafraubendes Sinnbild der Verbrechen jener, die eine humanitäre Katastrophe herbeibombten, deren Verhinderung ihr angebliches Kriegsziel war. Die Aggression gegen Jugoslawien war eine Zäsur in der europäischen Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg, sie bereitete auch den Weg zum Krieg gegen das irakische Volk. Die Aggressoren brachen die UN-Charta und die im Rahmen der KSZE/OSZE getroffenen Vereinbarungen, sie mißachteten alle Grundnormen des internationalen humanitären Völkerrechts. Ihrem 78tägigen Bombenkrieg fielen Tausende von Männern, Frauen und Kindern zum Opfer, große Teile der Infrastruktur und der Wirtschaft des Landes wurden zerstört, die Umwelt auf lange Zeit vergiftet. Die Bundesrepublik Deutschland, die noch beim Anschluß der DDR feierlich gelobt hatte, daß von deutschem Boden niemals wieder Krieg ausgehen sollte, beteiligte sich aktiv an diesem Verbrechen. Dabei war und ist sich der damalige und heutige Kanzler dieses Gelöbnisses und der aus der deutschen Geschichte herrührenden Verpflichtungen wohl bewußt. In ausführlichen Interviews für deutsche Fernsehstationen hat er es gesagt. Gegenüber ARD erklärte Gerhard Schröder: "Lassen Sie mich zwei Dinge sagen: Einmal, mich macht wirklich ernsthaft besorgt, daß wir in Deutschland eine Diskussion führen, als sei Krieg ein normales Mittel der Politik. Ich will hier sehr deutlich sagen, und ich bin ganz froh darüber, daß ich in Übereinstimmung mit den größten Teilen der deutschen Öffentlichkeit bin: Das darf es nie werden. Krieg ist kein normales Mittel von Politik, sondern wenn Krieg geführt werden muß, ist das das Eingeständnis, daß Politik gescheitert ist, und das will ich nicht. Und das Zweite, ich denke, daß man in Deutschland besonders sensibel ist... Die Deutschen haben Erfahrung mit Kriegen, und das hat sich tief in das kollektive Bewußtsein der Deutschen eingegraben, auch bei denen, die, wie ich, Bombenkriegsnächte nicht mitgemacht haben." Im ZDF klang der Kanzler nicht weniger nachdenklich: "Man macht sich Illusionen über die Bedeutung unserer Position. Sie ist sehr grundsätzlich angelegt und sehr grundsätzlich begründet, und deswegen denke ich, daß theoretische Erwägungen diese grundsätzliche Position jedenfalls nicht verändern können. Wir haben immer deutlich gemacht, daß wir alles tun wollen, aber auch wirklich alles tun wollen, um einen Krieg zu vermeiden... Die Zustimmung zu dieser Position wächst... Und insoweit, denke ich, sollten wir alle ein Interesse daran haben, auch in unseren öffentlichen Debatten nicht dazu beizutragen, daß Krieg wieder ein, na ja, fast normales Mittel der Politik wird. Das darf es nicht sein. Und ich denke, daß gerade die Deutschen wissen, warum das nicht sein darf, und deswegen auch verstehen, warum wir ganz besonders sensibel sind." Beeindruckende Sätze! Doch gesagt wurden sie nicht im März 1999, als die deutschen Tornados in der ersten Staffel der NATO-Luftgeschwader gegen Belgrad flogen - damals sprach der Zitierte vielmehr davon, daß die Deutschen aufgerufen seien, "eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen". Die zitierten Äußerungen Schröders sind jüngeren Datums, sie stammen aus diesem Jahr, exakt vom 29. Januar, als er ein weiteres Mal die begrüßenswerte Entscheidung begründete, daß sich Deutschland nicht an einem Krieg gegen den Irak beteiligen werde. Auch in der Folgezeit hat der Kanzler diese Antikriegshaltung wiederholt bekräftigt, darunter in der Bundestagsdebatte vom 13. Februar, als er es als "die vornehmste Aufgabe der Politik" bezeichnete, "Kriege zu verhüten". Nachdrücklich beschwor er das "Entscheidungsmonopol" des UN-Sicherheitsrates, und ganz im Duktus der Friedensbewegung unterstrich er, daß an die Stelle der Stärke des Rechts nicht das Recht des Stärkeren treten dürfe. Nicht ohne seine - öffentlich bestrittene - Billigung nahmen bekanntlich sein Stellvertreter in der Partei, Parlamentspäsident Wolfgang Thierse, und mehrere Minister seiner Regierung an der Berliner Friedendemonstration vom 15. Februar teil, fast verborgen in der Menge und doch im Zentrum der Medienaufmerksamkeit, so, als wäre die überwältigende Manifestation ihr Werk und Verdienst gewesen. Ob dieser Haltung ist man schon fast versucht, Schröder und die Seinen zu beglückwünschen, wären da nicht die Überfluggenehmigungen für die amerikanischen und britischen Kriegsflugzeuge, der Aufmarsch der Bundeswehrschutztruppen vor den US-Stützpunkten, die "Fuchs"-Spürpanzer in Kuweit, die "Patriot"-Raketen in der Türkei, die deutschen Offiziere in den "Awacs"-Maschinen, die Bundesmarine am Horn von Afrika und - nicht zu vergessen - die mit Unterschrift besiegelte Anerkennung des Krieges als "letztes Mittel" der Politik, die starke Zweifel an der Dauer und Ernsthaftigkeit der Schröderschen Antikriegshaltung wecken. Doch unterstellen wir einmal, die diplomatischen Kriegsverhinderungsaktionen Schröders und seine friedliebenden Äußerungen seien ohne Falsch, sondern ganz aufrichtig, der Kanzler meine also, was er sage. Dann stellen sich zumindest zwei Fragen: Erstens, warum hat die rot-grüne Regierung 1999 zum Krieg der von den USA geführten NATO gegen Jugoslawien eine völlig andere, scharfmacherische Haltung bezogen, das Recht des Stärkeren an die Stelle der Stärke des Rechts gesetzt und die Aggressionsteilnahme u.a. mit dem Hinweis auf die Lehren der deutschen Geschichte begründet (siehe Außenminister Fischers wahnwitzige Rechtfertigungslüge, es gelte ein neues Auschwitz zu verhindern)? Zweitens, was hat den Berliner Sinneswandel, wenn es denn ein solcher ist, bewirkt? Waren es die im September 2002 und im Februar 2003 bevorstehenden Wahlen im Bund sowie in Hessen und Niedersachsen? Waren es die von denen der USA abweichenden eigenen strategischen Interessen in den Ölregionen vom Persischen Golf bis zum Kaspischen Meer und bis nach Zentralasien? Oder war es gar die durchaus berechtigte Furcht, Deutschland könne endgültig zum unterwürfigen Vasallen der USA in der von Bush senior und junior angestrebten neuen Weltordnung werden? Tatsache ist, daß sich die Haltung der deutschen Außenpolitik zum Krieg gegen den Irak wesentlich von der zur Aggression gegen Jugoslawien unterscheidet. Sollte sie unverstellt und dauerhaft sein, sollte sie sich tatsächlich, wie der Kanzler nun verkündet, aus "der Erfahrung mit Kriegen" speisen, die "sich tief in das kollektive Bewußtsein der Deutschen eingegraben" hat, dann ist es an der Zeit, auch die deutsche Position zum Krieg gegen Jugoslawien zumindest im nachhinein zu revidieren. Es gibt keine gerechten Angriffskriege, hier darf man nicht mit zweierlei Maß messen. Niemand kann die Erschlagenen von Belgrad und Pancevo, von Aleksinac und Varvarin, von Nis und Korisa wieder zum Leben erwecken, aber zumindest ihren Hinterbliebenen und dem zu Unrecht dämonisierten serbischen Volk muß Gerechtigkeit widerfahren. Was zu geschehen hat, haben Friedensnetzwerke und -organisationen - um nur zwei zu nennen: das Europäische Friedensforum und die Berliner Friedenskoordination - wiederholt formuliert: u.a. Zahlung von Kriegsreparationen und Schadensersatz an die Kriegsopfer, Bestrafung der NATO-Verantwortlichen für den Aggressionskrieg, Auflösung des unter Bruch der UN-Charta installierten Haager Straftribunals der Angreifer gegen die Angegriffenen und damit auch die sofortige Einstellung des schändlichen Prozesses gegen den ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic (s. Ossietzky 21/02). Ich bin nicht so lebensfremd anzunehmen, daß die Bundesregierung den vierten Jahrestag zum Anlaß nimmt, ihre Haltung zum Überfall auf Jugoslawien zu korrigieren und gemeinsam mit ihren Mittätern dem Verlangen nach Wiedergutmachung nachzukommen. Der skandalöse Schriftsatz, mit dem die Anwälte der Bundesregierung die Klage von Überlebenden und Hinterbliebenen der Terrorangriffe auf das Städtchen Varvarin am Pfingstsonntagmorgen 1999 mit fadenscheinigen Argumenten zurückweisen (Ossietzky 4/03), bestätigt das nur ein weiteres Mal. Aber die Forderungen bleiben bestehen und werden erhoben werden, solange sie nicht erfüllt sind, immer und immer wieder, nicht nur zu Jahrestagen.
Erschienen in Ossietzky 6/2003 |
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