Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Gewöhnung an die Foltervon Ulla Jelpke "Wenn es z.B. etabliert wäre, daß ein bestimmter Kreis von Personen über moderne Massenvernichtungsmittel verfügt und entschlossen ist, diese Mittel innerhalb kürzester Frist zu verbrecherischen Zwecken einzusetzen, und angenommen, dieses Vorhaben könnte nur vereitelt werden, wenn es gelingt, rechtzeitig den Aufenthaltsort dieser Personen zu erfahren, so kann es sittlich geboten sein, diese Information von einem Mitglied des betreffenden Personenkreises auch durch Folter zu erzwingen, sofern dies wirklich die einzige Möglichkeit wäre, ein namenloses Verbrechen zu verhindern." Dieses Zitat stammt aus dem 1976 erschienenen Buch des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU) "Der Staat - Idee und Wirklichkeit". Während der ersten großen Terrorismusdebatte der Nachkriegzeit unternahm dieser führende Unionspolitiker den systematischen Versuch, die Grundrechte zu relativieren, auch das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Gleichzeitig wurden damals erste staatliche Schritte zur Folter getan: Die RAF-Gefangenen wurden unter grausamen Bedingungen in Hochsicherheitstrakten isoliert. Dennoch erreichte die Folterdebatte mehr als zwei Jahrzehnte lang nicht die Mitte der Gesellschaft. Öffentlich wurde abgestritten, daß die Behandlung von Häftlingen aus der RAF überhaupt unter den Begriff der Folter falle. Alltägliche Gewaltanwendung bei der Polizei wurde entweder geleugnet oder jeweils als Einzelfall verharmlost. Erst im Zusammenhang mit der Entführung eines Kindes in Frankfurt am Main, eines Bankierssohnes, drang das Thema Folter auf die Titelseiten und an die Stammtische. Schnell zeigte sich: Die Bereitschaft, verfassungsrechtliche Grundwerte zur Disposition zu stellen, ist offensichtlich sehr hoch. Politische Hardliner wie der Innenminister von Brandenburg, Jörg Schönbohm, nutzen die Stunde, um die Anwendung der Folter prinzipiell in Betracht zu ziehen, und sie malen wie schon Ernst Albrecht terroristische Bedrohungen an die Wand, vor denen alle rechtspolitischen Argumente verblassen sollen. Folter ist in Deutschland eindeutig verboten. Daß jetzt hemmungslos über ihre Zulässigkeit diskutiert wird, hat seine Ursachen auch in der Praxis der vergangenen Jahre. Denn die Fälle häufen sich, in denen die Anti-Folter-Konvention eindeutig verletzt wird. Erwähnt sei der bekannt gewordene brutale Umgang mit Flüchtlingen in Bremen, wo Polizisten 1991 bei einer Festnahme Schwarze prügelten, beleidigten, demütigend ihre Haut mit Wagenschmiere einrieben und höhnten: "Das ist gut für Deine Haut" (taz 1.6.91). Ebenfalls in Bremen dokumentierte 1992 das Antirassismus-Büro, daß die Polizei bei der Drogenfahndung mit der sogenannten Würgekralle arbeitete, um ein mögliches Verschlucken von Drogen zu verhindern. Polizisten traten Festgenommene in die Genitalien, übergossen sie mit Wasser und zwangen sie anschließend, den Boden mit den Kleidungsstücken, die sie am Körper hatten, aufzuwischen. Im Oktober 1996 wurden drei hessische Polizisten zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, weil sie einen Algerier mit Desinfektionsmittel besprüht, ihn dann angezündet und ihm eine Dienstwaffe in den Mund geschoben hatten. Ein Marokkaner berichtete von derselben Dienststelle, daß er an ein Tischbein gefesselt und mit einem Elektroschock-Gerät gefoltert worden war. Wie später die Staatsanwaltschaft ermittelte, hatten die Beamten sich eine wahre Folterkammer hergerichtet. Ein weiteres Beispiel ist der Brechmittel-Einsatz als Methode polizeilicher Beweissicherung in der Drogenfahndung. Gerichte erklärten ihn zwar unmißverständlich als Folter, doch Polizei und Staatsanwaltschaften setzten sich - wie im vergangenen Jahr in Hamburg geschehen - darüber hinweg und töteten durch einen Brechmittel-Einsatz einen Migranten. Zu Tode geknebelt wurden Flüchtlinge, die der Bundesgrenzschutz brutal abschob. Erinnert sei auch an die in Dortmund eingekesselten Demonstranten, die über zehn Stunden nicht auf die Toilette gehen durften und so genötigt waren, ihre Notdurft im Polizei-Kessel zu verrichten. Dokumentationen von Flüchtlingsinitiativen und Menschenrechtsorganisationen zeigen, wie verbreitet solche Praktiken schon sind - auch wenn die politisch Verantwortlichen oder die Polizei das immer wieder bestreiten. Und doch geht die neue Folterdebatte noch weiter, und das macht sie gefährlich: Erstmals wird offen und offensiv von der Folter als möglichem Mittel der Strafverfolgung gesprochen. Die kühle Selbstverständlichkeit, mit der der Frankfurter Polizeivizepräsident Daschner von der Heranziehung eines Fachmanns als Folterknecht und von der Beiziehung eines Arztes spricht, macht schaudern - um so mehr, als offenbar regierende Politiker wie der hessische Ministerpräsident Koch hinter ihm stehen. Die grausige Fiktion, die der Satiriker Dietrich Kittner als Reaktion auf Ernst Albrecht 1979 unter dem Titel "Wie ein Gesetz entsteht" veröffentlichte, drängt sich auf. Da ist zu lesen, wie auch mehr und mehr Politiker der SPD und FDP dem Drängen der Springerpresse nachgeben und schließlich einem Foltergesetz zustimmen, das verschleiernd "Gesetz zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit" überschrieben ist. Paragraph 1 lautet: "Das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist unverletzlich." In § 3 heißt es: "Eine Erkenntniserzwingungsbehandlung ist nur möglich in Ausnahmefällen und auf Anordnung des Justizministers oder des Innenministers oder - falls diese verhindert sind - des Polizeipräsidenten oder eines Polizeireviervorstehers oder - falls diese verhindert sind - des Nachtwächters des nächstgelegenen Ordnungsamtes..." Und § 6 schreibt vor: "Die Erkenntniserzwingungsbehandlung darf nur in schalldichten Räumen und unter Vermeidung jeglicher Umwelt- und Lärmbelästigungen durchgeführt werden." Noch ist ein Gesetz, mit dem illegale Folter legalisiert würde, nicht in Arbeit. Aber die gegenwärtige Debatte bewirkt, daß Folter mehr und mehr legitim erscheint. Um so dringender ist es, der Debatte eine andere Richtung zu geben, nämlich die alltägliche Folter anzuklagen, um sie zu unterbinden.
Erschienen in Ossietzky 5/2003 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |