Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Bittere belgische Schokoladevon Uri Avnery "Eßt keine belgische Schokolade mehr," befahl der israelische Konsul in Florida der großen jüdischen Gemeinde dort. In Israel erreichten anti-belgische Flüche ein ohrenzerreißendes neues Crescendo. Mieses Belgien! Verrücktes Belgien! Größenwahnsinniges Belgien! Und immer wieder: Antisemitisches Belgien! Neo-Nazi Belgien! Der israelische Botschafter wurde aus Brüssel zurückgerufen. Kein Wunder! Denn wie könnte Israel einen Botschafter in der Weltstadt des Antisemitismus halten? Dieser Sturm brach los, als ein belgisches Gericht entschied, daß Ariel Scharon für die ihm zur Last gelegten Kriegsverbrechen verklagt werden kann, aber erst, wenn er seine Amtszeit als Ministerpräsident von Israel beendet hat. Israels Armeeoffiziere, die mit dem Massaker in den Flüchtlingslagern Sabra und Schatila (1982) etwas zu tun hatten, könnten schon jetzt angeklagt werden. Im israelischen Fernsehprogramm drückte es ein Moderator folgendermaßen aus: "Das antisemitische Belgien wünscht Offiziere eines anderen Landes wegen Verbrechen, die in einem dritten Land begangen wurden, zu verurteilen, obwohl die Angeklagten keinerlei Verbindung zu Belgien haben, sich nicht auf belgischem Territorium befinden und die ganze Sache nichts mit Belgien zu tun hat. Das ist Größenwahn, wirklich eine Sache für Psychiater!" "Sehr seltsam!" erwiderte ich im selben Programm. "Ich glaube, mich an einen Fall zu erinnern, wo das Land A in einem Land B den Bürger eines Landes C gekidnappt hat, der im Land D Verbrechen gegen die Bürger der Länder E, F, und G begangen hat. All dies trotz der Tatsache, daß die Verbrechen begangen worden sind, bevor der Staat A überhaupt existierte." Natürlich meinte ich den Eichmann-Prozeß, dem wir alle zustimmten. "Wie können Sie die beiden vergleichen!" schrieen die andern Teilnehmer des Programms in wütender Einigkeit. Ja, wie kann man Taten von Juden mit Taten von Nicht-Juden gegen Juden vergleichen? Nun, es waren Juden, die nach dem 2. Weltkrieg verlangten, daß alle Länder Nazi-Kriegsverbrecher und ihre Verbündeten vor Gericht bringen. Eichmann wurde in Israel nach dem israelischen, keine Grenzen kennenden "Gesetz, Nazis und ihre Helfer vor Gericht zu bringen" verurteilt. Es ist noch nicht so lange her, daß die Knesset ein anderes Gesetz verabschiedet hat, das israelischen Gerichten ermöglicht, Täter, die Verbrechen gegen Juden irgendwo in der Welt begangen haben, zu verurteilen. Wenn dem so ist, was ist an dem belgischen Gesetz der "universalen Jurisdiktion" so falsch, das belgischen Gerichtshöfen erlaubt, Kriegsverbrechen aus aller Welt zu verurteilen? Immanuel Kant verkündete den Kategorischen Imperativ: "Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte". War Kant etwa ein Antisemit? Vor Hunderten vor Jahren nahm die Welt eine gesetzliche Doktrin an, die jedem Land zugestand, Piraten zu verurteilen und zu hängen, ohne Rücksicht auf deren Volkszugehörigkeit, Herkunftsland und Tatorte. Man setzte voraus, daß der Pirat ein Feind der Menschheit im allgemeinen sei und daß deshalb jedes Land das Recht - ja, sogar die Pflicht - habe, ihn zu verurteilen. Das belgische Gesetz gegen Kriegsverbrechen ist ein Schritt in diese Richtung, und ich hoffe, daß viele Länder diesen Schritt tun werden. Natürlich wäre es besser, wenn der Internationale Gerichtshof in Den Haag diese Pflicht erfüllen würde, aber es wird noch viel Zeit vergehen, bis er dazu in der Lage ist. Gewaltiger politischer Druck wird auf ihn ausgeübt, viele Beschränkungen sind ihm auferlegt, seine Hände und Füße sind gefesselt worden. Und noch schlimmer, die einzige Supermacht, die Vereinigten Staaten, versucht offen, ihn zu zerstören (sie hatte nach dem 1. Weltkrieg schon den Völkerbund sabotiert). Mein Traum ist, daß vor dem Ende des 21. Jahrhunderts eine neue, verpflichtende Weltordnung, der ein Weltparlament vorsteht, sich entwickeln wird. Diese Ordnung muß einen Weltgerichtshof und eine Weltpolizei für Konflikte zwischen Völkern einschließen, während nationale Gerichte für Konflikte zwischen Einzelpersonen zuständig blieben. Der Weg dorthin ist noch lang und voller Hindernisse; Jahrzehnte werden vergehen, bevor die Menschheit dieses Stadium erreicht hat. Aber wir müssen auf dieses Ziel zugehen, und andere Länder müssen inzwischen dem belgischen Beispiel folgen, damit wir vorankommen. Besonders was Kriegsverbrechen betrifft. Einige werden sagen, wir sollten unsere Landsleute nicht ausliefern. Es sei die Pflicht eines jeden Staates, seine Kriegsverbrecher selbst zu verurteilen. Aber das ist utopisch: Kein Land der Welt hat dies bisher tatsächlich getan. Das ist ganz natürlich: Staaten geben solch schändliche Taten ungern zu, sondern versuchen sie zu verbergen; und gerade Kriegsverbrechen werden gewöhnlich in staatlichem Auftrag begangen. Der Fall Sabra und Schatila ist ein gutes Beispiel. Hier kurz die Fakten: Im Sommer 1982 besetzte die israelische Armee West-Beirut unter Verletzung einer ausdrücklichen Verpflichtung, die dem US-Vermittler Philipp Habib gegeben worden war. Zu diesem Zeitpunkt hatten die PLO-Streitkräfte die Stadt schon verlassen. Von diesem Augenblick an war West-Beirut, einschließlich der palästinensischen Flüchtlingslager Sabra und Schatila, israelisch besetztes Gebiet. Die israelische Armee war deshalb für alles, was dort geschah, verantwortlich. Nach der Besetzung ließ das israelische Militär die "Falangisten" - Mitglieder einer extremen Maronitisch-Christlichen Gruppe - in die Lager hinein. Diese Leute hatten schon in anderen palästinensischen Lagern abscheuliche Verbrechen begangen. Sie wurden von einem notorischen Massenmörder, Eli Huweika, angeführt.Alle ranghohen israelischen Offiziere, die mit dem Libanon zu tun hatten, wußten, daß die Falangisten Greueltaten begingen, damit die Palästinenser in Panik geraten und aus dem Libanon fliehen sollten. Als das israelische Kabinett von der Absicht der Armee, die Falangisten hin-einzulassen, informiert wurde, warnte der aus Marokko stammende Minister David Levy vor einer Katastrophe. Seine Kollegen ignorierten die Warnung. Unmittelbar nachdem die Falangisten die Lager betreten hatten, fingen sie damit an, Männer, Frauen und Kinder wahllos niederzumetzeln. Der Kommandeur Eli Huweika überblickte die Aktion vom Dach eines israelischen Divisions-Kommandopostens, der ganz nah am Lager stand. Die Offiziere des israelischen Divisions-Kommandeurs, General Amos Yaron, hörten zufällig, wie Huweika seine Leute über Sprechfunkgeräte instruierte, auch Frauen und Kinder zu töten. Sie informierten schnell Yaron, der diese Botschaft aber nicht zur Kenntnis nahm. (Später gab er zu: "Unsere Sinne waren abgestumpft.") Das Massaker dauerte drei Tage. Bei Nacht befahl der israelische Generalstabschef Raphael Eitan der Armee, entsprechend dem Wunsch der Falangisten die Gegend zu beleuchten. Er stellte den Falangisten auch einen Traktor zur Verfügung (der vermutlich dazu diente, die Leichen zu beerdigen). Ein junger israelischer Offizier, der schreckliche Geschichten von geschockten Frauen gehört hatte, denen die Flucht aus dem Lager gelungen war, lief von einem Offizier zum anderen und bat sie einzuschreiten. Alle weigerten sich. Nach dem Massaker weigerte sich die Regierung Begin, eine unabhängige Untersuchung anzuordnen. Aber durch eine Großdemonstration in Tel Aviv mit 400 000 Teilnehmern zwangen wir die Regierung, eine Untersuchungskommission auf höchster Ebene zu ernennen, die von Yitzhaq Kahan, Richter des Obersten Gerichtshofes, geleitet wurde. Sie machte gute Arbeit, und ihr Bericht schloß alle oben erwähnten Fakten ein. Sie stellte fest, daß der Verteidigungsminister (Scharon), der Generalstabschef und eine Anzahl anderer höherer Offiziere "indirekte Verantwortung" für das Massaker trügen. Schon damals kam die Meinung auf, die Kommission habe sich gewunden, um den guten Ruf des Staates zu bewahren; aus den Fakten hätten viel weiterreichende Beschlüsse gezogen werden müssen. Die Kommission empfahl u.a., den Verteidigungsminister seines Amt zu entheben und Yaron das aktive Kommando über die Kampftruppen zu entziehen. Die Kommission empfahl aber nicht, Scharon aus allen staatlichen und öffentlichen Ämtern zu entlassen, und auch nicht, Yaron ganz aus der Armee zu entfernen. Sie unternahm auch keine Schritte gegen den Generalstabschef, da er sowieso im Begriff war, seine Dienstzeit zu beenden. Die anderen Offiziere erhielten geringere Strafen. Heute ist Scharon Ministerpräsident und befehligt praktisch auch die Armee, und Amos Yaron ist Generaldirektor des Verteidigungsministeriums. Tatsächlich sind alle, die im Kahan-Bericht angeklagt waren, befördert worden. Und das Wichtigste: Nicht einer der für das Massaker Verdächtigen wurde jemals vor Gericht gestellt. Nachdem das belgische Gesetz einer universalen Gerichtsbarkeit erlassen worden war, verklagten Überlebende des Massakers Scharon und die Offiziere in Brüssel. Dies ist die Ursache des gegenwärtigen Tumults. Keiner bezweifelt die Integrität des belgischen Rechtssystems. Wenn Scharon und seine Leute von ihrer Unschuld überzeugt wären, warum sollten sie sie nicht vor Gericht beweisen? Immerhin hat die israelische Regierung ranghohe Anwälte zur Verfügung gestellt, die vom Staat bezahlt werden. All dies hat nichts mit Antisemitismus zu tun. Wenn jeder, der Scharon und seine Mittäter zu kritisieren wagt, als antisemitisch diffamiert wird, erinnert mich das an Samuel Johnsohns Ausspruch: "Patriotismus ist das letzte Refugium eines Schurken." Man kann also ruhig belgische Schokolade essen. Auch wenn es die bittere Sorte ist. Aus dem Englischen übersetzt von Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert.
Erschienen in Ossietzky 5/2003 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |