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Die Behörden rangen den Angehörigen nur mit Mühe die Einwilligung ab, daß 23 Tote exhumiert werden durften. Die Autopsie ergab in allen Fällen: Methanolvergiftung nach dem Genuß gepanschten Reisweins. Lebensmittelkontrolleure nahmen daraufhin an einem einzigen Tag fast tausend Proben. Mehr als vier Prozent davon enthielten eine tödliche Dosis Methanol. Reiswein, mit 20 Prozent Alkohol eigentlich ein Likör, ist in weiten Teilen Asiens zugleich Volksgetränk und Speisewürze. In Taiwan verwenden ihn neun von zehn Haushalten. Nur sehr reiche Leute lassen mit importiertem Rotwein kochen. Der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch an Reiswein übersteigt zehn Liter. Er ist der Cognac des armen Mannes, besonders in der von Arbeitslosigkeit geplagten Südostregion der Inselrepublik, wo fast 30 Prozent der Bewohner an der Alkoholkrankheit leiden. Reiswein dient außerdem zur Herstellung chinesischer (Natur-)Heilmittel. Bevor Taiwan in die Welthandelsorganisation (WTO) eintrat, kostete eine 0,6-Liter-Flasche Reiswein umgerechnet 80 Cent, bei einem Steueranteil von 20 Cent. Die WTO-Mitgliedschaft bewirkte eine Preisexplosion. Von Umsatzsteuern abgesehen betrug allein die Alkoholsteuer pro Flasche im ersten WTO-Jahr 3 Euro. Seit Januar 2003 werden 4,5 Euro je Liter erhoben, ein Einheitstarif für alle destillierten Spirituosen, für Reiswein ebenso wie für importierten US-amerikanischen Whisky (40 Prozent); die Alkoholgehalte, Produktionskosten und Verkaufspreise bleiben unberücksichtigt. Der vormals 80 Cent billige Reiswein kostet jetzt das Sechsfache, mehr als 5 Euro. Whisky, früher mit Import- und Luxussteuern von mehr als 100 Prozent belastet und deshalb je nach Marke 40 Euro pro Flasche teuer, ist jetzt für weniger als 20 Euro zu haben. Besonders die US-amerikanischen Spirituosen-Exporteure profitieren von diesem WTO-Steuersystem. Sie eroberten große Anteile am taiwanesischen Markt für Alkoholika. Das Staatsmonopol der Taiwan Tabacco & Liquor Corp. (TTL) ist gebrochen. Reiswein ist, wenn man die richtigen Hefen hat und das Destillierverfahren kennt, leicht herzustellen. Solange das Staatsmonopol ihn preisgünstig anbot, fand allerdings niemand es der Mühe wert, ihn selbst zu brennen. Doch nach der Preisexplosion warnte die Zeitung Zhong Che Zou Kan: "Starke Nachfrage und extrem hoher Preis ergeben Betrug mit tödlichen Folgen." Richtig. Die Schwarzbrennereien schossen aus dem Boden. Manchen Kriminellen konnte es gar nicht schnell genug gehen. Sie kürzten den Gärungsprozeß ab und versetzten ihr Gebräu mit unreinem Industrie-Alkohol. So entstanden tödliche Gemische aus Alkohol und Methanol, einem Kohlenwasserstoff, den man in Deutschland auch als "Holzgeist" kennt. Chinesische Hausfrauen sind so sparsam wie Hausfrauen in aller Welt (sein müssen). Als die 0,6-Liter-Flasche bei der TTL mehr als 4 Euro kostete, bei den fliegenden Händlern am Straßenrand dagegen nur die Hälfte, erlebten die illegalen Destillerien seit Mitte 2002 eine Hochkonjunktur. Gleichzeitig entgingen der staatlichen TTL Gewinne von einer halben Milliarde Euro. Das ist, bedenkt man die Todesopfer, nur ein kleiner Teil des Lehrgelds, das Taiwan für seinen Beitritt zur WTO zahlen muß. Der von der Welthandelsorganisation gemeinsam mit der Weltbank und dem Internationalem Währungsfonds (s. "Die Killer-Trinität", Ossietzky 14/2001 ff.) organisierten und geförderten kriminellen Profitgier fallen nicht nur in der Dritten Welt unzählige Menschen zum Opfer. Auch in den Industrienationen entstehen mörderische Strukturen, allerdings in unterschiedlichen Dimensionen. Für die Mehrung des Reichtums zahlen allemal die schwachen Glieder der Gesellschaften. Letztlich auch mit ihrem Leben. Eilends beriet das Parlament in Taipei über eine Verschärfung der Strafen für unerlaubte Reisweinproduktion. Drei Jahre Haft und Geldstrafen bis zu 80 000 Euro drohten. Das Justizministerium wies die Staatsanwaltschaften an, Mordanklage zu erheben, falls sich nachweisen lasse, wer die Todesopfer mit gepanschtem Reiswein beliefert hatte. Dann sei mindestens lebenslange Haft zu fordern, in schwerwiegenden Fällen die Todesstrafe. Mehrere Bezirksgouverneure setzten bis zu 15 000 Euro Belohnung für Hinweise auf verbotene Reisweinbrennereien aus. Eine Sonderkommission der Polizei hob kurzfristig 14 illegale Reisweinfabriken aus, beschlagnahmte mehr als 300 000 Liter gefährlichen Fusel und nahm 21 Verdächtige fest. Gern hätte die Regierung in Taipei die Reisweinsteuer korrigiert und dem Schwarzmarkt den Boden entzogen. Doch Taiwan ist an den Steuertarif bis Mitte 2004 gebunden. Erst dann erlaubt die WTO Änderungen. Versuche, schon vorher den Steuersatz für Reiswein zu senken, scheiterten am Nein aus Washington. Die Regierung Taiwans, geblendet von dem Wunsch, das international isolierte Land zum Mitglied einer Weltorganisation zu machen, war von den USA über den Tisch gezogen worden. Ein Grüppchen demonstrierender Studenten in Taipei folgerte: "Nicht nur die Schwarzbrenner verurteilen! Die Politiker bestrafen, die vor den USA buckeln!" Die Regierung griff zu einer Notlösung. Taiwan Tabacco & Liquor Corp. soll keinen gebrannten, sondern nur noch einfach vergorenen Reiswein herstellen. Das senkt den Alkoholgehalt auf zehn bis zwölf Prozent und erlaubt einen günstigeren Steuertarif. Es mindert freilich die geschmackliche Qualität und die Eignung als Speisewürze. Über eine auch international gerühmte asiatische Küchentradition haben US-Amerikaner gemäß den Profitinteressen ihrer Schnapsexporteure entschieden. "Ein schlechter Witz", sagt mein Freund Yang Chen-han. Er erinnert an ein Restaurant, dessen Spezialität wir gemeinsam genossen hatten: gebratene Honig-Ente in Reisweinsoße. Dem Haus seien aus Angst vor Giftwein die Kunden weggeblieben. Ein Tempel der kulinarischen Genüsse sei einem Schuppen für Fast food gewichen: Kentucky Fried Chicken.
Erschienen in Ossietzky 5/2003 |
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