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Na gut, dann eben: Armani, Beckenbauer oder Sloterdijk. Also wirklich! Haben Sie keinen Fernseher? Dann müssen Sie doch Sloterdijk kennen! Den Philosophen. Den Philosophen. Ich sage nur: Schloss Ellmau, Menschenpark, Regeln und so. Und ich sage: Talkshows, Talkshows, Talkshows! Na sehen Sie, jetzt! Und Hero M. Dott, da bin ich ganz sicher, wird bald ebenso bekannt sein wie Sloterdijk. Professor Dott ist auch ein Post-Mann. Ganz viele sind heutzutage post: Post-Kommunisten, Post-Strukturalisten, Post-Feministinnen. Und Professor Dott ist eben Post-Historiker. Er hat eine ganz neue Sicht der Geschichte entwickelt. Sein zentraler Lehrsatz lautet: Geschichte muß passen. Ein genialer Satz! Genial in seiner Doppeldeutigkeit: Geschichte muß passen - zu dir, zu mir, zu ihr, Geschichte muß uns passen; und: Geschichte muß passen - so wie ein Skatspieler, wenn sein Blatt ausgereizt ist. Was von Hero M. Dotts Denkgebäude so alles umfaßt, kann ich hier natürlich nur skizzieren. Wichtig ist zu begreifen, daß er die Geschichte befreit, aus den Fesseln der bisherigen Geschichtsbetrachtung und Geschichtsschreibung, aus den Fängen der Historiker von Thukydides bis Helmut Kohl. Durch Dott wird Geschichte endlich das, was sie eigentlich immer war, aber jahrhundertelang nicht sein durfte: eine Summe von Geschichten. "History", sagt Dott, "history is stories." Damit wird auch zugleich und ganz nebenbei der Streit beendet, der seit einigen Jahrzehnten so unnötig verletzend und mit verhärteten Fronten getobt hat: ob es neben einer History als His-story noch eine Her-story gegeben habe und geben müsse. Na aber klar, sagt Dott. Und eben nicht nur eine - viele, ganz viele His-stories und Her-stories! Und nun zur 1. Historischen Hyper-These von Hero M. Dott: Wann diese Geschichten - und damit die Geschichte - sich ereignet haben, ist belanglos. Wichtig ist nur, ob sie unterhaltsam sind, also spannend und spaßig oder mindestens monströs und sensationell. Ein Beispiel: Daß Kaiser Nero einstmals Rom abgefackelt hat, um ein bißchen Spaß zu haben (heute würden wir sagen: just for fun), das ist wunderschön, das ist eine tolle Geschichte, die wird völlig zu Recht immer wieder erzählt und verfilmt und zitiert und ist daher ganz vielen Menschen bekannt. Dabei spielt es aber überhaupt keine Rolle, wann das passiert ist. Vor oder nach Christus, während der Kreuzzüge, zur Zeit der Han-Dynastie in China oder im selben Jahr wie die Entdeckung Amerikas - die Nero-Story bezieht ihren Charme allein aus sich selbst. Nicht nur Millionen von Schülerinnen und Schülern werden nun aufatmen. Vorbei die öde Jahreszahlenpaukerei! Wann schlug Luther seine Thesen an der Schloßkirche zu Wittenberg an? Wann war die Französische, wann die Sexuelle Revolution? Wann starb Goethe? Alles gleichgültig! Auch wir, die wir das noch lernend durchleiden mußten, sind befreit. Es genügt hinfort zu wissen, daß Bismarck mal Kanzler in Berlin war und eine Heringsfabrik gegründet hat. Bitte? Hat er nicht? Auch egal! Denn wieder hilft uns Hero M. Dott, nun mit seiner 2. Historischen Hyper-These: Nicht nur, wann etwas geschehen ist, kann uns kalt lassen, auch ob und, wenn überhaupt, wie es geschehen ist! Auch das leuchtet unmittelbar ein. Kein Mensch in unserer Zeit kann die Geschichte insgesamt kennen, also die Geschichte aller Völker dieser Erde, deren politische, kulturelle, wissenschaftliche, religiöse oder sportliche Entwicklung von Beginn an bis zur Gegenwart. Jeder, selbst der studierte Historiker, sucht sich die Geschichten heraus, die ihm passen, die ihm gefallen, die ihn beeindrucken und die er sich deshalb merken will und merken kann. Und die erzählen wir dann auch, wenn es uns in den Kram paßt, wir zitieren, weisen darauf hin. Und unser Gesprächspartner oder unsere Leserin können das dann genau so sehen, wenn sie es kennen, oder glauben, wenn sie es wollen. Kurz: Es gibt ohnehin überall nur selektive Geschichte. Bisher war es üblich, das zu kritisieren, daraus ein Defizit abzuleiten oder eine qualitative Hierarchie, wonach ganz oben im Ansehen diejenigen standen, die besonders viel wissen, während alle anderen stufenweise darunter angesiedelt wurden. Falsch, sagt Hero M. Dott, ganz falsch! Jeder Mensch soll dazu stehen, daß er nur Bruchstücke der Geschichte kennt. Solange er daraus keinen "Alleinvertretungsanspruch der Geschichtsdeutung" ableitet, ist das völlig unschädlich, ungefährlich und damit überhaupt nicht zu beanstanden. Es ist nur einfach "Geschichte, die paßt". Oder, um es notwendig international, also englisch auszudrücken: "History for your convenience", kurz: "convenient history". Den wirklich revolutionären Schritt aber tut Prof. Dott mit seiner 3. Historischen Hyper-These: Vorwärts zur Interaktiven Geschichte! Am besten läßt sich dieser Gedanke an einem Beispiel darstellen. Jeder kennt die Fotos in Büchern der früheren Sowjetunion, auf denen Figuren, die in Ungnade gefallen waren, nicht mehr zu sehen sind, weil sie einfach wegretuschiert wurden. Manchmal so schlampig, daß die Fälschung bei oberflächlicher Betrachtung sofort ins Auge fiel, z.B. weil die Füße der entfernten Person noch zu sehen waren. Einer genauen Überprüfung hielten auch ganz gelungene Bearbeitungen nicht stand. Die technischen Möglichkeiten unserer Tage aber sind längst so weit vorangeschritten, daß Manipulationen dieser Art perfekt vorgenommen werden können. Die Fälschung ist nicht mehr nachzuweisen - und wird so zur Wahrheit. Ohne Schwierigkeiten ist es heute möglich, mit Hilfe von Computerprogrammen ein Bild herzustellen, auf dem - sagen wir zum Beispiel - Franz Josef Strauß und Lenin beim Oktoberfest sich mit je einer gefüllten Maß Bier zuprosten. Das ist zwar nie passiert, aber das Foto ist dennoch ein wahres und beweiskräftiges Dokument. Auch mit bewegten Bildern geht das: In dem Film "Forrest Gump" wurde gezeigt, wie der Titelheld dem Präsidenten John F. Kennedy die Hand schüttelt und mit ihm spricht. Als Kennedy ermordet wurde, war der Darsteller noch gar nicht geboren. In Hollywood wird an einem neuen Film mit Bruce Lee gearbeitet; der Darsteller ist zwar 1973 gestorben, aber das hat nichts zu bedeuten, mit Hilfe der Computer sind noch ganz andere Dinge möglich. Das ist nur eine Frage der Zeit und des entsprechenden Willens. Es wird Filme geben, die Kaiser Wilhelm mit Maggie Thatcher zeigen oder Charlie Chaplin mit Verona Feldbusch oder Herbert von Karajan, wie er die Bigband von Duke Ellington dirigiert. Und das alles ist erst ein Anfang. Ich bin sicher, es sind bereits Computerprogramme für den Hausgebrauch in Arbeit, mit wunderschönen Tools zum Thema Geschichte zum Basteln für unsere aufgeweckten Kids. Und, sehen Sie: Genau das versteht Hero M. Dott unter "Interaktiver Geschichte". Jeder Mensch, jedes Volk, jede Partei, jede Gruppe kann - und soll, soll! - sich die Geschichte für sich passend zusammenbasteln. Die Vorstellung, daß Menschen "aus der Geschichte lernen", habe sich ohnehin längst als Illusion, als folgenschwerer Irrtum erwiesen. Mehr noch: Viele Völker leiden an ihrer Geschichte, zumindest an Teilen davon. Unnötig, sagt Dott. Im Gegenteil: Wenn ein Volk sich z.B. eine schöne Geschichte zusammengestellt hat, mit der es glücklich ist und gut leben kann, dann wird es viel friedlicher und viel weniger aggressiv sein als mit einer unpassend schlimmen Geschichte. Das leuchtet völlig ein, oder nicht? Nun, natürlich wird auch Hero M. Dott Widerspruch finden. Wütende Wissenschaftler, keifende Kollegen, polternde Politiker, zynische Zeitungsmenschen werden ihn attackieren, werden versuchen, seine Thesen zu zerpflücken, zu widerlegen, zu verspotten und - wenn gar nichts anderes mehr hilft - zu verbieten. Aber nicht nur Hero Dott selbst, auch ich bin da völlig sicher: Es wird alles nichts helfen. Seine Ideen werden sich ausbreiten, sie werden mehrheitsfähig und schließlich herrschende Lehre werden, der Mann wird in die Galerie der bedeutendsten Denker der Weltgeschichte eingehen. Schade nur, daß es diese Galerie bald auch nicht mehr geben wird; weil sich alle Menschen ihre eigene Galerie zusammenbasteln werden. Und von denen wird keine einer anderen gleichen. Dann haben wir das Stadium der Post-Geschichte erreicht. Lange wird das nicht mehr dauern. Dott sei Dank.
Erschienen in Ossietzky 5/2003 |
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