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Seitdem werden Eiertänze der Interpretation und Langläufe der Relativierung aufgeführt. Nach dem Sieg haben die Kriegsbefürworter mitgesiegt. Nach der Niederlage schieben sie alle Schuld von sich auf andere. Mit Jörg Friedrich, Autor des vielgekauften Buches "Der Brand", entdecken die Deutschen erstaunt ihre mehr als halbe Million Opfer feindlicher Fliegerangriffe. Im Fernsehen tauchen Bilder der kaputten Städte von 1945 auf. Nun haben die Relativierer zu tun: Wir Deutsche hatten mit den Bombenangriffen begonnen. Prompt treten die Relativierer der Relativierung auf: Die Vernichtung von Guernica geschah aus Versehen, London war ein legitimes Ziel, in Coventry befanden sich britische Rüstungsfabriken - die Angriffe auf Dresden, Würzburg, Pforzheim hingegen waren reiner Terror gegen die Zivilbevölkerung. In die Pause allgemeinen Erschreckens hinein verweist Jörg Friedrich auf die getöteten unschuldigen deutschen Kinder. Ralph Giordano verweist sogleich auf die ermordeten jüdischen Kinder und betont die Schuld Hitlers und seiner unzähligen Anhänger am Kriege. Aufatmen linkerhand, kaum unterdrückte Wut rechterhand. Jörg Friedrich war schon gegen die Wehrmachtausstellung, weil sie, die Schuld der Wehrmacht pointierend, die Schuld der anderen Seite vermindere, was sein Freund Giordano immer erneut als Abschwächung deutscher Verbrechen empfinden mußte, in aller alten Verbundenheit. Giordano: Pazifismus taugt nicht in Kriegszeiten. Ach ja, diese verdammten Pazifisten. Wann ist keine Kriegszeit? Sie zielen mit Argumenten und Zahlenangaben aufeinander wie Soldaten mit Gewehren: Die alliierten Bomber hätten unterschiedslos Frauen, Kinder, Greise getötet. Terror also, vergleichbar dem deutschen Terror im Osten. Unterschiede? Ja, die englische Luftflotte habe über 40 000 Mann verloren, soviel wie 1941 in England Zivilisten durch deutsche Bomben starben. Doch die deutschen zivilen Opfer alliierter Luftangriffe hätten sich auf über 600 000 summiert. Freilich: Die deutschen Mordkommandos im Osten erschossen per Hand mehr als eine halbe Million jüdische Männer, Frauen, Kinder. Kommunisten nicht eingerechnet, die sowieso vogelfrei waren. Und im Gegensatz zu den angloamerikanischen Bomberfliegern hatten die deutschen Erschießer keine Verluste zu befürchten. Sie mordeten gefahrlos, ganz wie die Mörder im KZ. - Milchmädchenrechnungen in Hektolitern von Blut. Als es die PDS noch gab, leitete einer ihrer Politiker jede Antikriegsbekundung mit den Worten ein: Ich bin kein Pazifist, aber ... . Warum ist es so schwer, Pazifist zu sein? Was ist der Soldat: Held, Mörder, Angreifer, Verteidiger, Friedensbringer, Friedensvernichter? Im Ernstfall ist der eigene Soldat Held, der auf der anderen Seite Mörder. Das läßt sich umdrehen, führt aber ins selbe Dilemma. Bei gleichwertigen Mächten ist der Soldat vom Typ her Gladiator. Es ist nicht von Anfang an ausgemacht, wer siegt und wer besiegt wird. Ist eine Seite stärker, wird der Soldat zum Jäger, Schlächter, Vernichter. Die besiegte Seite möchte auch Held sein und sinnt auf Rache. Bei Siegern wie Besiegten gibt es ein paar Außenseiter, die sich als Pazifisten erklären. Martin Niemöller, als er seinen alten Freund Kraschutzki vorstellte: "Ein kluger Mann, dem schon der I. Weltkrieg genügte, Pazifist zu werden. Ich brauchte dazu noch den II. Weltkrieg." Kriege sind durchweg das Werk von Eliten, die ihre Völker dazu verführen. Die Deutschen mußten nach 1945 zur neuen Aufrüstung erst belabert und genötigt werden. Die Sieger wollten es, die Leute nicht. Die Elite gab sich ganz wie unter Wilhelm II. und Hitler dafür her. Stets reden die Oberen den Unteren ihren gottverdammten Krieg auf. Die Kriegsfürsten blasen nachdrücklich zum nächsten Kreuzzug. Mit wem Gott ist, wird im Sieg entschieden, wenn er nicht vorher sabotiert wird. Die im Februar 2003 auflebende Friedensbewegung reizt die medienbeherrschenden, ihre Computer mit Kriegsgeschrei fütternden Schreiber bis zur Weißglut. Der vormalige Sponti Thomas Schmid, früher Joschkas Pflasterstrand-Genosse, in der FAZ zum Anti-Fischer aufgepäppelt, plappert im Leitartikel vom 14. Februar, ganz wie das angeschimmelte Lehrbuch gebietet: "Wenn du den Frieden willst, rüste dich für den Krieg ..." Er ist so stählern, daß er neben Schröder/Fischer auch die Oppositionsführerin abmerkelt, weil "ein halbpazifistisch verbrämter Sonderweg die falsche Lehre aus der deutschen Geschichte ist". Denn Merkel "hätte den Mut haben müssen, die Kriegsoption auch auszusprechen und klarzustellen, daß es einer Abdankung der Politik gleichkommt, wenn sie unter Berufung auf Meinungsumfragen politische Festlegungen trifft". Ja, wo kämen wir denn hin, würde die Volksmeinung ins Kalkül gezogen. Inzwischen fand Merkel auf US-Reisen den "Mut ... zur Kriegsoption". Sie hat eben den FAZ-Schmid beherzigt. In der Sonntagsausgabe der Frankfurter Allgemeinen vom 16. Februar spuckt der radikal gewendete Sponti Blut und Galle gegen die weltweiten Friedensdemonstranten. "Nicht als Pazifisten, sondern weil sie ihre Kreise nicht gestört sehen wollen, gehen sie auf die Straße." Denn: "Wir können den Amerikanern nicht verzeihen, daß sie uns befreit haben." Der Satz gewinnt durch ständige Wiederholung nicht an Wahrheit, vergessen gemacht werden Widerstandskämpfer und der Anteil der Roten Armee an Nazi-Deutschlands Niederlage. Antifaschisten wissen durchaus, es waren keine Pazifisten, die Hitler besiegten. Aber als Hitler die Pazifisten besiegt hatte, waren die Kriegswürfel gefallen. Zuerst kommen die Pazifisten dran, deren Beseitigung freies Schußfeld schafft. Dafür wird noch vor den Soldaten die Leitartikelleibgarde aufgeboten und honoriert. Eine Viertelmillion Lemminge marschierte 1942 nach Stalingrad, die sechstausend Überlebenden verstanden sich und die Welt nicht mehr. Den Lemming von der FAZ für drei Wintermonate an die Wolga und anschließend für zehn Jahre nach Sibirien zu schicken, beanspruchte zuviel Zeit, den Schlag der Vernunft zu beenden. Die auf Stalingrad zumarschierenden deutschen Lemminge wußten über ihre wahre Natur nicht Bescheid und glaubten an ihren Sieg bis in den Kältetod. Es waren keine Pazifisten unter ihnen. Die hatte man vorher erledigt. Dem Wehrmachtsoldaten war allerdings das Risiko eigenen Untergangs verblieben, im Gegensatz zum heutigen High-Tech-Spezialisten, der stolz darauf ist, nur seinen Job zu tun, ganz ohne Hemmungen bei optimaler Vernichtungskraft. Ein Monster in elektronischer Verpuppung.. Man braucht den Helden nur noch zu klonen, und fertig ist das unbesiegbare Heer feuerspuckender Roboter mit menschlichem Gesicht. Das Reichsgericht übrigens ließ mehr als 300 Bibelforscher (Zeugen Jehovas) hinrichten, weil sie sich weigerten, am Krieg teilzunehmen. Soviel zur Tapferkeit der verdammten Pazifisten.
Erschienen in Ossietzky 5/2003 |
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