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Doch zunächst sitze ich im Sky Harbor fest. Ein Mann ohne Koffer, aber mit Michael Moores "Stupid White Men" in der Tasche, der niemanden in Arizona kennt, weder Führerschein noch festes Reiseziel hat? Da verschwimmt bei manchem Security Officer leicht der Unterschied zwischen Tou- und Terrorist. Nach zwei Stunden kennt er die aufregendsten Winkel meines Körpers, meine Krankheiten, Name und Alter meiner Katzen. Das endlich genügt für freies Geleit. Eingetroffen bei Ben und Katherine, fragen wir, warum alle Flaggen auf Halbmast hängen. Sie zucken mit den Achseln. Sie haben keinen Fernseher und wissen noch nicht, daß die "Columbia" explodiert ist. Zwanzig Jahre hatte das älteste der Space Shuttles auf dem Buckel, aber niemand scheint auf die Idee zu kommen, die Kürzungen bei der NASA zugunsten des Militäretats hätten mit der Katastrophe zu tun. Statt dessen heizt der Absturz die patriotische Stimmung an. Die Staatstrauer treibt kuriose Blüten: Vor einer Shopping Mall hängen Begrüßungsflaggen auf halber Höhe: "Welcome". Selbstredend klebt auch an unserem Chevrolet eine US-Flagge. Fast jedes Auto ziert mindestens ein solcher Sticker oder der Slogan "United we stand" - gegen Bagdad. Abseits vom Highway 93, auf halber Strecke zwischen Phoenix und Las Vegas, stehen wir am 3. Februar vor einem Schild: "Welcome to the town of Bagdad, the best copper town anywhere." Von den 1578 Bewohnern treffen wir nur wenige Frauen an; die Männer arbeiten wohl in der Mine. Das Heimatmuseum - eine Holzhütte von Wohnzimmergröße - ist geschlossen. Im Convenience Store fragt uns ein alter Mann, woher wir kommen und was wir vom Krieg denken. Er verstehe die Logik nicht: Irak sei doch viel weniger eine Gefahr als Nordkorea, das ganz sicher die Atombombe habe. "Was will man denn erreichen, indem man Irak bombardiert?" Als von Motel zu Motel Reisende haben wir kaum andere Informationsquellen als das Fernsehen. "Auf allen Kanälen munkelt man von einem dritten Golfkrieg", schrieb ich an dieser Stelle vor fünf Jahren. Heute munkelt niemand mehr; faktisch ist längst Krieg und sämtliche Nachrichtensender geben am linken unteren Bildschirmrand die Parole aus: "Terror Alert High" (Terror-Alarm). Selbst in abgelegensten Nestern stoppt die Polizei verdächtige Laster. Ganze Innenstädte legt man im Namen der nationalen Sicherheit lahm und überträgt das Ganze nationwide und natürlich live. Man räumt Kaufhäuser und hat angeblich sogar Indizien für einen geplanten "islamischen Anschlag" auf das Autorennen in Daytona Beach. Bei CNN wechseln solche Berichte mit unverhohlener Hetze gegen die UN-Waffeninspektoren. Als Außenminister Powell dem UN-Sicherheitsrat seine "neuen geheimen Dokumente" präsentiert, werden seine fadenscheinigen Mutmaßungen mit keinem Wort infrage gestellt. Die Premiers Aznar und Blair werden gefeiert, "out" sind unterdessen Franzosen, Deutsche und Russen. FOX untersucht den "Antiamerikanismus" in Europa und verweist auf die repräsentative Umfrage "Welches Land halten Sie für die größte Gefahr für den Weltfrieden?" von Channel 4 in Großbritannien: Ergebnis: 3. Platz: Irak. 2. Platz: Nordkorea. 1. Platz: USA. Der Korrespondent schlußfolgert messerscharf: "Die Europäer ertragen es nicht, daß sie den USA unterlegen sind." MTV überträgt Rockkonzerte vor US-Soldaten, während auf dem History Channel Reportagen über Heldentaten von "Special Forces" im Zweiten Weltkrieg, in Vietnam oder am Golf dominieren. Daß, im Gedenken an den 3. Februar 1870, der den Schwarzen das Wahlrecht brachte, gerade "Black History Month" ist, stört gar nicht. Die Emanzipation schwarzer Soldaten, lernt man da, bekam im Krieg stets bedeutende Impulse. Analog zu den "Buffalo Soldiers" nennt man Frauen und Homosexuelle, deren Situation sich stets verbesserte, wenn das Kanonenfutter knapp wurde. Discovery bringt eine wie ein Krimi inszenierte Reportage über das Wettrennen von Lockheed und Boeing um den Auftrag für den "Jäger des 21. Jahrhunderts". Am Ende macht Lockheed mit seinem Senkrechtstarter den 220-Milliarden-Dollar-Deal. Auf den Unterhaltungskanälen wie HBO: Gewalt allerorten, Spielfilme fast ausschließlich zum Kampf der zivilisierten Menschheit gegen Barbaren aller Art, etwa Aliens, die bevorzugt New York zerstören oder US-Raumschiffe bedrohen, wobei das Gute stets durch die vereinte Feuerkraft der intergalaktischen Union obsiegt. Nicht einmal Werbepausen gönnen dem Pazifisten Ruhe. Wir geraten in einen Spot, in dem zwei uniformierte Meister-Proper-Gestalten angeben, ihre Bizepse seien während des Afghanistan-Einsatzes auf Geräten der Sportgerätefirma Boflex derart angeschwollen. Der Verdacht liegt nahe, daß dort auch ihr Hirn geschrumpft ist. Vom Grand Canyon kommend, haben wir unterdessen in Utah die Nationalparks Bryce und Glen Canyon, Capitol Reef und die Natural Bridges gesehen und fahren, nun wieder im Nordosten Arizonas, nach Abstechern am Canyon de Chelly und dem unglaublich schönen, verschneiten Petrified Forest, südostwärts nach New Mexico. Dort erreichen wir mit Carlsbad den südlichsten Punkt unserer Reise und wandern stundenlang durch die grandiosen Höhlen und das Living Desert Museum. Unterwegs haben wir im Radio immer wieder den Titel "Travelin' Soldier" des Country-Trios Dixie Chicks gehört. Die Schnulze der Texanerinnen - Mädchen trauert um Vietnam-Gefallenen - kommt ohne Napalm, Bombenteppiche und tote Vietnamesen aus und rangiert seit Ende 2002 weit oben in den Country Charts. Im Walmart bedient uns abends an der Salatbar eine Endfünfzigerin. "Nora" steht an der Schürze. "Sind Sie deutsch?" fragt sie unvermittelt. Sie stamme aus Schweinfurt, ihr Mann war GI, nach Ende seiner Dienstzeit hätten sie sich hier ein Haus gebaut. "Ich bin froh, daß er pensioniert ist bei der jetzigen Weltlage." Wir erfahren nicht, ob Nora gegen den Krieg oder nur froh ist, keine Angst um ihren "Travelin' Soldier" haben zu müssen. Sich auf die atemberaubende Natur zu konzentrieren, ist nicht immer leicht. Schon auf früheren Wüstenfahrten sahen wir Militärflugzeuge am Himmel, aber nie in dieser Häufigkeit. Als wir durch die menschenleeren Dünen des White Sands National Monument laufen, versetzen uns nicht nur Regenschauer in Endzeitstimmung. Über uns kreisen, meist in Zweierformation, Stealth-Jäger des Typs F 117A, eines im Anflug höchst bedrohlich wirkenden schwarzen Vogels. Zuweilen werden einzelne begleitet von in diversen Kriegen bewährten Jägern wie der kleinen, wendigen F 5 oder einer F 15. Sie starten in Minutenabständen von der nahegelegenen Holloman Air Force Base in Alamogordo, ziehen im Tiefflug eine große Schleife und landen wieder. Man übt offenkundig für ein geographisch ähnliches Einsatzgebiet. Auf dem Weg zum White Sands Missile Range Museum erkenne ich im Rückspiegel eine zweistrahlige Republic A 10 Thunderbolt. Mit seinen sehr geraden Flügeln nähert sich das Erdkampfflugzeug langsam im Tiefstflug, bis die Bordkanonen zu sehen sind, und entfernt sich wieder, um kurz vor der Bergkette rasant abzudrehen. Sollte ich ein Beispiel für eine Terrorwaffe nennen, es wäre mit Sicherheit die A 10. Das Museum gehört der Air Force. Man wird von Uniformierten empfangen; schon das Tor wirkt abweisend. Weiter als 50 Meter kommt man sowieso nicht auf das Gelände. Schamlos huldigt das Militär den einst hier getesteten Waffen - einschließlich jener A-Bomben, die auf Hiroshima und Nagasaki fielen. Die Raketen und Cruise Missiles stehen wie ein kleiner Wald vor dem Gebäude. Man wandelt zwischen "Pershings" und "Tomahawks", deren mobile Abschußrampen das Typenschild als deutsche Wertarbeit ausweist: MAN. Im weißen Sand wurden in den 90er Jahren auch Landminen erprobt, die an Mini-Fallschirmen herabschweben - made in Germany. Apropos: Leider sei die schwarz-gelbe Original-V2 zur Restaurierung abtransportiert worden. Die größte Zelebrität in White Sands ist noch immer der Mann, der Hitlers "Vergeltungswaffen" mit in die Wüste von New Mexico brachte. Mit keinem Wort wird erwähnt, daß diese V2-Raketen 13 000 Londoner das Leben kosteten. Warum auch: "When the rockets go up / Who cares where they come down / That's not my department / Says Wernher von Braun" hieß es bereits 1960 in einem Song von Tom Lehrer. Als wir White Sands verlassen, steht zumindest im Gästebuch: "Wernher von Braun was a Nazi!" Tucson am Sonnabend, dem 15. Februar. Es ist der vorletzte Tag unserer Reise. Die Straße zum Pima Air Museum in Tucson führt geradewegs durch das Gelände der Davis Monthan Air Force Base. Nach Typen geordnet warten hinterm Drahtzaun hunderte offenkundig einsatzbereite B-52- und B-1-Bomber, Kampfjets, Transporter und Lufttanker. In Tucson sehen wir aber auch die einzige Friedensdemo unserer Reise. Drei Frauen stehen mit Schildern an einer Kreuzung: "No War For Oil!" Als wir die Stadt in Richtung Phoenix Sky Harbor verlassen, hören wir im Autoradio, in Flagstaff am Grand Canyon seien immerhin 1400 Menschen auf die Straße gegangen. Noch im Motel hatten wir gestaunt, als CNN exorbitante 30 Sekunden einer Münchner Friedensdemo mit 20000 Menschen widmete. Daß in selber Sache in Rom, Berlin, Madrid, Barcelona und London oder auch New York und San Francisco Hunderttausende auf den Beinen waren - kein Wort davon auf CNN. Das erfahren wir erst, als wir an Bord einer Lufthansa-Maschine die bösartigen Kommentare der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung lesen. Über Phoenix kreisen derweil die Maschinen der Luke Air Force Base.
Erschienen in Ossietzky 5/2003 |
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