Die aktuellen Fragen einer Antikriegsbewegung hätten sein müssen: Wie kann der US-Angriff verhindert und Saddam Hussein gleichzeitig abgesetzt werden?
Es war ein großer Erfolg, wenn in Berlin 500.000 Menschen gegen einen drohenden Krieg auf die Straße gegangen sind. Man kann einer deutschen Linken in einer Zeit, in der es keine breiten sozialen Bewegungen gibt, nicht vorwerfen, in Sarkasmus oder Theorieblähungen zu verfallen. Man kann Hunderttausenden, die nicht aufgrund jahrelanger Analyse, sondern aus Unbehagen gegenüber Krieg demonstrieren, nicht ihre Unreflektiertheit vorwerfen. Zum Problem wird das Zusammentreffen in Konstellation aus beidem. Die Parolen in Berlin zeichneten sich mehrheitlich durch eine moralische Verurteilung von George W. Bush aus. Zwar hätte es mancher Antideutsche gerne, wenn er den Antiamerikanismus, den er wittert, auch tatsächlich vorfindet, aber: Die Verurteilung der Regierung Bush ging nicht einher mit einer Ablehnung der Menschen in Amerika; die Solidarität mit der internationalen Friedensbewegung war hegemonial.
Fragwürdig waren Transparente, die Bush mit Hitler verglichen und vereinzelte Solidarisierungen mit dem Schlächter von Halabdja. Bei den ersten zeigte sich jedoch, daß Unreflektiertheit, nicht Relativierung des Holocausts, der Grund war. Als ich die (jungen) Träger des Bush-Hitler Transparentes darauf ansprach, ob sie die US-Militärstrategie mit der industriellen Vernichtung von sechs Millionen Menschen gleichsetzen wollen, war es ihnen peinlich.
Hier setzt meine Kritik an, die ich formulieren möchte, ohne in zerfleischende Positionsstreitigkeiten zu kommen. Offensichtlich hat sich die in den 1990er Jahren marginalisierte Linke hierzulande an ihr "Outlawimage" so gewöhnt, daß es ihr schwer fällt, eine antimilitaristische Strömung wahrzunehmen und Alternativen zur Herrschaftspolitik zu formulieren.
Wie ist es sonst zu erklären, daß sich diverse Kommentare zu einer Demonstration mit (weltweit) Millionen Menschen mit akribischem Feingefühl aus Tausenden von Transparenten die Handvoll herausfischen, die sich als antiamerikanisch, holocaustrelativierend und/oder antisemitisch interpretieren lassen?
Ich halte diese antinationale Kritik für wichtig und notwendig. Sie sollte sich aber darauf konzentrieren, "Friedensbewegten", die (noch?) nicht den "analytischen Durchblick" haben, Hintergründe zu vermitteln, statt ihr Engagement abzulehnen. "Kein Blut für Öl" Transparente oder Konstantin Weckers "Erkenntnis", daß Bomben Wohnhäuser treffen, sind genauso banal wie wirkungslos. Die Aufgabe einer antimilitaristischen (nicht pazifistischen!) Linken wäre es, aus diesem Unwohlsein heraus emanzipatorische Alternativen für den Irak zu entwickeln.
Ein Ansatz der Friedensbewegung geht von falschen Voraussetzungen aus: Die Menschen im Irak werden nicht erst unter Krieg leiden, wenn die US-Regierung erneut die Armenviertel von Bagdad bombardieren läßt. Die Iraker leiden seit Jahrzehnten unter einem Kriegsregime. Es geht also nicht darum, daß der Krieg im Irak nicht anfängt, sondern, daß er aufhört! Das ändert sich nicht, indem man statt wie weiland Enzensberger Saddam, Bush den schwarzen Peter (das Hitlerbärtchen) aufklebt. Das ändert sich aber auch nicht, wenn man wiederkäut, daß Kapitalismus sowieso immer Krieg bedeutet!
Es ist nämlich ein Unterschied, ob Menschen in den Metropolen ihren Job verlieren, unter erkalteten Verhältnissen leiden, sich entfremden und in esoterische Scheinwelten flüchten oder im Irak gefoltert und ermordet werden.
Ich halte indes einen vernachlässigten Aspekt für den Dreh- und Angelpunkt einer wirkungsvollen Kritik: Es gibt Indizien, daß die US-Adminstration zunehmend von der Hegemonie zu den Kategorien eines Imperiums übergeht. Rumsfelds Ausfälle gegen die europäischen "Vasallen" gehören zu dieser imperialen Logik wie der Afghanistan- und der Irakkrieg, wie die Ultimaten an Saddam, die Drohungen gegen Syrien und Saudi-Arabien.
Die aktuellen Fragen einer Antikriegsbewegung müßten sein: Wie kann der US-Angriff verhindert, Saddam gleichzeitig abgesetzt und das Leid der Irakis minimiert werden? Die weitergehenden Fragen müßten lauten: Welche "neue Weltordnung" könnte ein Gegenentwurf zum Imperium sein?
Die Wirksamkeit einer Antikriegsbewegung steht und fällt mit diesem strukturellen Bruch: In einem Staatenbund (wie der UNO) gilt allgemein das gleiche Recht. Ziel solcher Bünde ist die Herstellung der Gleichberechtigung der Staaten und die Zivilisierung von Konflikten. In einem Imperium gelten verschiedene Rechtssysteme: Stabilität bis hin zu bürgerlicher Demokratie im Zentrum, Vasallentreue und Bürger zweiter Klasse in der Semiperipherie, flexible Militärpolitik und Rohstoffaneignung in der Peripherie. Für ein Imperium ist es logisch, demokratische Anwaltssysteme im Zentrum aufzubauen und Taliban entgegen diesen Prämissen zu mißhandeln.
Da sollte die Kritik ansetzen. Die US-Strategie, nach der 30 Länder auf der "schwarzen Kriegsliste" stehen, deutet darauf hin, daß das Gesamtkonzept der Supermacht zunehmend konträr zu den Prinzipien der UNO steht. Die US-Außenpolitik konzentriert sich zunehmend auf direkte Eingriffe zur eigenen Energieversorgung. Das geht über Saddam Hussein weit hinaus. Rumsfeld drückte das aus, als er sagte, daß "Terroristenförderer" wie Saddam ziviles Material zur Herstellung von "evil weapons" verwenden und die USA sich Handlungsopitionen offenhalten. Im Klartext heißt das: Wann die USA für ihre Interessen, wo und warum einmarschieren, ist allein Angelegenheit der USA.
Hier halte ich Ansätze, die die Uno prinzipiell als "Kapitalistenclub" ansehen, für verfehlt. Ein Staatenbund gewährleistet eine internationale Rechtssicherheit (zumindest in der Theorie). Es scheint so, als ob der Irakkrieg das Fanal zur Aufhebung der fortschrittlichen Aspekte des internationalen Systems nach 1945 ist. Eine Friedensbewegung, die nicht diesen Hintergrund, sondern das Vorgehen gegen Saddam Hussein angreift, läuft ins Leere.
Die Politik des US-Imperiums orientiert sich an der Kontrolle über die Region Mittlerer Osten. Sie muß sich dabei die größtmögliche militärische Flexibilität aufrechterhalten. Die hat sie: Flugzeugträger im Persischen Golf!
Für ein Imperium ist zweitrangig, ob ein Staatsoberhaupt Zehntausende schlachten läßt oder ob Millionen gegen Krieg demonstrieren. Entscheidend sind die Kosten, um die Peripherie zu "stabilisieren". Die Flugzeugträger in Bereitschaft zu halten, kostet Unsummen. Eine imperiale Außenpolitik ist nur dann von Dauer, wenn sie erstens ihre Wirksamkeit (Krieg und Reichtum) unter Beweis stellt und zweitens die Kosten für die Kontrolle der Peripherie unter dem Gewinn aus der Peripherie bleiben.
Deshalb drängt die imperiale Strategie nach einer Entscheidung. Deshalb ist sie lebensgefährlich. Ein Flächenbombardement wäre nämlich für die US-Administration kostengünstig und in der imperialen Logik folgerichtig - und zwar nicht nur im Irak, sondern überall im Mittleren Osten.
Die Stabilität eines Staatenbundes ist dabei der Stabilität eines Imperiums entgegengesetzt. Stabilität eines Staatenbundes bedeutet Einhaltung von Staatsgrenzen, kollektive "Bändigung" von Aggressoren, Aufrechterhaltung einer verbindlichen Rechtssicherheit, rechtliche "Bändigung" der ökonomisch und politisch Überlegenen, Möglichkeit aller Beteiligten, imperiale Politik von Einzelstaaten anzuklagen.
Alle diese Punkte sind für ein Imperium destabilisierend. Das Verhältnis eines Imperiums zu anderen Staaten basiert nicht auf dem Austausch und der Rechtsgleichheit, sondern auf Loyalität versus Illoyalität. Was im Staatenbund bedeutet, ein Eigeninteresse zu vertreten, ist für ein Imperium ein Vertrauensbruch. Eine Bändigung von Aggressoren durch das Kollektiv behindert das Imperium in seiner Herrschaftstruktur, ist destabilisierend.
Meines Erachtens nach müßte eine Antikriegsbewegung die Stärkung des Staatenbundes als Gegenentwurf zum Imperium setzen. Leider kann sich eine Friedensbewegung aufgrund ihres fundamentalpazifistischen Ansatzes darauf schwer einlassen. Es würde bedeuten, statt US-Truppen einmarschieren, Blauhelme permanent im Irak patrouillieren zu lassen, die Substruktur durch NGOs zu kontrollieren, das Embargo zu verändern, indem Lebensmittel-, Hilfs- und Medikamentslieferungen direkt an die Bevölkerung kommen und die Kontrolle von Militärlieferungen verschärft wird. Es würde bedeuten, Saddam Hussein die Souveränität zu nehmen und den Irak quasi unter UNO-Protektorat zu stellen. Der brenzlige Punkt ist, daß dies Polizei- und Militäraktionen gegen Saddam Hussein einschließt.
Diese UNO-Kontrolle würde aber bedeuten, daß es reale Möglichkeiten gäbe, Saddam Hussein de facto zu entwaffnen, die zivile Infrastruktur zu stärken und das Leid der Menschen im Irak zu lindern. Zudem könnte Saddams Militärmacht so geschwächt werden, daß die Absetzung des Tyrannen in den Bereich der Realität rückt. Saddam würde durch die Kontinuität der Kontrolle zermürbt. Der Schlächter würde am langen Arm verhungern, die Bush-Warriors würden nicht als Helden dastehen.
Der US-Krieg bedeutet, das Leid der Bevölkerung zu potenzieren, die zivile Infrastruktur zu zerstören, dem Regime die Möglichkeit zu geben, noch einmal alles an Militär aufzufahren, was da ist, um dann - nach der Zerschlagung - eine US-geprägte "Außenstelle" des Imperiums zu schaffen. Zudem würde es Saddam die Möglichkeit geben, als "Saladin" im "Kampf gegen die Kreuzritter" den "Heldentod" zu sterben. Ein via Fernsehen übertragener Krieg könnte das Bush-Imperium ideologisch aufladen und die Fortsetzungsserie zum Alltag werden lassen.
Wenn ATTAC gegen den Krieg aufruft, weil Saddam zwar ein Diktator, Bush aber der Aggressor sei, mag dies der eigenen Befindlichkeit, daß man weder Aggressoren noch Diktatoren mag, gut tun, wird aber die Politik der USA im Mittleren Osten nicht auch nur einen Millimeter verändern.
Wenn die US-Regierung in der Kategorie des Imperiums denkt, das in den nächsten 25 Jahren seinen Energieverbrauch um 40% erhöhen muß und dafür zunehmend auf Ölimporte angewiesen ist, dann hilft letztlich nur ein Gegenmodell zur Gesamtstrategie.
Für das Imperium sieht es so aus: Der Mittlere Osten besteht aus politisch instabilen Systemen, mit einer Bevölkerung, die den USA mehrheitlich feindlich gegenübersteht. Das Imperium wird direkt oder indirekt, mittels Krieg oder Sanktionen, versuchen, diese Bevölkerung zu "befrieden" und die Systeme in ihrem Sinne zu "stabilisieren", zur Loyalität zu zwingen.
Es erübrigt sich, darauf hinzuweisen, daß diese "Stabilisierung" einer Stabilität im Sinne von rechtlicher und sozialer Emanzipation entgegensteht. Hier kommt die ausgelutschte Floskel der internationalen Solidarität wieder zu einem Inhalt; dieser Inhalt ist wesentlich bescheidener als der Ruf nach der Weltrevolution. Er ist, um es ganz deutlich zu machen, alles andere als antiamerikanisch. Er bedeutet, mit den Antikriegs-Aktivisten gerade in den USA und mit der weltweiten Globalisierungskritik zusammenzuarbeiten.
Denken wir weiter: Wenn es stimmt, daß die Bush-Regierung von der Hegemonie der Reagan-, Bush-Senior und Clinton-Ära zum Imperium übergeht - und alles deutet darauf hin - dann liegt darin auch die Perspektive.
Die Bush-Regierung würde sich zunehmend außenpolitisch isolieren! Sie könnte außen- wie innenpolitisch durch globalisierungskritische Netzwerke, Bürgerrechtsbewegungen und die internationalen Organisationen behindert und schließlich abgewählt werden.
Dies setzt aber voraus, daß die quantitativ größte Antikriegsbewegung, die es global jemals gab, einen Gegenentwurf des internationalen Systems aufbaut. Dieser Gegenentwurf ist nicht chancenlos. Die Antikriegsbewegung ist heute bereits international vernetzt wie keine Bewegung zuvor. Sie müßte diese internationale Vernetzung aber strukturieren und nicht als moralische, sondern als politische Alternative zum Imperium konsolidieren.
Dieses Imperium zeichnet sich nicht dadurch aus, daß es gut oder böse, moralisch verwerflich oder empfehlenswert ist, sondern international in einer Militärhierarchie handelt, die den "Zähmungsprozessen", die in Europa seit dem Westfälischen Frieden angedacht wurden, zuwiderläuft.
Die Begriffe von "Gut und Böse", Moral und Unmoral eines Imperiums sind andere als die eines Staatenbundes. Es geht um die Organisation der Weltpolitik. Meiner Meinung nach liegt darin der tiefere Grund, wenn Josef Fischer das "alte Europa" beschwört. Für die Bundesregierung geht es nicht um pro oder contra Krieg, sondern um ein Loyalitätsproblem; darum, (kriegführende) Hegemonialmacht in Europa oder, mit allen Vor- und Nachteilen, der "Wehrbürger Nr.1" der Bush-Administration zu sein.
Die deutsche Friedensbewegung befindet sich heute in einer Falle: Sie geht mit einem rein moralischen Impetus auf die Straße und verbaut sich den Weg, langfristige Alternativen zu entwickeln.
Ob die Antikriegsbewegung erfolgreich sein wird, steht und fällt damit, ob sie es schafft, sich langfristig mit internationalen Alternativentwürfen als Gegenmacht zu etablieren. Sie kann das Imperium nicht schwächen, ohne seine Struktur zu durchleuchten. Im Gegenteil. - Wenn es heißt: "Es brennt", wird das Imperium zur Stelle sein, um zu löschen. Das ist seine Aufgabe, denn zur Herrschaft gehört nicht nur die Jagd, sondern auch die Hege.
Zur Zeit ist die Friedensbewegung in einem Dilemma: George W. Bush "Pax Americana" ist der Logik von Hussein innig verbunden. "They are speaking the same language!" Eine Friedensbewegung, die dem Blutsäufer in Bagdad ein "Shalom Alechem" singt, wird weder der "unendlichen Gerechtigkeit" noch der nächsten "Mutter aller Schlachten" ein Ende setzen.
Die Menschen in der Welt und zuallererst im Irak, haben aber ein Recht darauf, daß beides endlich aufhört.
https://sopos.org/aufsaetze/3e767b59f330d/1.phtml
sopos 3/2003