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Auf eigene Rechnung

"Gender Gap" in der informellen Ökonomie

von Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf

Frauen gelten als "Pionierinnen der flexiblen Arbeitsformen". Tatsächlich stellen sie die Mehrheit der "unsichtbaren" und daher statistisch nicht erfaßten Arbeitskräfte des informellen Sektors dar. In einigen Ländern des südlichen Afrika verdienen nahezu alle weiblichen Erwerbstätigen außerhalb der Landwirtschaft ihren Lebensunterhalt mit informeller Arbeit: in Benin und im Tschad 97 Prozent, in Mali 96 Prozent. In sieben der zehn lateinamerikanischen Länder, für die Daten vorliegen, und in einigen asiatischen Ländern arbeitet etwa die Hälfte der erwerbstätigen Frauen im informellen Sektor. In Indien und Indonesien trifft dies auf neun von zehn Frauen zu.

Aus vielen Gründen sind Frauen in der informellen Ökonomie stärker präsent als Männer: Die Migration vieler Männer (vom Land in die Stadt und ins Ausland) und die Zunahme an Ehescheidungen haben zur Folge, daß es immer mehr weibliche Haushaltsvorstände gibt. Sie müssen für sich und ihre Kinder, häufig auch für alte und arme Eltern oder Verwandte den Lebensunterhalt sichern. Außerdem sind Frauen in nahezu allen Ländern sexistisch diskriminierenden Einstellungspraktiken von Arbeitgebern ausgesetzt und haben so noch schlechtere Chancen als Männer, Zugang zu den schrumpfenden Erwerbsmöglichkeiten in der formellen Ökonomie zu finden. Je dezentraler und haushaltsnäher die informelle Arbeit ausgeführt wird, desto niedriger sind oft die Löhne oder Gewinne, desto weniger reguliert die Arbeitsbedingungen, desto geringer die gewerkschaftliche Organisation, desto eher werden national oder international geltende Rechte verletzt. Weil ihnen der Schutz fehlt, wird gegenüber Frauen Gewalt und Zwang ausgeübt.

Es spricht sogar viel dafür, daß der "gender gap" - die geschlechtsspezifische Segregation der Arbeits- und Geschäftsbereiche und der Profitmöglichkeiten - in der informellen Ökonomie größer ist als in der formellen. In der Regel sind Frauen als Gelegenheitsarbeiterinnen tätig, als Untervertragsnehmerin im letzten Glied einer Produktions- und Vermarktungskette. Während Informalität für Männer oft nur ein Übergangsphänomen darstellt, bleibt sie für Frauen meist für die gesamte Dauer ihres Erwerbslebens prägend. Dadurch ist ihre längerfristige Einkommenssicherheit, vor allem im Alter, stark gefährdet.

Unfairer Geschlechterpakt

Von Frauen mit einem vergleichsweise hohen Bildungsniveau wird erwartet, daß sie dieses auch optimal verwerten. Was im Prinzip ausschließt, Zeit und Aufmerksamkeit für andere als erwerbsarbeitsbezogene Zwecke zu "verschwenden". Wer kann, kauft sich los von unbezahlter Betreuungs- und häuslicher Putz- und Instandhaltungsarbeit, die wenig Selbst- und Fremdachtung vermittelt. Eine neue weibliche Geschäftselite und zunehmend auch Frauen aus der Mittelschicht überlassen vorzugsweise undokumentiert im Lande lebenden Migrantinnen Betreuungs- und Hausarbeiten. Gerade in Zeiten stagnierender Reallöhne wären viele Mittelschichthaushalte in den westlichen Industrieländern nicht in der Lage, personennahe Dienstleistungen, die das Erwerbsarbeitssystem stützen, zu Marktpreisen nachzufragen. Die informelle Arbeit, vorzugsweise von rechtlosen, zumindest aber hoch verletzlichen Migrantinnen, stellt deshalb eine systemische Bedingung für die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigkeit vieler "Mittelschichtsfrauen" dar.

In den westlichen Industrieländern führt die "Feminisierung von Ökonomie und Beschäftigung" dazu, daß der stillschweigend akzeptierte "gender contract" brüchig wird, der dem fordistischen "employment contract" zu Grunde lag und der geregelte Arbeitsverhältnisse mit einem Familienlohn nahezu ausschließlich für Männer vorsah (für Frauen immer nur dann, wenn der Arbeitsmarkt dies verlangte). Allerdings wird der fordistische Geschlechtervertrag nicht durch eine "Revolution der geschlechtlichen Ordnung des Arbeitens" aus den Angeln gehoben. Vielmehr kommt es zu einer neuen sozialen Spaltung in der weiblichen Bevölkerung: Die soziale und ethnische Herkunft und das erworbene "Bildungskapital" entscheiden darüber, ob Frauen sich dauerhaft verweigern (können), die Erwerbswirtschaft durch unbezahlte Versorgungsleistungen zu unterstützen, oder ob sie sich dieser Zumutung nicht entziehen können, dann aber meist in informelle oder prekäre Arbeitsverhältnisse gedrängt werden. Dabei kommt der reproduktiven Rolle der Frauen eine Scharnierfunktion zu: Unter der medialen Herrschaft eines neoliberalen Feminismus, der den konkurrenzorientierten Individualismus zum Wahrzeichen junger Weiblichkeit macht, den Markterfolg von Frauen feiert, ein Scheitern beim Anhäufen persönlichen Vermögens oder beim Zugang zur Konsumkultur jedoch als individuelle Schwäche brandmarkt, wird das "Kinderkriegen" zu einem "Handicap".

Der post-fordistische Geschlechtervertrag setzt die informelle Arbeit in doppelter Weise voraus: Zum einen als Mittel der Entlastung für jene Minderheit von Frauen, die dank ihres Erfolgs am (Arbeits-)Markt Versorgungs- und Betreuungsleistungen (hinzu) kaufen können, zum anderen als zunehmend wichtiger werdende Einkommensquelle für die Mehrheit "normaler" Frauen in allen Weltregionen - wobei hier die Niveauunterschiede beträchtlich sind.



Gekürzter Text aus dem Buch von Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf: Globalisierung der Unsicherheit. Westfälisches Dampfboot, Münster 2002.
Der Artikel erschien zuerst in der Nr. 267 der iz3w - blätter des informationszentrums 3. welt.

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sopos 3/2003