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Die Schwierigkeiten vieler Menschen, die eigene Verwurzelung im Tierreich zu akzeptieren, thematisiert der holländische Primatenforscher Frans de Waal in seinem neuen Buch‚ in dem er die in den letzten Jahrzehnten gewonnenen großartigen Erkenntnisse über die Kultur der Tiere ausbreitet. Denn die Kulturfähigkeit des Menschen galt selbst vielen, die den Darwinismus anerkannten, als Trennlinie zu den angeblich ausschließlich instinktgeleiteten Tieren. Die ostasiatischen Kulturen kennen diese Trennlinie nicht. Daher waren es nicht zufällig japanische Forscher, die aus den großen Unterschieden in Fertigkeiten und Verhalten zwischen Angehörigen derselben Spezies in verschiedenen geographischen Räumen als erste von Tierkulturen sprachen. Am berühmtesten wurde die Beobachtung, daß 1948 auf der Insel Koshima ein ganzer Makakkenstamm nach und nach die Erfindung einer jungen Äffin übernahm, Kartoffeln in einem Süßwasserbach durch Abspülen von Erdresten zu befreien. Nach einiger Zeit gingen die Affen sogar dazu über, die Kartoffeln im Meer zu waschen; sie schmeckten ihnen dann offensichtlich noch besser. Weltweit verbreitet, aber lokal unterschiedlich perfektioniert ist die Gewohnheit von Affen, Nüsse mittels zweier Steine zu knacken. Oft werden dazu immer dieselben Steine verwendet, die als Benutzungsspuren Dellen bekommen. Wie Menschenkinder haben auch Menschenaffen erst ungefähr im 16. Lebensjahr alle technischen und sozialen Fähigkeiten erlernt, die in ihrer Gruppe Standard sind. Nicht durch genetische Vererbung, sondern durch soziales Lernen erworbene lebenswichtige Eigenschaften von Tieren kommen nicht nur bei Primaten vor. Beeindruckendstes Beispiel sind die Dialekte verschiedener Delphingruppen. Deren Verwandtschaftsgrade werden durch mathematischen Vergleich von Übereinstimmungen und Unterschieden feststellt. Die eigentliche Bedeutung des Buches von de Waal liegt jedoch in philosophischen Betrachtungen. Im Zeitalter des scheinbar triumphierenden Individualismus erscheint mir besonders wichtig, daß in der Evolution die Entwicklung des sozialen Lernens viel früher ansetzt als bisher angenommen. De Waal wendet sich auch gegen die seit Huxley verbreitete Theorie, daß die Verwurzelung des Menschen im Tierreich die Erklärung dafür sei, daß der darwinsche Kampf ums Dasein die unverrückbar grundlegende conditio homini sei. Darwin selbst war die Verabsolutierung des "Kampfs ums Dasein" fremd, und de Waal gibt nun zahlreiche Belege, daß auch bei den hierarchisch organisierten Primaten nicht nur Konkurrenz und Kampf, sondern gleichfalls Kooperation, Versöhnung und sogar kollektive Vorstellungen von Gerechtigkeitsnormen existieren. Nicht einmal das Patriarchat herrscht durchgängig: Die Schimpansen haben es; bei den uns ebenso nahestehenden Bonobos, die die sexuell aktivsten Primaten sind, dominieren die Weibchen. All das suggeriert, daß genetische Prägungen zwar bedeutungsvoll, in der Evolution aber sowohl durch Anpassung an neue Bedingungen als auch durch neue Formen sozialer Kooperation veränderbar sind. Während de Waals Buch meine Kindheitsüberzeugung des im Tier sitzenden Menschen bestätigte, brachte mich ein ebenfalls kürzlich erschienenes Buch wieder mit dem in Kontakt, der es in der westlichen Hemisphäre als erster gewagt hatte, das Tier im Menschen deutlich herauszustellen: Sigmund Freud, dessen Reisebriefe erschienen sind. Die Zivilisation war für ihn Ergebnis der Sublimierung von Trieben. Vor allem im Traumleben entdeckte er jedoch den Tribut, den die zivilisierten Individuen an ihre Restinstinkte zu zahlen haben. Revolutionäre Schlußfolgerungen aus seinen Erkenntnissen überließ er freilich seinen Schülern. Er selbst stellte ein geradezu heroisches Beispiel an Triebverzicht dar, den er für die unabdingbare Voraussetzung seiner wissenschaftlichen Integrität hielt. Das Reisen lebte und betrachtete er als seine einzige Fluchtmöglichkeit aus dem Alltag eiserner Disziplin in Arbeit und Familienleben. Entsprechend seinen kulturellen Interessen, die er mit vielen Zeitgenossen teilte, zog es ihn nach Süden, nach Italien besonders. Die damals noch sehr beschwerliche Reise nach Griechenland mutete er sich nur einmal zu. Für ihn selbst überraschend angenehm verlief die mit Jung und Ferenczi gemeinsam unternommene Vortragsreise in die USA, die ihm den beginnenden Weltruhm offenbarte. Daß auch Jung das Reisen als Sublimation der Sublimation verstand, offenbart das rührende Detail, daß er - um ein guter Begleiter zu sein - das Alkoholverbot fallen ließ, das er sich bis dato auferlegt hatte. Wie sehr das Reisen die Libido-Ökonomie der Familie Freud zu regulieren half, wird daran deutlich, daß die anfänglichen Versuche, den Urlaub mit Ehefrau Martha zusammen zu verbringen, scheiterten und bald ganz aufgegeben wurden. Wegen Menstruationsbeschwerden war sie den Strapazen nicht gewachsen und zog es vor, mit den Kindern in Kurorte zu fahren, die nicht zu weit von Wien entfernt lagen. Dieser Stand der Dinge wurde indes von beiden Partnern klug gehandhabt. Denn neben seinem Bruder Alexander und Ferenczi wurde Freud oft von seiner Schwägerin Minna Barnays begleitet, die zwar gleichfalls hin und wieder von Migräneanfällen geplagt wurde, letztlich jedoch reisefest war. Daß die Forschung bis heute nicht ergründen konnte, ob der Meister der Sublimation diese Gelegenheiten zum Ausbruch nutzte oder nicht, scheint mir unwichtig. Denn wie auch immer: Die faktische Nähe einer anderen Weiblichkeit, mit der offenbar größte intellektuelle Zweisamkeit möglich war, verschaffte in jedem Falle den frischen Wind von außen, den die eheliche Routine braucht, um bestehen zu können. Genau das bestätigen die mitgedruckten Nachrichten, die Minna an Martha schrieb, z. B. daß es "Sigis Ideal" sei, "jede Nacht in einem anderen Bett zu schlafen". Daß Freud gerade auf Reisen grundlegende Ideen zu späterer Theoriebildung zuflogen, versteht sich: Seine eigenen Träume vor und während der Reisen sind nicht minder wichtig als seine schamanenhaft anmutenden Beobachtungen zur Sublimationskraft großer Männer in der National Portrait Gallery von London. Aber wer hat heute noch etwas gegen Schamanen? Mir ist ein Arzt mit Intuitionskraft lieber als einer, der nur Chemikalien verschreibt. Frans de Waal: "Der Affe und der Sushimeister. Das kulturelle Leben der Tiere", Hanser Verlag, 301 Seiten, 21.50 Euro; Sigmund Freud: "Unser Herz zeigt nach Süden. Reisebriefe 1895-1923", Aufbau Verlag, 422 Seiten, 25 Euro
Erschienen in Ossietzky 4/2003 |
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