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Wilama Horzycy sieht die politische Situation des heutigen neuen Europa widergespiegelt im Stück von Peter Weiss aus dem Jahr 1964. Nicht so sehr die Auseinandersetzung zwischen dem anarchischen Individualismus Sades und den revolutionären sozialistischen Ideen Marats steht hier im Zentrum, sondern die Situation danach, die Enttäuschungen und Frustrationen, die in den Wahnsinn münden. Auf die osteuropäischen Theater bezogen heißt das: "Theoretisch haben wir die Freiheit - praktisch ist alles beim Alten" (Andrzej Bubien). Die Metallwände ersetzen den Eisernen Vorhang. In Hamburg wird der polnisch gesprochene Text auf einem Band über der Bühne übersetzt. Die dekadent-schönen, nostalgisch-häßlichen Tableaus der Irren in halbzerrissenen fahlweißen Kleidern mit Leibchen, Perücken, weiß geschminkt, lenken ab vom Text, den der deutsche Zuschauer lesen muß, um zu verstehen. Charlotte Corday, Marats Mörderin, spricht deutsch. Schlaftrunken und unsicher, wie es die Rolle fordert, läßt sie sich den Dolch von Sade zustecken, läßt sich führen, fast wie eine Blinde, läßt sich von Duperret, dem Girondisten, betatschen, ist zu müde, sich zu wehren. Sade, der die Aufführung in Charenton, der Anstalt, inszeniert, also die Fäden in der Hand hält, wirkt dennoch genauso müde und resigniert wie die Corday. Verfettet, verlottert, "die Revolution interessiert mich nicht mehr", eingesperrt hier wie alle zwischen den Metallwänden. Marat leidet still in der Zinkwanne, von Simonne überwacht und gepflegt, mit verbundenen Händen wühlt er nach seinen alten Manuskripten, darf Ansprachen ans Volk der Wahnsinnigen halten: "Sie sehen ein Blühen vor sich, ein Blühen des Handels, ein Blühen der Industrie, einen einzigartigen Aufschwung." Das Volk sieht das anders, es fragt, wo die versprochenen Änderungen geblieben sind. Marat hat Verständnis für die Gegenwart: "Es heißt jetzt, die Arbeiter hätten bald höhere Löhne zu erwarten..." Er glaubt, die Ursachen zu kennen: den höheren Umsatz der Unternehmer. Dann hellsichtig: "...auch wenn ihr Geld verdient und euch was leisten könnt von dem, was die Industrien euch andrehn..., glaubt ihnen nicht, wenn sie euch freundschaftlich auf die Schultern klopfen..." Marat darf auch mal die Wanne verlassen, doch nicht die Stahlwände der Anstalt. Coulmier, der Direktor, versucht ihn zu bremsen. Marat ruft, doch seltsam gedämpft: "Paßt auf, sobald es ihnen gefällt, schicken sie euch, daß ihr ihre Haufen verteidigt, in Kriege..." Sades Entgegnung, bitter, resignierend: "Glaubst du immer noch, daß Gerechtigkeit möglich ist..." Der Anstaltsdirektor ist zufrieden, seine Frau, die deutsch spricht, stopft sich den Mund mit Süßigkeiten voll. Und die Pfleger tun ihre Pflicht, setzen Marat wieder in die Wanne. Auch Jacques Roux, der einmal Priester war und nun aufrührerische Reden hält an die Irren der Anstalt, an das Volk, Reden, die an den Stahlwänden abprallen, spricht die andere Sprache: deutsch. Sein Aufruf: "Wir fordern eine sofortige Anstrengung aller, um den Krieg zum Ende zu bringen, diesen verfluchten Krieg, der der Preistreiberei zum Vorwand dient..." wird von Direktor Coulmier, der sich zu Sade wendet, unterbrochen: "Diese Szene wurde gestrichen." Roux, von Pflegern überwältigt, soll schweigen. Wie aktuell doch dieses Stück ist für unsere - wie sagt man - osteuropäischen Freunde. Während ich dies schreibe, erfahre ich durch eine polnische Journalistin, daß Artikel nicht erscheinen können in Polen, wenn ein Satz nicht genehm ist - wem nicht genehm? Dem Anstaltsdirektor? Der Verlagsgruppe, die schon die andere Sprache spricht? In der Aufführung wird das Problem so gelöst: Man ißt das Papier, das verboten wird, verleibt es sich ein. Eine finster blickende junge Frau aus dem Volk, die versucht, aufzubegehren - eine Wahnsinnige -, ließ einen Zettel im Mund verschwinden. Ein Rhythmus durchzieht das ganze Stück, eine Bewegung von den Schauspielern, Irren, selbst erzeugt mit einfachsten Mitteln. Sie klopfen, wenn sie ein Schafott errichten oder den Boden öffnen wie für Särge, sie singen, sie spielen auf der Leier, klappern mit einer alten Rechenmaschine oder schweigen. Oder summen, kaum hörbar, die Internationale, als alle aufeinanderliegen, ein Menschenhaufen, der träumt. Und Marat stöhnt: "Alles, was ich sagte, war doch durchdacht und wahr, jedes Argument stimmte, warum zweifle ich jetzt, warum klingt alles falsch?" Charlotte Corday, die aus dem Schlaf aufgeweckt werden muß, um den geplanten Mord zu vollbringen, flüstert von Hinrichtungen, vom Abholen nach Listen - in ihrem Traum. Alle klatschen, nachdem sie Marat den Dolch in den Leib gestoßen hat. Die Insassen stürzen sich auf die Pfleger - Rebellion? Nein, Theater. Dann kein Schlußmarsch wie bei Peter Weiss, keine Transparente - Roux spielt leise Orgel, zaghafte Töne auf der Leier, alle sitzen ratlos herum. Der Direktor verläßt den Raum.
Erschienen in Ossietzky 4/2003 |
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