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In der Bundesrepublik hatte man für diese Bevölkerungswanderung von Anfang an eine politische Erklärung: Da die Ostdeutschen dem "Zonenregime" nicht in freien Wahlen zeigen könnten, wie sehr sie es ablehnten und verabscheuten, bleibe ihnen nichts als die "Abstimmung mit den Füßen". Die Flüchtlinge seien zumeist vom SED-Regime Verfolgte bzw. Benachteiligte. Diejenigen, die bis heute meinen, die Westwanderung der Ostdeutschen habe weit überwiegend politische Motive gehabt, geraten in Erklärungsnot, wenn sie das unterschiedliche Ausmaß der Flucht in den einzelnen Jahren begründen sollen. Es fällt auf, daß die größte Zahl der Übersiedler nicht auf das Jahr 1953 (Niederschlagung des Aufstandes vom 17. Juni) oder 1960 (Abschluß der Kollektivierung der Landwirtschaft) fiel, sondern die Westmigration ihren Höhepunkt im Jahre 1956 erreichte, das in der DDR ein politisches "Tauwetterjahr" war. Gut für uns, daß damals jemand penibel das Wanderungsmotiv abfragte. Nur wer den bundesdeutschen Aufnahmebehörden nachweisen konnte, daß er "wegen einer Gefahr für Leib und Leben oder die persönliche Freiheit" geflohen war, wurde in der Kategorie der Flüchtlinge anerkannt, die die DDR aus einer "politischen Zwangslage " heraus verlassen hatten. Für den Zeitraum von der zweiten Hälfte des Jahres 1952 bis einschließlich 1961 erhielt jeder siebte Zuwanderer aus dem Osten diesen Status. Rechnet man außerdem die Fälle von Familienzusammenführung und diejenigen Migranten ab, die beim Eintreffen im Westen über eine "ausreichende Lebensgrundlage als Voraussetzung der Freizügigkeit" verfügten, dann sind die übrigen nach heutigen Vorstellungen als Wirtschaftsflüchtlinge einzustufen - und das waren mehr als die Hälfte. Damit haben wir auch schon die Erklärung für die Attraktivität des Jahres 1956. In diesem Jahr fiel in der Bundesrepublik die Zahl der Arbeitslosen erstmals unter die Millionengrenze, und die Arbeitslosenquote war nur noch knapp halb so hoch wie 1953. In der 1998 bei Hoffmann und Campe erschienenen "Deutschen Wirtschaftsgeschichte" von Wolfram Weimer heißt es über 1956: "Erstmals seit der Währungsreform wurde Arbeitskräftemangel spürbar... Nun setzte die Jagd nach Arbeitskräften ein. Es begann das gegenseitige Abwerben." Während jährlich Hunderttausende Menschen ihre Koffer packten (oder ohne Koffer aufbrachen), um aus der DDR in die Bundesrepublik auszureisen, zog es Jahr für Jahr Zehntausende von Rhein, Main und Donau an Spree, Mulde und Saale. Zwischen 1954 und 1957 betrug laut Bundesstatistik die Zahl der "Ausreiser" in den Osten jeweils mehr als 75 000 und auch in den Jahren 1951, 1952, 1958 und 1959 mehr als 50 000. Das Spitzenjahr der Zuwanderung in die DDR war mit 98 000 das Jahr 1957. Danach ging sie zurück, lag aber auch 1961 noch bei 37 000. Im Unterschied zur Ost-West- machte die West-Ost-Wanderung in den bundesdeutschen Medien keine Schlagzeilen. Es hätte dem Bild von dem freien und dem geknechteten Deutschland und der Metapher von der "Abstimmung mit den Füßen" Abbruch getan, wenn ständig darauf aufmerksam gemacht worden wäre, daß jährlich Zehntausende - darunter nur 1956/57 wegen des KPD-Verbots einige Kommunisten -, den Weg von der "Freiheit" in die "Knechtschaft" wählten. Natürlich ließ sich die DDR-Propaganda die West-Ost-Wanderung genau so wenig entgehen wie die Bundesrepublik die Ost-West-Wanderung. So titelte im Juli 1956, als die Wehrpflicht eingeführt wurde, das Neue Deutschland rachsüchtig: "Jugend stimmt mit den Füßen ab." Das SED-Zentralorgan hatte nicht ganz unrecht: Jugendliche waren unter den aus der Bundesrepublik Zuziehenden, ebenso wie Kinder, überproportional vertreten. Im Jahre 1954 lag ihr Anteil bei 58 Prozent und 1960 bei 61 Prozent. Allerdings stimmte der Eindruck, den die DDR-Propaganda gern erwecken wollte, daß die West-Ost-Wanderer zumeist aus politischen Gründen "dem Adenauerregime den Rücken gekehrt" hätten, ebenso wenig wie das Bild der BRD-Propaganda von der Ost-West-Wanderung. Beide Regierungen wußten, daß in beiden Richtungen nur eine Minderheit politische Motive für ihren Grenzübertritt hatte. Denn auch die DDR prüfte die Zuzugsanträge aus dem anderen Teil Deutschlands "mit großer Strenge" und war bestrebt, die Gründe für die Einwanderung genauestens in Erfahrung zu bringen. Anfang der 50er Jahre stand bei den Begründungen für den Zuzug die Familienzusammenführung mit 50 Prozent aller Nennungen an erster Stelle. Weitere 30 Prozent aller Zuzugsgesuche waren wegen Arbeitslosigkeit gestellt worden. Nur in etwa zehn Prozent der Zuwanderungsfälle akzeptierten die DDR-Behörden politische Gründe. Eine im Auftrage des Bundesministeriums für Gesamtdeutsche Fragen Ende der 50er Jahre durchgeführte Auswertung von Unterlagen der Bundesgrenzpolizei ergab eine ganz ähnliche Motivationsstruktur der "Ausreiser" in die DDR. Mindestens ein Drittel von ihnen dürften Wirtschaftsflüchtlinge gewesen sein. Das kann nur denjenigen erstaunen, der meint, das "Wirtschaftswunder" habe bereits 1948 mit der Währungsreform und der Einführung der freien Marktwirtschaft durch Ludwig Erhard begonnen. Tatsächlich dauerte es bis 1952, bevor der westdeutsche Nachkriegsaufschwung sich stabilisierte. Die Arbeitslosigkeit ging schrittweise zurück. Noch 1959 waren über eine halbe Million Bundesbürger arbeitslos. Das Plus der DDR in den Augen vieler Westdeutscher bestand darin, daß die Arbeitslosenquote dort bereits 1950 - fünf Jahre, bevor es in der Bundesrepublik soweit war - unter fünf Prozent fiel und 1953 niedriger lag als in der Bundesrepublik 1960. Wer wenig qualifiziert war, hatte in der Bundesrepublik geringere Chancen, der Arbeitslosigkeit auszuweichen; und Familien mit einer größeren Kinderzahl waren in der Bundesrepublik schon immer vergleichsweise arm dran. Arbeiter stellten 1954 zwei Fünftel, ab 1956 die Hälfte und ab 1959 zwei Drittel der West-Ost-Migranten. Der große Anteil der Kinder und jungen Leuten an den Bundesrepublikflüchtlingen erklärt sich daraus, daß sie vor allem aus Arbeiterfamilien, fast zur Hälfte aus den am stärksten industrialisierten Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, kamen; in der DDR stießen sie nicht auf Bildungsbarrieren, die im Westen vor den Bildungsreformen der 60er und 70er Jahre noch sehr hoch waren. Das Qualifikationsniveau der erwachsenen Zuwanderer ging im Verlaufe der 50er Jahre im gleichen Maße zurück, wie die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik sank. Die DDR blieb im Vergleich zur BRD bis zu ihrem Ende, was sie von Anfang an gewesen war: der ärmere Teil Deutschlands. Nach der Vereinigung 1990 - die schnelle Währungsunion wurde damit begründet, daß die D-Mark in den Osten kommen müsse, um die Menschen dort zu halten - vergrößerte sich der ökonomische Abstand. Bis zum Jahre 2000 sind 2,3 Millionen Menschen aus den "neuen Ländern" nach Westdeutschland gezogen und (einschließlich Rückwanderern) 1,4 Millionen, darunter viele Verwaltungsbeamte, Hochschullehrer und Makler, den umgekehrten Weg gegangen.
Erschienen in Ossietzky 4/2003 |
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