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Richtig, die halfen uns in jenem Frühjahr noch, den Tarif-Stufenplan durchzusetzen. Er hätte unsere Löhne und Gehälter bis September 1995 auf Westniveau anheben sollen, aber da uns die Treuhand drei Monate später privatisierte, saßen zu jenem Zeitpunkt noch viel mehr Besatzungen auf dem Trockenen. Daß auch unser Schiff verschrottet werden sollte, erfuhr selbst ich, sein Kapitän, erst acht Wochen vor dem Ende. Daß die Entscheidung so plötzlich kam, hatte mit einer von der EU beschlossenen neuen Regelung der Bananenimporte nach Europa zu tun. Weil sie nicht wenige mittelamerikanische Produzenten vom europäischen Märkte verdrängte, fielen die Frachtraten für Kühlgut zunächst ins Bodenlose, was dazu führte, daß uns die ecuadorischen Zeitcharterer, von denen wiederum wir abhingen, fallen ließen. Als uns der Funkspruch erreichte, hatte das Schiff noch eine letzte Ladung Bananen für den Iran an Bord. Nachdem wir sie in unserem Zielhafen gelöscht hatten, luden wir in einem saudi-arabischen Hafen ein letztes Mal viertausend Tonnen tiefgefrorenes Lammfleisch für Bangladesch. Noch während der Löscharbeiten in Chittagong erreichte uns ein weiterer Funkspruch, demzufolge gerade mit einem der bei Chittagong tätigen Abwrackbetriebe verhandelt werde und wir dort auf Reede weitere Ordre abzuwarten hätten. Daß es derart schnell ernst werden sollte, traf uns ziemlich hart. Wir konnten es erst kaum fassen. War doch das Schiff in bestem Zustand und mit allem ausgerüstet und versorgt und vor kurzem erst generalüberholt worden; gut und gerne hätte es ein halbes Dutzend weiterer großer Fahrten durchgestanden. Doch darauf pfiff die Reederei. Allein entscheidend war für sie, daß das seit 1990 unter Panamaflagge fahrende Schiff derzeit keinen Profit einfuhr und aus eben diesem Grund auch kaum mehr zu verkaufen war. Jedenfalls nicht an eine andere Reederei. Zumal es Reedereien im strengen Sinn schon in den frühen Neunzigern kaum mehr gab. Immer mehr Schiffe wurden im Namen und im Auftrag irgendwelcher anonymer Eigner von irgendwelchen fast so anonymen Briefkastenfirmen gemanagt, hinter denen wieder irgendwelche gleichfalls lieber nicht genannt sein wollende Banken, Konsortien oder reiche Privatleute steckten. So erfuhren wir, was uns betrifft, erst nachdem alles vorüber war, daß der letzte Eigner unseres Dampfers in Schweden wohnte, geschäftlich jedoch nur über eine Adresse ganz wo anders erreichbar war. Für ihn war das Schiff, das er vermutlich nie gesehen hatte, nichts weiter als eine Kapitalanlage, die für ihn zu "arbeiten" hatte. Tat sie das nicht, egal aus welchen Gründen, mußte man sie so schnell und günstig als möglich loswerden. Was in diesem Falle nur bedeuten konnte, das Schiff dort, wo es zum Glück gerade lag, zu "beachen". Noch besser wäre der Herr Eigner nur weggekommen, wenn der Kahn auf offener See abgesoffen wäre und er die Versicherungssumme dafür hätte kassieren können. Statt der vielleicht anderthalb legalen Millionen hätte ihm die "nasse Lösung" des Problems vielleicht zwei Millionen Dollar eingebracht. Nachdem also feststand, dass wir "gebeacht" würden, reduzierte der für uns zuständige Manager als erstes unsere bis auf den Chief und meine Wenigkeit ausschließlich aus Philippinos bestehende Crew auf sechzehn Mann. Als die Abgemusterten im Boot saßen, das sie an Land bringen sollte, sprachen sie das Schiff, auf dem sie gerade ihren Job verloren hatten, noch einmal feierlich in ihrem Pidgin-English an und bedankten sich bei ihm dafür, daß es ihnen wenigstens bis dahin Arbeit, Brot und Geld geboten hatte. Ich erlebte so etwas zum ersten Mal, und ich muß sagen, daß es mich tief beeindruckte. Mit reduzierter Besatzung vor Chittagong aufs "Beaching" zu warten, ist nicht nur deprimierend, sondern auch gefährlich. Anfangs kam es fast jede Nacht zu Überfällen. Immer wieder gelang es den Piraten, unsere Wachen abzulenken und das Schiff zu entern. Was immer ihnen in die Hände fiel, stahlen sie, Ruhe gab's erst, als wir fünf Wachleute von der harten Zunft an Bord nahmen. Rund um uns herum lagen mehrere Dutzend weitere zum "Beachen" verurteilte Schiffe, darunter, bereits seit Monaten ein uralter griechischer Tanker. Sein Problem: Er war schon derart leck, daß seine Lenzpumpen es kaum mehr schafften, ihn über Wasser zu halten, weshalb er mehr Tiefgang hatte, als er fürs "Beachen" hätte haben dürfen. Um optimal aufzulaufen, benötigt ein Schiff nämlich eine ganz bestimmte hecklastige Trimmung. Weil unsere Brennstofftanks nahezu gänzlich leer waren, erreichten auch wir sie nur mit Mühe. Schwierig war in den letzten Wochen unsrer Wartezeit auch der Umgang mit den lokalen Behörden. Weil sie wußten, daß das Schiff verurteilt war, versuchten sie sich unter den merkwürdigsten Vorwänden alles Mögliche unter den Nagel zu reißen. Am schärfsten waren sie auf Schnaps und Zigaretten, aber auch Werkzeuge, Farbe und dergleichen standen bei ihnen hoch im Kurs. Gleichzeitig wiesen uns dieselben Ämter groteskerweise unter Androhung strenger Strafen an, ja nichts wegzugeben, sondern alles so zu lassen, wie es sei... Am Tag, da die Flut das höchste Hochwasser erreichen sollte, begaben wir uns auf Position. Vorsichtshalber schon sehr zeitig, denn diese Höchststände treten nur zweimal im Monat ein, und wer nicht genau zum richtigen Zeitpunkt startklar ist, hat das Nachsehen. Wir, die seit bald sechs Wochen vor Chittagong lagen und auf das Okay gewartet hatten, wollten unsere Chance auf keinen Fall verpassen. An jenem Morgen waren wir noch zu acht an Bord: der Funker, der Koch, ein Decksmatrose, einer auf der Brücke, zwei Mann in der Maschine, der Lotse und ich. Alle anderen waren schon an Land und mit ihnen die Schiffsdokumente und unser Gepäck. Dreißig Seemeilen vor der Küste ließen wir die Anker fallen und warteten mit laufender Maschine den zwischen 13.15 und 13.30 Uhr zu erwartenden Höhepunkt der Tide ab. Es kam darauf an, genau den höchsten Wasserstand zu treffen. Wer ihn verpaßte, mußte abbrechen. Doch selbst wer ihn traf, war noch nicht sicher, dass er's schaffen würde. Weil es an diesem Morgen, wie so oft in jener Gegend, wie aus Gießkannen gegossen hatte, war die Sicht derart schlecht, daß wir befürchteten, die roten Flaggen, die uns zur richtigen Stelle leiten sollten, zu spät oder gar nicht zu erkennen. Sie wissen doch, wie's in den Tropen nach solchen Güssen ausschaut: Der Temperatursturz, der ihnen folgt, läßt eine derart dichte Waschküchen-Atmosphäre aufkommen, daß ohne Radar nichts mehr läuft. Nur, daß uns hier sogar das beste Radar nicht mehr hätte helfen können, denn spätestens 1,5 Seemeilen vor der Küste muß man den Punkt, zu dem das Schiff zu steuern ist, klar und zweifelsfrei vor Augen haben. Damit Sie sich ein ungefähres Bild von unserer Lage machen können: Vor uns, im Dunst, noch ziemlich vage, ein vielleicht zehn Kilometer langer flacher Küstenstrich. Darauf lauter Schiffswracks, dicht an dicht. Die einen scheinbar noch intakt, die andern halb schon ausgeschlachtet, und von etlichen nur noch ein Stück des Bodens übrig. Dazwischen ein paar schmale Lücken. Eine davon für das Schiff, auf dem Sie fahren. In diese und keine andere haben Sie es nun zu steuern. Mit dreimal voller Kraft voraus. Tatsächlich kitzelte der Chief aus den Maschinen unseres Schiffs zum ersten und zum letzten Mal mehr als zwanzig Knoten, umgerechnet mehr als 40 Stundenkilometer, heraus. Kam jetzt, da dem Dampfer gleich die letzte Stunde schlagen würde, ja auch nicht mehr drauf an! Aber, verdammt und zugenäht, welche der Lücken war die richtige? Weil uns die Strömung auch jetzt noch schwer zu schaffen machte, geriet sogar der Lotse nach und nach in Streß, brüllte immer lauter bald "hard Backbord", bald "hard Steuerbord" und rannte, das Fernglas in der Hand, von einer Nock zur andern, denn immer wieder lief das Schiff aus dem Ruder, schwojte hin, schwojte her, so daß der Mann am Steuerrad mit dem Kurbeln kaum noch nachkam; es war, als rebellierte es gegen sein Schicksal. Das Schlimmste an solchen Höllenfahrten sind die letzten paar Minuten, ist die Angst, die Flaggen falsch zu deuten, die Lücke nicht genau zu treffen. Kaum auszudenken, was geschähe, wenn...! Denn auf den halb schon demontierten Pötten steuerbords und backbords verfolgen Hunderte von Bangladeschi-Werftarbeitern Ihr Manöver voller Spannung. Würden Sie eines der beiden schon halb zerlegten Wracks auch nur leicht streifen, erginge es den Männern übel. Doch wir hatten Glück. Dieweil sich das noch immer mit voller Kraft laufende Schiff in die fünf bis sechs Meter dicke Schlamm- und Schlickschicht unter seinem Kiel hineinbohrte, sorgten vorne auf der Back der Koch und der Decksmatrose dafür, daß genau im richtigen Moment die beiden Anker fielen. Was, streng genommen, freilich schon ein Vorgriff auf das kommende Kapitel war. Wenn nämlich die Anker und deren Ketten in ihrer ganzen Länge aus den Klüsen raus sind, bevor das Schiff endgültig im Schlick festsitzt, brauchen die Arbeiter sie nicht mehr mühsam von der Back herunter zu hieven. Das "Beachen" selber endete so sanft und ruhig, daß wir's kaum merkten. Ohne die geringste Erschütterung verlangsamte das Schiff seine Fahrt und blieb schließlich bei noch immer laufenden Maschinen stehen. Kein Schock, kein Leck, kein Lärm! Nachdem wir tief durchgeatmet hatten, fiel uns als erstes das Fehlen von Kränen und anderem großtechnischem Gerät auf. So weit das Auge reichte, kaum dergleichen auf dem riesigen Gelände dieser Abwrackwerft! Wohin wir blickten, weiter nichts als Tausende und Abertausende halbnackter, barfüßiger Bangladeschis, die mit Schneidbrennern hantierten oder zu zehn, zwanzig und mehr Mann gemeinsam stählerne Träger, Spantenstücke und Bleche durch die Gegend wuchteten. Für die ganz schweren Brocken hatten sie nur ein paar alte Winden stehen. Als letzte gingen der Chief und ich von Bord. Kaum an Land, umringten uns Hunderte dieser meist nur mit einem Tuch um die Lenden bekleideten armen Teufel. Die vordersten faßten uns an, barmten um Bakschisch, versuchten, uns unsere Gummistiefel abzubetteln. Die letzten hundert Meter zu unserem Bus schafften wir erst, nachdem die Wärter dazwischengegangen waren und uns den Weg frei geknüppelt hatten. Doch selbst als wir schon drin saßen, umlagerten sie uns weiter, so daß der Fahrer seine liebe Mühe hatte, loszukommen. Meine Gummistiefel schenkte ich dem Kellner im Hotel...
Erschienen in Ossietzky 4/2003 |
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