Das verhängte Menetekel

von Franz J. Bautz

Immer abwegigere Gründe führt der US-amerikanische Präsident an, um seinen Krieg gegen den Irak zu rechtfertigen, der in Washington ja längst beschlossene Sache ist. Als die Behauptung, Saddam Hussein verfüge über Massenvernichtungswaffen, mit denen er die gesamte Welt bedrohe, nicht mehr haltbar war, erklärte man ihn zum Komplizen von Al Qaida und zum Mitverantwortlichen für die Attentate vom 11. September 2001. Doch auch dafür gab es nicht einen einzigen Beweis. Dann sollte es in dem geplanten Krieg um die Durchsetzung der Menschenrechte und die Installation einer Demokratie im Irak gehen, worum sich die USA allerdings in vielen anderen Ländern schon längst hätten kümmern müssen. Schließlich wurde uns das Argument zugemutet, George W. Bush wolle sich an Saddam Hussein dafür rächen, daß dieser seinen Vater im zweiten Golfkrieg habe töten wollen. - Ich schlage vor, anstatt das Leben von Hunderttausenden für eine Privatfehde aufs Spiel zu setzen, möge der Herr im Weißen Haus seinen Feind in Bagdad doch einfach zum Duell fordern.

Aber natürlich: Das, worum es den Mächtigen in Washington wirklich geht, läßt sich nur durch einen Krieg erreichen. Wenn jedoch die Vereinten Nationen nicht in der Lage sind, ihn zu verhindern, dann sollen ihn die USA bitte allein und gegen den Protest des an der UN-Charta und am internationalen Recht orientierten Teils der Welt führen.

Der Sozialdarwinismus, das heimliche Axiom des Neoliberalismus, wird vom mächtigsten Staat der Erde zur Doktrin erhoben: Recht ist, was der Stärkere erzwingen kann. Wie heißt es in Carl Orffs Oper "Die Kluge"? "Wer die Macht hat, hat das Recht! Und wer das Recht hat, beugt es auch."

Er kann sich zudem noch die Häme leisten. Herr Rumsfeld nennt Frankreich, Belgien und Deutschland "das alte Europa", das nichts von der neuen Weltordnung begriffen habe. - Im Gegenteil, Mister Rumsfeld: Das gegenwärtige Amerika setzt in neuer Form und mit anderen Mitteln die Politik des alten Europa fort, eine Politik der Kreuzzüge, der Konquistadoren, des Kolonialismus und der chauvinistischen Überheblichkeit, eine Politik, die den Krieg als ihre legitime Fortsetzung betrachtet.

Rumsfeld stellt Deutschland auf eine Stufe mit Libyen und Kuba. Nun, Berlin sollte sich dagegen nicht verwahren. Dieser Vergleich ist jedenfalls weniger ehrenrührig als der Tatbestand, der auf jene Staaten zutrifft, die sich Recht und Vernunft von Washington abkaufen lassen.

Kürzlich verstieg sich der US-Präsident zu der Erklärung, die USA hätten den historischen Auftrag, Gottes Willen zu vollziehen. - Immerhin, die Kriegsfraktion entlarvt sich selbst: Zur ständigen Ermahnung an den Auftrag der UNO, Kriege zu verhindern, war vor Jahren an der Stirnwand ihres Versammlungsraums in New York Picassos berühmtes Gemälde "Guernica" angebracht worden, jenes Bild, das an die Schrecken der Bombardierung einer spanischen Stadt durch Hitlers Luftwaffe erinnert. Als der amerikanische Außenminister Colin Powell dort unlängst die Dringlichkeit eines Präventivkriegs gegen den Irak einbrachte, wurde Picassos "Guernica" zugehängt. Es hätte als Menetekel gedeutet werden können wie jene Schrift an der Wand in König Belsazars Haus.

"Arroganz der Macht" hat Senator William Fullbright seinem Land während des Vietnam-Kriegs vorgeworfen. Wo finden wir heute Politiker seines Formats? Die europäischen Mitgliedstaaten der NATO lassen sich Mister Robertson als Generalsekretär gefallen, eine Marionette Bushs, der die Organisation geschlossen in das Kriegsbündnis gegen den Irak zu bringen hat; und die christlichen Parteien unseres Landes stehen ihm beflissen bei. In verächtlichem Mitläufer-Opportunismus verbreiten sie die Sorge, Gerhard Schröder isoliere durch seine Haltung unser Land und füge ihm Schaden zu. Selbst wenn dies stimmte, was nicht der Fall ist, wäre es höchst verwerflich, aus Angst davor elementare Rechtsgrundsätze zu mißachten.

Kriegsvorbereitungspropaganda teilt die Welt pauschal in Gut und Böse ein. Stattdessen muß in jeder strittigen Situation differenziert, zwischen Recht und Unrecht unterschieden und darüber verhandelt werden. Alles andere fördert fundamentalistisches Denken, Fanatismus, Terror und letztlich Barbarei.

Erschienen in Ossietzky 4/2003