Bürger, schützt eure Anlagen!

von Lothar Kusche

Am 15. Februar 2003 demonstrierten in Berlin, wie sich herumgesprochen hat, junge und alte Leute, Kinder, Greise, Werktätige, Arbeitslose, Prominente, auch amtliche Personen, Minister gar (diese aber nichtamtlich) gegen den Irak-Krieg: "Kein Blut für Öl!" Ein Witzbold schmeckte die süße Bäcker-Spezialität mit dem interessanten Namen nach, als er auf sein Plakat schrieb: "Eßt mehr Amerikaner!" Das war natürlich nicht wörtlich gemeint; manchmal vergeht einem der Appetit auf gewisse Spezialitäten. Befragt, was ihn an George W. Bush hauptsächlich störe, sagte der Kaberettist Dieter Hildebrandt: "Der Mann hat so'n breitbeiniges Gesicht." So weit, so gut. Aber müssen Bürger nicht ihre Anlagen schützen? Dürfen sie den Rasen betreten? (Ich komme auf diese Probleme später noch zurück.)

Zunächst fragt man sich: Wie viele wollten denn eigentlich den Männern mit den breitbeinigen Gesichtern mal laut und deutlich sagen, daß sie von ihnen die Schnauze voll haben? Die hiesige Polizei hatte mit 100 000 Demonstranten gerechnet. Die hiesige Polizei hat sich schon öfter mal verrechnet. Am 15. Februar zählte man 500 000. Wer mag sie gezählt haben? Zunächst ist man mißtrauisch. "Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt würde... Und jedermann ging" und so weiter. Dem Neuen Testament nach begab sich das zu der Zeit, und die ist lange vorüber. Wenn heute 500 000 Demonstranten gemeldet werden, darf man der Polizei glauben. Zwar rundet sie (oder ihr jeweiliger Kaiser Augustus) gewisse Zahlen gern nach unten ab. In unserem Fall möchte ich nach oben aufrunden. Die hiesige Polizei besteht aus Menschen, und man darf annehmen, daß deren Mehrheit nicht kriegslustig, also mit den Demonstranten im Prinzip einig ist. Demzufolge flogen keine Steine, und die Schlagstöcke wurden nicht strapaziert. Die Friedenskundgebung verlief friedlich. So weit, so gut. Aber wer schützt die Anlagen? Dürfen die Bürger irgendeinen Rasen betreten? (Ich komme auf diese Fragen später noch zurück.)

Die Veranstaltung wurde - wie Sie gehört oder selber erlebt haben - in der Nähe des Brandenburger Tors harmonisch, würdig, optimistisch beendet. Die Teilnehmer machten sich auf den Heimweg, vielleicht durchfroren und hungrig, aber auch zuversichtlich und hoffnungsvoll. Vielleicht warf mancher noch einen Blick auf den Reichstag, der mit seiner glänzenden gläsernen Kuppel gar nicht so historisch aussieht, wie er eigentlich ist. Zu ebener Erde neben dem Reichstag steht die berühmte Rostbratwurstbude, welche sich früher auf der anderen Torseite großer Beliebtheit erfreute. Sie wurde des Pariser Platzes verwiesen wegen Unwürdigkeit (s. Ossietzky 14/02) und hat nun hier Asyl gefunden. Ringsherum Wiese oder Rasen. Auch direkt vor dem Hohen Hause niedriger Rasen. Hier sollte am 15.2. die Abschluß-Kundgebung stattfinden. Die wurde aber von Amts wegen verboten.

Dieser Rasen gehört nämlich dem Stadtbezirk Mitte. Oder der Bundesrepublik persönlich? Oder dem Heiligen Gral? Auf diesem Rasen haben gemeine Friedensfreunde nichts zu suchen geschweige haben dieselben denselben zu betreten!

Bürger, schützt eure Anlagen! (Anlagen, die offenbar gar nicht eure sind.)

Das Betreten dieses Rasens ist verboten! Frieden herbeizurufen, ist rein verfassungsgemäß gestattet - aber nicht auf diesem Rasen. Die ehrwürdigen Schafe, die ihn abfressen sollen, sind noch nicht angekommen, aber im Schafhof, Post Wohlbach, Kreis Coburg, seit langem bestellt. Die Schilder, welche das Berühren der Schafe sowie das Spucken auf den Rasen verbieten, werden derzeit in Schilda angefertigt. Möglicherweise werden noch zusätzliche Warnzettel angeklebt: "Volksvertreter-Bereich! Wähler und sonstige Diätenzahler haben sich fernzuhalten! Bannmeilen-Verletzer werden nämlich vielleicht bald erschossen!"

Erschienen in Ossietzky 4/2003