Schnäppchen und Pleiten

von Matthias Biskupek

Während hinten, weit hinter der Türkei die Völker bald hübsch heftig aufeinanderschlagen, beschäftigen wir uns hier mit Preis- und Schnäppchengeschrei. Wir kennen keinen Winterkrieg mehr; wir kennen nur noch Winterschlußverkauf. Heut wird Rabbatt gemacht, bis daß die ganze Bude kracht - nehmt die Schnäppchen Euch zur Brust, wo ihr sie trefft! Unser Wahlkampf entscheidet sich auf dem Wühltisch. Seit unsere Verbraucherministerin ein paar mild-kritische Wörtlein zu halsabschneiderischen Preisen gesagt hat, heulen Volk und Bild gemeinsam auf: Wir wollen weiter billig einkaufen. Unser täglich Schnäppchen gib uns heute.

Nun wirken all die Dauer-Tiefst-Stände, die Sonderangebote und Kellerpreise zunächst wirklich nur auf Konkurrenz und Erzeuger halsabschneiderisch. Denn erst wenn alle Kunden zu einem einzigen großen Supermarkt übergelaufen sein werden, wird wieder hereingeholt, was jetzt großzügig rausgeschmissen wird. Wenn die Leute nicht mehr zwischen drei Tante-Emma-Läden und zwei Kaufhallenonkels wählen können, müssen alle zum einen, einzigen früheren Billig-Ramschladen. Der Handel als monotheistische Einrichtung: Ich bin Dein Discounter, Du sollst keinen anderen haben neben mir. Jetzt bestimme allein ich die Dauer-Höchstpreise.

Natürlich regt sich keiner darüber auf, wenn etwas zu billig ist. Aber ist nicht die selige DDR auch an ihren Verstößen gegen das Wertgesetz erkrankt und verstorben? Das Brot ist viel zu billig, wurde gesagt; die Leute haben's an Schweine und Karnickel verfüttert, weil Viehfutter viel teurer war. Und wenn jetzt das Kilo Schweinefleisch 1,99 kostet? Das ist wohl noch weniger gesund als das billige Brot der DDR. Der Liter Milch, ein hochwertiges Produkt, in dem verdammt viel Arbeit steckt, kostet kaum halb so viel wie der Liter Benzin. Und der ist auch viel zu billig, wenn der rausgepuffte Liter für all seine Nebenwirkungen herhalten müßte.

Wie haben wir als Kinder gestaunt, wenn wir hörten, daß im Mittelalter Mörtel mit Quark und Eiern angemacht wurde - sooo teure Lebensmittel für die ollen Burgmauern. Heute wäre das Bauen mit Lebensmitteln gewiß billiger als mit Marken-Produkten - wenn wir nicht ganz clever unser Schnäppchen im Baumarkt machten, wodurch dann wieder eine Baufirma pleite geht.

Die Konkurrenz richtet kleine Verzerrungen, höre ich dann immer. Aber ich sehe nicht, wie die Konkurrenz den Wohnungsmarkt richtet. Da wird nicht über erschwingliche Mieten mit der Nachbargesellschaft konkurriert, sondern durch Gesundschrumpfen, sprich: Abriß. Wie beeinflußt Konkurrenz den Wasserpreis und die Anschlußgebühren im Lande der Kläranlagenmonopole? Über das entwickelte Müllwesen wollen wir gar nicht reden: Je weniger Müll wir produzieren, desto teurer wird seine Abfuhr, erst wenn wir alles richtig zumüllen, kommen die Dualen Systematiker auf ihre Kosten. Und ans Gesundbetungswesen dürfen wir in diesem Zusammenhang nicht mal denken: Wenn alles und jedes betriebswirtschaftlich sich rechnen soll, müssen einfach mehr Krankheiten her, damit teure Apparate ausgelastet werden und Arbeitslose zu Ärzten umgeschult werden können.

Wir, die Kunden und Verbraucher, sollen alles richten. Wir treiben die Wirtschaft zu Höchstleistungen, wenn wir kaufen. Autos sind grad billig, schon erhandeln wir jeden Monat ein frisches Auto. Wenn alles schön billig ist, kaufen wir gleich noch mal so viel - auch wenn wir's nicht brauchen.

Was is'n das? - Weiß nicht, aber es war so billig.

Richtig hoch angesehen sind wir nur, wenn wir uns clever verhalten, Schnäppchen jagen, gnadenlos geizig sind und dabei auf Teufel komm raus verbrauchen, aber überall noch ein Prozent rauskitzeln.

Unsere Welt ist möglicherweise eine hundertprozentige Sache. Aber wenn wir richtig mit ihr handeln, kriegen wir sie schon noch auf Null. Dazu müssen noch nicht mal die Völker weit hinter der Türkei diszipliniert werden.

Erschienen in Ossietzky 3/2003