Was Bush eigentlich sagen wollte

von Rainer Rupp

"Unser Land und die Welt müssen Lehren aus der Lage auf der koreanischen Halbinsel ziehen, und sie dürfen nicht zulassen, daß eine noch größere Bedrohung im Irak entsteht. Einem brutalen Diktator mit einer Vergangenheit voller rücksichtsloser Aggressionen, Verbindungen zum Terrorismus und großem potenziellem Reichtum wird es nicht erlaubt werden, eine lebenswichtige Region zu beherrschen und die USA zu bedrohen", sagte US-Präsident George W. Bush Ende Januar in seiner Rede zur Lage der Nation, in der er erneut seine Entschlossenheit zur Führung eines Präventivkrieges gegen Irak ausdrückte.

Die von den Nachrichtenagenturen verbreitete Übersetzung der Rede gibt jedoch nur unvollständig wieder, was sich hinter den Aussagen des US-Präsiden ten verbirgt. All jenen, deren Geschichtsgedächtnis länger als eine Woche zurückreicht, hat er mit seinen Worten etwas ganz anderes gesagt, nämlich:

Weil Nordkorea einen Beistandspakt mit China und Rußland, kein Öl, aber dafür wahrscheinlich bereits zwei bis drei Atomwaffen hat, müssen wir Lehren aus der Lage auf der koreanischen Halbinsel ziehen und statt dessen den total geschwächten Irak angreifen, um an ihm - als Warnung für alle anderen Schurkenstaaten - ein Exempel statuieren ohne großes Risiko für unsere eigenen Soldaten. Zugleich können wir mit dem brutalen Diktator Saddam Hussein davon ablenken, daß die US-Regierungen eine viel längere und umfassendere Geschichte rücksichtsloser Aggressionen und Verbindungen zum Terrorismus haben als irgend ein anderes Land oder irgendeine Organisation auf der Welt. Am schlimmsten ist jedoch, daß Irak mit einem großen potenziellen Reichtum gesegnet ist, an dessen Ausbeutung er unsere amerikanischen Öl-Konzerne auf schändliche Weise fernhält. Daher dürfen wir einem brutalen Diktator, der nicht auf unsere Befehle hört, nicht erlauben, diese lebenswichtige Region zu beherrschen und die USA mit nicht realisierten Profiten zu bedrohen. Denn jeder Staat, der sich nicht bedingungslos unseren von Gott gesegneten Vereinigten Staaten von Amerika, unserem globalen Führungsanspruch unterwirft, gibt ein höchst gefährliches Beispiel ab, daß nämlich Widerstand gegen Washington möglich ist.

In zweiten Teil seiner auf allen Kanälen übertragenen Rede versuchte Präsident Bush, die lahmende US-Wirtschaft wieder flott zu reden. Denn die US-Re gierung hat mit ihrer neuen Sicherheitsdoktrin nicht nur Wirtschaft und Gesellschaft im "alten Europa", sondern auch die eigene Geschäftswelt zu Hause verunsichert. Bereits Tage vor der Bush-Rede zur Lage der Nation waren die Barometer der internationalen Börsen auf seit langem nicht mehr gesehene Tiefstände gefallen. Dennoch gibt es keinen Grund zur Sorge. Anfang des Jahres hatte der Präsident des renommierten Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung und Konjunktur, Hans-Werner Sinn, gegenüber dem Wirtschaftsmagazin Focus-Money erklärt, daß lediglich "die Angst vor einem Krieg lähmt" und "die Wirtschafts- und Kapitalmärkte stärker belastet als ein tatsächlicher Schlag". Ein kurzer Irak-Konflikt würde die Börsen nicht wesentlich beeinträchtigen. Im Gegenteil. Wenn ein schnelles Ende des Feldzuges absehbar sei, werde sich "ein Aufschwung einstellen". Dies belegten die Erfahrungen nach dem Golfkrieg Anfang der neunziger Jahre.

Somit wäre ein kurzes und schnelles Sterben im Irak auch für die deutsche Wirtschaft wünschenswert.

Erschienen in Ossietzky 3/2003