Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Deutsches Schweifen zum Wolgastrandvon Kurt Pätzold Zur Wolga und ihrem Strand haben die Deutschen massenhaft eine beständige Beziehung. Hergestellt wurde sie wohl zuerst vor mehr als 75 Jahren. Damals, 1927, wurde Franz Lehars Operette »Der Zarewitsch« uraufgeführt. Und wenn das Lied vom »Soldaten am Wolgastrand« auch am Ende der nicht so goldenen Zwanziger kein Gassenhauer wurde, zu den alsbald favorisierten Melodien der Deutschen gehörte es, mochten sie an den Ufern des Rheins oder der Oder wohnen. Orchester, auch Kleingruppen von Musikanten in Kaffeehäusern, bemächtigten sich der Melodie ebenso, wie sie von Männern mit begnadeten Stimmen gesungen wurde: von Richard Tauber bis Fritz Wunderlich, um nur diese beiden vielgerühmten zu nennen. Für eine nicht genau bestimmbare Zeit wurde es um das Lied still, Lehar, der 1948 starb, erlebte das noch. Wie es deutschen Soldaten im Winter 1942 auf 1943 am fernen Strom ergangen war, das ließ manche Textpassage nun lästerlich erscheinen. Sie hatten dort nicht aus »goldenem Käfig« geklagt, sondern frierend, verlaust, erkrankt, verwundet, deprimiert in einem stählernen gesessen, angefertigt von mehreren sowjetischen Armeen. Die meisten Weggeschlossenen waren in ihm zu Grunde gegangen, ohne daß ihnen von »da oben« eines der »viel Englein« geschickt worden wäre. Dabei lagen deutsche Feldpostkarten, die als Lebens- und Liebesgruß nach der Eroberung Stalingrads in die Heimat geschickt werden sollten, gedruckt und billig schon bereit. Sie zeigten einen Wehrmachtssoldaten vor breitem Strom und lieferten zur Auffrischung unverläßlicher Gedächtnisse dazu den Liedtext. Die Rarität, ungebraucht, also unversandt, können Sammler heutzutage für 4 ? im einschlägigen Antiquariat erstehen. Der Preis zeigt, daß der Vorrat reichlich oder die Nachfrage so groß nicht ist. Als die Niederlage bei Stalingrad rasch in Vergessenheit gebracht werden sollte, habe »der Führer« angeordnet, daß das bei seinen Soldaten weiterhin beliebte Lied nur gesungen werden dürfe, wenn im Text der »Wolgastrand« durch »Waldesrand« ersetzt werde, erzählte Rudolf Augstein, sich wichtig machend. Er, der spätere Spiegel-Herausgeber, habe das trutzig verweigert, sich als Truppenbetreuer darum nicht geschert und sich fest und widerstandswillig am Urtext festgehalten. Irgendwie war es mit der Beliebtheit dann aber doch zu Ende gegangen. Erst Jahre später ist das Lied zu den Deutschen zurückgekehrt, wechselweise angekündigt als Soldaten- oder als Volkslied. Die es musizieren und singen, und das geschieht landauf und landab, werden in Theatern, Konzertsälen und Kirchen enthusiastisch gefeiert, berichten Feuilletonisten. So geschehen jüngst bei einer Aufführung des ganzen unsäglich kitschigen Singsangs in Rottal/Inn und nicht anders zu Weihnachten bei einem Konzert im Stadttheater Lahnstein und immer wieder, wenn die »Original Donkosaken« – ein 1933 (horribile dictu: zu Stalins Zeiten) gegründeter Männerchor, freilich nicht in der ursprünglichen Besetzung – durch alte und neue Bundesländer tingeln, mit Vorliebe offenbar durch Bäder entlang der Seeküsten, womöglich wegen der Wassernähe. Geradezu verwegen bemächtigte sich der Melodie und des Textes der aus der deutschen Anschluß-Vereinigung hervorgegangene Berliner Chor RosaCavalieri, der in einer gleichsam kabarettistischen Revue auf die Klage des einsamen Soldaten über sein vergessenes Dasein tatsächlich den Schlager »Ein Schiff wird kommen« folgen ließ. Pietätlose, keinen Respekt vor deutscher Heldengeschichte zeigende linke Banditen demnach, Kommunisten wahrscheinlich, Schwule mit Sicherheit. Was tröstet, solange man denen nicht kommen kann wie gehabt? Die unverlorene deutsche Art, wonach eine Sache gründlich und ehrenhaft angegangen wird, am besten um ihrer selbst willen. Das tat kürzlich der Kulturverein Simmering gemeinsam mit der dortigen Volkshochschule. Letztere nahm exakt in jenem Semester, da sich auf das Debakel der 6. Armee am Wolgastrand aus dem Abstand von 60 Jahre zurückblicken ließ, in ihr Programm einen Musikkurs mit dem Thema »75 Jahre Zarewitsch« auf, der Teilnehmern Gelegenheit gibt, sich mit der Geschichte des »tragischen Liebespaares« zu befassen. Den Auftakt gab eine Matinee bei volkstümlichem Eintrittspreis.
Erschienen in Ossietzky 2/2003 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |