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Der Mann gehörte zu Lisa Matthias' »unerledigten Konten«; Tucholsky verarbeitete diese Redewendung im Hinblick auf eigene frühere Liebschaften in einem Gedicht (»Unerledigte Konten«, 1929). Seelenfreund »Hornemann« hatte – zumindest bis zu seiner späteren Eheschließung mit einer Aristokratin – eine Abneigung gegen allzu fürsorgliche Frauen, die ihrem Mann sozusagen die Pantoffeln holen und ihnen »alles so nett hinstellen«. Auch diese ironisch-idyllisierende Formulierung wurde von Tucholsky verwertet (»Lied ans Grammophon«, 1931). Jener Mann, der Lisa Matthias einst beeindruckt hat, war ein ehemaliger Offizier im Generalstab und wurde dann Manager in der Elektro-Industrie. Zunächst hatte er linksorientierte Ideen, dann war er ein Anhänger Gregor Strassers, also ein Nationalsozialist; Lisa Matthias beschreibt das. Er galt aber auch als einer, der die Greuel der Nazis kommen sah, seinen Freunden von solchen Tendenzen und Aktionen berichtete und sie dadurch warnte. Lisa Matthias erwähnt ihn in ihrem Erinnerungsbuch siebenmal und nennt ihn – nach der Idee eines Freundes – den »Lichtalben«. Ob es hierzu einen literarischen Bezug gibt, habe ich bisher nicht feststellen können. »Lichtalbe« bedeutet »Elfe im Licht«. Nun wußte in der Tucholsky-Forschung bisher offenbar niemand so recht, ob es den »Lichtalben« oder »Hornemann« wirklich gab und wer das wohl gewesen sein mochte. Der Berliner Kreis um Tucholsky war ja durch Emigration, Verfolgung und Krieg kaum noch zu rekonstruieren. Anhand eines Schriftwechsels im Stadtarchiv Celle konnte ich kürzlich feststellen, wer der »Lichtalbe« war. Auf Grund der biografischen Koinzidenz ist klar ersichtlich, daß er ein und derselbe ist wie der »Hornemann« bei Tucholsky. Der Spitzname Hornemann entstand 1929, der Spitzname Lichtalbe wahrscheinlich etwas eher, wird aber erst 1962 publiziert. Von der Frage, wozu diese Verschlüsselungen gut sein sollten, kommt man zu der wichtigeren Frage: Wer war das? Es war der am 4. Juli 1891 in Minden/Westfalen als Sohn eines preußischen Majors geborene Hermann Cordemann (1891-1975), der gleichfalls Berufsoffizier wurde. Cordemann, ein Hüne von Gestalt, war im ersten Weltkrieg zunächst Regimentsadjutant an der Westfront, dann Transportoffizier im Osmanischen Reich. Er war übrigens durch Verschwägerung verwandt mit dem Generalfeldmarschall August von Mackensen, dem Eroberer Rumäniens. Nach einer Zeit der Internierung auf dem Boden der Türkei war er 1919 Hauptmann im Generalstab in Berlin, Abteilung Fremde Heere Ost, also wohl mit Aufklärung, um nicht zu sagen Spionage beschäftigt. Dort wurde er im gleichen Jahr entlassen, weil das Heer auf die Reichswehrgröße von 100 000 Mann verkleinert wurde. Er war dann für Siemens-Schuckert und auch für die AEG tätig, die ihn nach Mexiko, Frankreich, Brasilien, Spanien und den Vereinigten Staaten von Amerika schickten. Im Sommer 1930 kehrte er nach Deutschland zurück. Im April 1931 arbeitete er im Einvernehmen mit Reichswehrminister General v. Schleicher und als sein Zuträger in der Wirtschaftspolitischen Abteilung der NSDAP in München – unter der Leitung des späteren Generalleutnants Otto Wagener. (Man erinnert sich, daß die Reichswehrführung München schon im Sommer 1919 Hitler in die DAP, die Vorgängerin der NSDAP, informationshalber eingeschleust hatte). Noch im Jahre 1931 wurde Cordemann nach Berlin versetzt. Er gehörte damals sicher nicht nur der NSDAP, sondern auch der SA an. Er war dann 1932-33 Personalreferent im Reichskommissariat für Arbeitsbeschaffung, einer staatlichen Dienststelle, die bewußt auf einer breiten politischen Grundlage geschaffen wurde; zugleich war er auch persönlicher Referent des Reichskommissars Gereke. Nach der baldigen Wiederauflösung dieses Reichskommissariats ging er zur NSDAP und ihrer Verwaltung zurück. Nach Otto Wageners Sturz am 28. Juni 33 wurde er auf Anordnung Hitlers verhaftet und zumindest für einige Zeit aus der Partei ausgeschlossen; beim Röhm-Putsch am 30. Juni 1934 wurde er als zeitweiliger SA-Führer erneut für einige Tage festgenommen. Er ist dann bei der Dresdner Bank tätig. Diese Großbank und das Heereswaffenamt verhelfen ihm im Krieg zu einem Vorstandsposten bei den Skoda-Werken in Prag und Pilsen. Er ist dort Oberdirektor und hat den formalen Rang eines SS-Sturmführers. Im Mai 1945 wird er aus Böhmen/Tschechien ausgewiesen und lebt später als Schriftsteller in seiner Heimatstadt Minden, zuletzt in Hannover. Cordemann findet sich in zahlreichen Büchern über die Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Zeit um 1930 erwähnt. Offenbar ist er damals wiederholt in verschiedene Organisationen eingeschleust und – mit einigen Blessuren – auch wieder herausgeschleust worden, nicht so sehr klandestin als vielmehr halb-offen. Sein weltanschaulicher Bezugspunkt waren national-konservative Offizierskreise und führende Zirkel der Auto- und der Elektroindustrie, die man um 1930 als neue Industrien bezeichnete. Sie waren stärker westorientiert und weniger chauvinistisch als die Schwer- und die Agrarindustrie. 1935, nachdem Lisa Matthias Deutschland verlassen hatte, heiratete er Gisela v. W.; aus dieser Ehe ist ein Sohn hervorgegangen. Frau v. W. war die Enkelin des Industriellen Werner v. Siemens, dessen Abbild die von 1929 bis 1948 in Deutschland umlaufenden Zwanzigmarkscheine zierte. Im Dezember 1963 legte Cordemann dem Institut für Zeitgeschichte in München einen Bericht über seine Erlebnisse aus der Zeit um 1930 vor. Sein literarischer Nachlaß befindet sich teilweise im Bundesarchiv/Militärarchiv Freiburg/Breisgau. Zwei seiner Mentoren, Günther Gereke und Otto Wagener, sind zumindest für eine Weile gestürzt worden, im Fall Wagener trug dazu Cordemanns gutgemeinter Übereifer für seinen Chef bei. Daß der Sturz dieser Mentoren zu seiner zeitweiligen eigenen Inhaftierung führte, hat ihn davor bewahrt, allzu aktiv bei nationalsozialistischen Aktionen mitzumachen. Die bisweilen etwas realitätsferne Gedankenwelt dieses umtriebigen, weit gereisten Mannes kreiste um die Idee von der sogenannten Querfront, einer Achse aller Schaffenden und ehemaligen Frontkämpfer von links bis rechts unter Berücksichtigung der Gewerkschaften. Kurt Tucholsky als Jurist und ehemaliger Feld-Polizeikommissar bei der Politischen Polizei muß 1932 gewußt haben, daß hier ein sozialkonservativ orientierter Nationalsozialist seine Kreise gestört hatte. Er hat sich wohl auch deswegen schrittweise 1931 von Frau Matthias getrennt, also zu der Zeit, als Cordemann in die NSDAP eintrat. Zwar hat er später im schwedischen Exil die Zeitung Die Tat, das von Ferdinand Fried bzw. Giselher Wirsing betreute Organ dieser Richtung, mit gewissem Respekt gelesen. Aber ein Gefolgsmann Schleichers als geistiger Beistand seiner Geliebten war für ihn sicher jenseits des Verkraftbaren. Im Alter lieben viele es, Bilanz zu ziehen. Und Hermann Cordemann war im Jahre 1964 in der Situation, daß er mit seinem früheren Chef, dem vormaligen Reichskommissar für Arbeitsbeschaffung, Kontakt aufnehmen wollte, ihn aber nicht leicht besuchen oder mit ihm telefonieren konnte, denn Gereke lebte damals in Ostberlin. So korrespondierte er mit ihm. Seine Briefe erreichten ihren Adressaten und wurden in urbaner Form beantwortet. Dr. Dr. Günther Gereke (1893-1970), ein vormaliger Deutschnationaler, war zwischenzeitlich (1946-47 und 1948-50) Minister in Niedersachsen gewesen. Er hatte sich 1950 mit Konrad Adenauer und der Mehrheit der westlichen CDU überworfen und war 1952 in die DDR gegangen. Er war dort führend in der Nationalen Front und von 1953 bis 1968 als Präsident der Zentralstelle für die Zucht und Leistungsprüfungen der Galopp- und Traberpferde (ZZL) in Berlin, Unter den Linden, tätig. Ihm schrieb Cordemann aus Minden im Jahre 1964 zwei Briefe. In dem längeren vom 25.2. erwähnte er, daß er in dem (1962 im Marion von Schröder Verlag in Hamburg erschienenen) Buch von Lisa Matthias »Ich war Tucholskys Lottchen« als »Lichtalbe« vorkomme (Stadtarchiv Celle, Bestand L 25 – Gereke – Bd. 1, Buchst. C). Sein Name sei verschlüsselt, aber es seien keineswegs alle Namen in diesem Werk verfremdet. Wir wissen also nun: »Lichtalbe« und »Hornemann« sind Pseudonyme oder Decknamen für den Wirtschaftsmanager Hermann Cordemann, den späteren Schwiegerenkel Werner von Siemens' und zeitweiligen Zuträger der Reichswehrführung bei den Nationalsozialisten, gestorben 1975.
Erschienen in Ossietzky 2/2003 |
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