Brecht für die Spaßgesellschaft

von Erhard Jöst

In Heilbronn bekommen wir die Monopol-Tageszeitung Heilbronner Stimme, zweimal die Woche deren Ableger echo und einmal die Woche das von einer Verwandten des Stimme-Verlegers herausgegebene Anzeigenblatt Neckar-Express zu lesen. Das ist unsere Pressevielfalt. Die Blätter beider Verlage hofieren die Politiker der Rechten und verbreiten jedes Tönchen, das diese hinter sich lassen. Und wenn ein CDU-Bundestagsabgeordneter auf einem Weinfest Probiergläser mit seinem Konterfei und dem Parteinamen verbreitet, findet er auch dafür lobende Erwähnung.

Anders ergeht es den Kulturschaffenden der Region. Auf sie wird geknüppelt, ihre Arbeit wird verrissen. Da zeigt die Presse, wie unabhängig und kritisch sie ist. Ein seit 15 Jahren bestehendes Heilbronner Kabarett zum Beispiel hat mit seinen 15 Programmen noch niemals der Heilbronner Stimme eine Anerkennung zu entlocken vermocht; die findet es bei Gastspielen außerhalb des Verbreitungsgebietes der Zeitung.

Doch keine Regel ohne Ausnahme. Neulich, als Brechts »Dreigroschenoper« im Heilbronner Theater Premiere hatte, rieb man sich beim Lesen der Besprechungen ungläubig die Augen. Die Heilbronner Stimme jubelte unter der Überschrift »Die berauschende Lust am Sinnlichen«, der Neckar-Express titelte »Orgiastisch und furios«. Wenn eine Brecht-Aufführung die Regionalpresse derart begeisterte, hätten sich endlich auch einmal die Heilbronner Linken freuen können. Las man aber weiter, dann erfuhr man im Neckar-Express, eigentlich sei Brechts Theater »öde«, es verspreche stets einen »langweiligen Abend«. Dem Regisseur Lech Majewski sei es zu verdanken, daß »sogar der sonst so fade Brecht Spaß« mache.

In Wahrheit hatte Majewski der »Dreigroschenoper« jeden Zahn gezogen, das mitreißende Stück zum billigen Kasperletheater degradiert, die Schauspieler zu dummen Marionetten. Die Heilbronner Stimme würdigte diese Leistung mit den Worten, Majewski überwinde »mit einer berauschenden Lust am Sinnlichen, mithin Unterhaltenden« den »dogmatischen Brecht«. Denn das ist es, was ihnen gefällt: Brecht wird entpolitisiert. Da er ein Sozialist war, nimmt man alles Gesellschaftliche einfach weg und inszeniert sein Stück »als kunterbuntes Kuriositätenkabinett«. So bekommt der antimilitaristische »Kanonen-Song« einen ganz anderen, widersinnigen Unterhaltungswert, und Aussagen wie »Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral« dienen nur dem Amüsement der Satten. Schmierentheater!

Erschienen in Ossietzky 2/2003