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Hilfsgüter karitativer Organisationen erreichen nur in seltenen Fällen die unmittelbar Bedürftigen. Ein Zuzug von verarmten und entwurzelten Bevölkerungsteilen der Peripherie in die kapitalistischen Metropolen wird von deren staatlichen Institutionen rigoros unterbunden und gelingt nur den wenigsten Menschen. Die Hoffnungslosigkeit der »abgeschriebenen« Regionen bringt ein Klima der allgemeinen moralischen Verwilderung und der Verwahrlosung der Sitten hervor. Auf den Zusammenbruch der Ökonomie der Warenproduktion folgt die Plünderungsökonomie. So schildert Robert Kurz, der sich als führender Kopf der Krisis-Gruppe und Redakteur der gleichnamigen Theoriezeitschrift seit Jahrzehnten mit der Kritik des warenproduzierenden Systems der kapitalistischen Moderne und als Dokumentarist der zunehmenden Krisenerscheinungen dieses Systems einen Namen gemacht hat, in seinem neuen Buch »Weltordnungskrieg« die reale Weltunordnung. Die permanenten Kriege an der Peripherie des kapitalistischen Wirtschaftssystems mitsamt ihren barbarischen Massakern sind für ihn nicht plötzlich aus dem Nichts aufgetauchte Reste vormoderner Gesellschaften, sondern er erklärt sie als originäre Produkte des kapitalistischen Systems. Und die vielerorts aufflammenden Ethno-Auseinandersetzungen führen nicht zu neuen Staatsbildungen, sondern sind Entstaatlichungskriege. Denn mangels funktionierender Wirtschaft verliert der Staat seine Existenzberechtigung und löst sich unter blutigen Exzessen in seine Bestandteile auf. Übrig bleiben mafiotische Clanstrukturen, religiös-fundamentalistische Bewegungen jeglichen Couleurs und regionale Ethno-Milizen samt Anhang. Den Versuch, mit militärischer Gewalt gegen solche Staatszerfallsprodukte vorzugehen (zum Beispiel in Afghanistan), vergleicht Robert Kurz mit einem Panzernashorn, das gegen die eigenen Darmbakterien kämpfen und gewinnen will. Denn die »Weltordnungskriege« der USA können in den betroffenen Regionen eben keine »normal funktionierende« Warenproduktion mehr herstellen. Nach Abzug der Besatzer bleibt ein zertrümmertes Land mit einer demoralisierten Bevölkerung – Spielwiese für die nächste Generation bewaffneter Monstren. Die zuerst in den abgeschriebenen Randgebieten ausgebrochenen Ethno-Konflikte haben inzwischen längst auf verarmte Regionen innerhalb der kapitalistischen Metropole übergegriffen. Schon beim Zusammenbruch der jugoslawischen Föderation war es nicht zuletzt die organisierte Kriminalität – gemeinsam mit funktionslos gewordenen Teilen des zusammenbrechenden Staatsapparates -, die versuchte, bei der Plünderung von plötzlich als »feindlich« deklarierten Bevölkerungsteilen ihren Schnitt zu machen. Plünderung war und ist auch ein wesentliches Motiv bei der Verwüstung Tschetscheniens durch russische Truppen. Damit zusammen hängen die Erfolge fremdenfeindlicher Wahlkampfparolen in mehreren europäischen Kernländern. Auch in Deutschland gehen Wohlstandschauvinismus und nackte Gewalt Hand in Hand. In hiesigen Ausländerbehörden und Vollzugsapparaten sieht Kurz den »Abschaum der Menschheit« versammelt. Der Autor schont seine Leser nicht. Er unternimmt mit ihnen einen Streifzug durch die grausigsten Zusammenbruchsregionen unserer schönen neuen Welt: afrikanische Bürgerkriegsgebiete, mit Elendsflüchtlingen vollgestopfte Internierungslager in der australischen Wüste, von israelischen Ultras niedergewalzte Palästinensersiedlungen, organisierter Menschenhandel im NATO-Protektorat Kosovo und die befestigten Todesstreifen an der Südgrenze der USA. Die geschilderten Fakten sind zwar aufmerksamen Zeitungslesern zumindest teilweise bekannt, in dieser konzentrierten Form jedoch selten zu finden. Zunehmenden Zerfall staatlicher Strukturen nimmt Kurz auch in den noch funktionierenden Wirtschaftsregionen der kapitalistischen Metropole wahr. Dank neoliberaler Privatisierungswut werden immer mehr staatliche Funktionen von privaten Dienstleistern übernommen – wobei ihr Auftrag nach und nach verlorengeht. Private Polizeien wandeln sich zu kriminellen Banden, private Gefängnisse vermitteln Sklavenarbeit, aus privatem Militär werden marodierende Söldner. Die fortschreitende Auflösung staatlicher Strukturen hat auch eine Auflösung staatlicher Souveränität und des nationalen und internationalen Rechtssystems zur Folge. Das weltweit zusammenbrechende System reagiert auf die eigenen Erosionserscheinungen mit einem unerklärten permanenten Ausnahmezustand. Das Militär der verbliebenen Weltmacht USA greift bar jeglicher Legitimität überall dort ein, wo sie »ihre Interessen« in Gefahr sieht. Am Beispiel der jüngsten »Weltordnungskriege« schildert der Autor, wie wahllos die Bevölkerung ganzer Städte zusammengebombt, Gefangene zu Tausenden massakriert und militärische Zweckbündnisse mit den monströsesten Gruppierungen blutbesudelter Warlords geschlossen wurden. Sein Fazit ist, daß »der demokratische Gesamtimperialismus weitaus mehr Menschenleben auf dem Gewissen (hat) als sämtliche Warlords, Gotteskrieger, Neonazis und Selbstmordattentäter zusammengenommen«. Das Buch endet mit einem Ausblick auf den voraussichtlich nächsten Welt-ordnungkrieg – gegen den Irak, wo es weder um Demokratie noch um Menschenrechte, sondern um Öl geht. Nach dem Zusammenbruch der New Economy hoffen die Gesundbeter der einzig und alleinseligen Marktwirtschaft auf einen Wirtschaftsboom infolge drastischer Senkung der Erdölpreise. Ein von US-Truppen besetzter Irak würde sich nicht mehr an Förderquoten und Preisabsprachen der OPEC halten. Die größten Erdölvorräte der Welt könnten so zu einem Spottpreis in die USA fließen. Kurz hält das für eine Fehlkalkulation. Selbst bei einem anzunehmenden schnellen militärischen Sieg über die Reste der irakischen Armee wäre das US-Militär zum Dauereinsatz in der Golfregion gezwungen. Ein Unterlaufen der OPEC-Preise hätte eine massive Verarmung der gesamten arabischen Welt zur Folge. Unweigerliche Folge wäre eine »gesamtarabische Haßguerilla gegen Fördereinrichtungen und Transportwege des billigen Öls« und gegen die, die diese schützen. Ein militärischer Dauerkonflikt in der Golfregion würde die Erdölpreise dann ins Uferlose steigen lassen. Robert Kurz widmet sein Buch »Den namenlosen Opfern der demokratischen Bombergemeinschaft und des ökonomischen Terrors«. Schärfer kann eine Anklage gegen die moderne Weltwirtschaftsordnung nicht formuliert werden. Robert Kurz: »Weltordnungskrieg – Das Ende der Souveränität und die Wandlungen des Imperialismus im Zeitalter der Globalisierung«, Horlemann Verlag, 447 Seiten, 19.80 €
Erschienen in Ossietzky 2/2003 |
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