Dianas Lächeln

von Werner Standfuß

Diana sah mich von weitem und winkte mir zu. Ich sah ihre Freude im Gesicht, ich winkte zurück. Die Kaufkathedrale war voller Menschen, in der Ecke des Espressos stand ein einziger Hocker frei, dort bediente Diana. Sie brachte mir sofort den Kaffee.

»Wie ist es ausgegangen?«
»Ich bin entlassen worden. Zum 20. Dezember. Fröhliche Weihnachten.«
»Soll ich die Chefin umbringen?«
»Sie kann nichts dafür, die Anweisung kommt aus Frankfurt.«

Sie sind acht tüchtige junge Frauen, Serviererinnen, Restaurantfachfrauen, wie es heute heißt, und umsorgen die Gäste auf den vierzig Plätzen des Espressos. Sie tun das freundlich, nehmen sich einige Augenblicke Zeit für jeden Kunden; noch zu einem Stiesel sind sie höflich. Sie bereiten Kaffee, Mocca, Cappuccino, Milchkaffee an den Espressoautomaten, haben mancherlei Getränke im Kühlfach, pressen Orangensaft aus, bieten Torten, Baguettes, Croissants an, spülen das Geschirr im Automaten, putzen Gläser. Bestellerei und Abrechnung mit Fingertippen auf einem Bildschirmcomputer. Die Gäste wechseln schnell. Sie holen Luft zwischen Käufen oder nach dem Flanieren, sie lesen etwas, sie schreiben etwas, sie unterhalten sich, sie sitzen für sich. Täglich 9 bis 20 Uhr (Putzen bis 21 Uhr 30), sonnabends bis 18 Uhr, sonntag von Mittag bis Abend. Die Frauen sind zu zweit, in Stoßzeiten zu dritt, sonnabends zu viert. Abends wissen sie, was sie getan haben.

Den Lehrling entläßt man nicht, den bezahlt das Arbeitsamt, der ist die billigste Arbeitskraft – aber außer Diana entläßt man auch Steffi. Sie sind die beiden jüngsten, zuletzt eingestellten Kolleginnen. Mir fällt auf, daß sich die acht Frauen nicht zanken, sich nicht mit den Ellbogen anstoßen, sondern gut und vertraut miteinander sind. Sie können lachen, sie können wortlos sein hinter der Theke, es sitzt jeder Handgriff.

Das Espresso heißt »Segafredo Zanetti – il vero espresso italiano«, das wahre italienische Espresso. »Die Espresso-Kultur in Europa ist unsere Sache«, läßt Ketten-Gründer Zanetti verlauten. Doch auf den Rechnungen steht als Besitzer die Mitropa AG, die aus Frankfurt am Main befehligt wird. Sie hat ihr Espresso auf dem Dresdener Hauptbahnhof geschlossen und sich in die neue Altmarkt-Galerie eingemietet.

Diese wurde am 18. September eröffnet. Sie ist hell, licht, schön. Hundert Geschäfte, große und kleine, Imbisse, Restaurants, Cafés haben Zulauf. Eben auch das »Segafredo«. Nach zwei Monaten erhöhte es den Preis für eine Tasse Kaffee von 1,30 auf 1,40 Euro. Am 18. September eingestellt, werden Diana und Steffi am 20. Dezember entlassen. Rechtzeitig vor den Feiertagen, bis dahin werden sie gebraucht und ausgenützt.

Hübsch sind sie, fix sind sie, genug Arbeit haben sie, alle acht, es kommt mehr als genügend in die Kasse. (Kellnerinnen werden so gering bezahlt, daß ihr wahrscheinliches Trinkgeld zum Gehalt gehört.) Diana und Steffi sind die Hübschesten, die Besten (für mich). Das Lächeln haben sie nicht einstudiert. Steffis Lachen steckt an. Diana ist eine altgriechische Schönheit. Man sieht, wie sie Gäste anziehen.

In der Süddeutschen Zeitung las ich von der »kriminellen Dummheit deutscher Konzerne und ihrer Manager«. Darum handelt es sich hier. Es ist ein Sport geworden, mit Menschen umzuspringen. Man kann sie auch zerbrechen. Diana ist eine Person mit natürlichem Stolz. Sie wird zwanzig. Es wippt ihr Pferdeschwanz. »Wut habe ich«, sagt sie, »weil die Chefin mich nicht ein einziges Mal hat arbeiten sehen.«

Erschienen in Ossietzky 1/2003