Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Berliner Theaterspaziergängevon Jochanan Trilse-Finkelstein Immer auf der Suche nach Neuem – das gehört bekanntlich zur Lust des Kritikers, der im Grunde lieber ein Lober sein möchte. Wie nehmen unsere Künstler auf den Brettern oder Podien die Welt wahr, wie setzen sie sich mit den Problemen unserer Zeit auseinander? Neugierig wie immer machte ich mich auf den Weg zum Zentrum dieser Stadt und fand schon auf dem Wege, am Pfefferberg in der Schönhauser Allee, das Theater Stolitschny. Das ist russisch und heißt »hauptstädtisch«. Auch ein Wodka heißt so. Man spielte eine Adaption des Dostojewski-Romans »Der Idiot«. Der wird oft auf Bühnen gebracht und erweist sich immer als schwierig. Eben erst unterzog ich das vielstündige Castorf-Projekt in der Volksbühne einer kritischen Betrachtung (Ossietzky 23/02). Aber Castorf ist selbst im Irrtum groß. Fast möchte man ihm Abbitte leisten, wenn man sich nun diesen kleinkarierten Irrtum ansieht. Da wird herumgehopst, mit Rubelscheinen geworfen, gebrüllt, schlecht gesungen, schlecht musiziert, ob auf Klampfe oder Klavier, der szenische Raum ist ein einziges Elend, und das hier vermittelte Weltbild ist ranzig, riecht nach Müll und Verwesung – auf den Textresten eines großen Romans der Weltliteratur. Der Regisseur Tomas Makaras ist Litauer, die Schauspieler kommen aus Polen, Rußland, der Ukraine, Deutsche sind auch dabei. Hauptstädtisch ist gar nichts. Herausgekommen ist eine Readers-Digest-Fassung für GI’s oder Halbanalphabeten. Nur fort von hier. Doch die Freie Szene war oft Wegbereiter des Zeittheaters. Also in die Karl-Marx-Strasse Neukölln, in den Saalbau, wo schon manches Wesentliche zu sehen war. Jetzt gab man »Hirngespinste« nach einem Roman von Bernlef in der Regie des Niederländers Chaim Levano. Als ob’s von Dada wäre, dachte ich anfangs, da war es noch ein wenig lustig. Es gab Denkansätze, die auf den Sprachphilosophen Wittgenstein zurückgehen könnten. Sollte die Geschichte von Alzheimer-Demenz dazu gut sein, die Krankheit der Gesellschaft darzustellen? Vergeblicher Versuch. Schon gar mit solchen Mitteln. Sprachspiele endeten in Gebrabbel, Geschrei, geistiger Hilflosigkeit. Die Idee des Ganzen reichte allenfalls für 20 oder 30 Minuten. Der Rest von mehr als einer Stunde ging ins Aus. Genug der Freien Szene, auf zu den Staatsbühnen. Im Maxim Gorki Theater kam ein Mythos auf die Bühne: Gertrude Stein und ihr Stück »Doctor Faustus Light the Lights«, inszeniert von Michael Simon. Was nur mögen sich Regisseur und Theaterteam dabei gedacht haben? Wollten sie ein Denkmal stürzen? Genau so sah es aus. Die Stein – von sich selber und von andern zum Mythos stilisiert – wurde berühmt erstens durch ihren Satz oder auch Vers »a rose is a rose is a rose is a rose«, seit 1913 unter der Patina allmählich rostig geworden, zweitens durch ihre der Gefährtin Alice B. Toklas diktierte »Autobiographie«, die ich vor 40 Jahren mit Lust gelesen hatte (wie traurig nun das Wiederlesen: ein Tratschbuch, in dem sie mit Apollinaire, Braque, Cocteau, Hemingway, Matisse, Picasso sowie ihren Kunstsammlungen kokettiert), drittens durch einige andere, meist feministisch orientierte Bücher wie »The Making of Americans« sowie unserm Faustus-Stück. Nun muß man feststellen, daß diese Kaiserin nackt ist. Wie simpel ist dieses Faust-Stück gestrickt! Der Faust ist ein Lichterfinder wie Edison und als Stück entteufelt, ohne Konflikte, ohne Dialektik, eine Faust-Parodie, eine Kabarett-Nummer. Ich hätte mir gewünscht, daß es wie Kabarett gespielt wird. Hildebrandt als komisch-satirischer Faust – das wäre noch gegangen. Stattdessen stolziert alles schwergewichtig daher mit riesiger Technik, und die Schauspieler dozieren wie Weltenrichter. Am Mißverhältnis von stofflichem Nichts und gewaltigem Aufwand geht es zugrunde. In der Tat: ein Denkmalsturz. Ein Mythos ist zerstört. Ach, wo kann der Kritiker denn nun mal loben, sich begeistern? Doch, es gibt mal wieder etwas: Georg Kreislers »Adam Schaf hat Angst oder Das Lied vom Ende«. Uraufgeführt am Schiffbauerdamm. Es nennt sich Musical und ist eine Folge von Liedern und Songs mit zwischengestreuten Regiebemerkungen. Was Filmregisseur Schroeter daran getan hat, ist schwer auszumachen, seine Boxer-Einlagen sind ziemlich überflüssig. Der Abend lebt von den meist brillanten Texten, von der Musik (Leitung und Arrangements Thomas Dörschel) und von zwei Schauspielern. Steffi Kühnert als Adelheid ist eigentlich nur eine Stichwortgeberin, doch jeder Auftritt ist eine Nummer. Es gibt eben keine kleinen und großen Rollen, nur kleine und große Schauspieler. Herz wie Kopf ist der überragende Tim Fischer. Der zarte Mann mit starker, gut durchgebildeter Stimme, die so leise sein kann, der Spieler mit hochtrainiertem Körper und eigenem Gestus, der Komödiant mit tragischem Sinne und hohem Geist – da kann Kreisler, der sich von der Bühne verabschiedet hat, zufrieden sein. Köstlich die Szene als Frau. Da gab es zu lachen – so traurig der Rückzug des Autors ins Schweigen ist, die Klage über Vergeblichkeit und Sinnverlust des Liedermachens. Die meist bissig-kritischen Lieder wurden und werden gesungen, sie sind da. Das macht Mut – dennoch. Wie sagt Kreisler selbst im gut gemachten Programmheft: »Es ist nichts als ein grausamer Zeitvertreib bis zum Sieg der gerechten Sache durch andere Mittel. / ... / Wir warten darauf, daß unsere letzten Lieder eines Tages die ersten sind.«
Erschienen in Ossietzky 1/2003 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |