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Dieses trotz seiner Ähnlichkeit mit dem Garten Eden wohl unerschlossenste und ärmste Land der arabischen Halbinsel gilt in seinem Ringen um Demokratie dennoch als fortgeschritten. Im Mai 1990 bot es Deutschland sogar hilfsbereit Vereinigungserfahrungen an, was nichtdankend ignoriert wurde. Schade – denn daß es bei allen Unterschieden auch verblüffende Ähnlichkeiten gibt, davon konnte sich unlängst eine 30köpfige Delegation deutscher und arabischer Autoren überzeugen, die zu einem »Dialog der Kulturen« ins Land geladen, beschützt und verwöhnt wurde. Die verfallenden Zollhäuschen auf der atemberaubenden Gebirgsstraße kurz hinter Taizz machen einen ebenso unspektakulären Eindruck wie die Geistergebäude an den verlassenen ehemaligen Grenzübergängen in Dreilinden oder Stolpe vor West-Berlin. Könnte man bei der Einfahrt nach Aden, wo man auf neuer Straße kilometerlang an im Bau befindlichen Häusern vorbeikommt, noch an einen prosperierenden »Aufbau Süd« glauben, so belehren einen die seit dem letzten Golfkrieg im Hafen verrostenden Schiffe und die marode Innenstadt eines anderen: Krieg, Embargo, Terrorismus und Armut haben sich mit dem erkalteten, blanken Lavagestein und der hier im Sommer unerträglichen Hitze und Luftfeuchtigkeit zusammengetan, um die Stadt im Würgegriff zu halten. Als 1967 die letzten britischen Truppen vertrieben wurden, hinterließen sie kaum kolonialen Prunk, dafür betonierte Mietskasernen für die Hafenarbeiter. Nach kurzer Übergangszeit wurde Aden zur Hauptstadt der »Sozialistischen Volksrepublik Jemen«. Die DDR unterhielt freundschaftliche Kontakte zu beiden Teilen des Jemen, baute im Norden das Telefonnetz und eine moderne Telefonzentrale in Taizz, während ihr eigenes Netz sehr mangelhaft war. Sie ließ 3000 Jemeniten in der DDR studieren. Überall begegnen uns diese fließend deutsch sprechenden Männer. Als Universitätsprofessoren, Chefärzte, Ingenieure oder Historiker sind sie heute ein gewichtiger Teil der akademischen Elite des Landes – im Unterschied zur denen, die damals als DDR-Bürger mit ihnen studiert haben. Über den ungleichen Lohn für gleiche Leistung wissen diese Jemeniten meist staunend Bescheid, denn sie haben noch Freunde in Ostdeutschland. Wovon auch ich profitiere: Schnell kommt Vertrautheit auf. Im Süden nahm man die von der DDR angebotene Entwicklungshilfe noch viel vorbehaltloser an. Das polytechnische Bildungswesen der DDR wurde übernommen, erstmals lernten Jungs und Mädchen in gemeinsamen Klassen, wahrscheinlich nach dem selben Mathe-Lehrbuch wie zu meiner Zeit. Innerhalb einer Generation wurden die Analphabeten von einer Mehrheit zu einer verschwindenden Minderheit. Frauen wurden berufstätig, Männer gewöhnten sich sogar an die Autorität von Richterinnen. Teile des DDR-Familiengesetzes wurden eingeführt: Die vom Koran dem Mann erlaubte Vier-Frauen-Ehe wurde verboten, die Ehe zu zweit setzte sich durch. Scheidungen kamen nicht wie zuvor (und heute wieder) dadurch zustande, daß der Mann die Frau vertrieb, sondern nur durch Gerichtsbeschluß. Männer klagten nicht aus Übermut, denn die Mutter bekam Kinder und Haus. Blieb die Ehe kinderlos, durfte sich der Mann nur mit Einwilligung seiner Erstfrau eine zweite nehmen. Unmittelbar nach der Revolution gab es nicht nur öffentliche Schleierverbrennungen, das Tragen des Schleiers wurde übertriebenerweise unter Androhung von sechs Monaten Haft verboten. In Aden und anderen Städten wurden die Neuerungen freudig begrüßt, auf den Dörfern soll es schwieriger gewesen sein. Und für die anderen arabischen Staaten waren die emanzipierten Südjemenitinnen ein Skandal. Das kleine Land wurde politisch und ökonomisch isoliert, mit den Versorgungsmängeln stieg die Unzufriedenheit und mit ihr der ideologische Druck des Staates. Bei Gesprächen mit Schriftstellerkollegen und -kolleginnen in Aden erfahren wir, daß der Gedanke einer Vereinigung populär war und beide Seiten jahrelang Vorbereitungsgespräche führten. Als dann nicht nur die Hilfe aus der DDR, sondern auch aus der zusammenbrechenden Sowjetunion und aus Kuba ausblieb, konnte der Süden keine Bedingungen mehr stellen. Mit der Aufgabe des härteren südlichen Dinar (3,4 Dinar = 1 Dollar) und der Einführung des nördlichen Rial (178 Rial = 1 Dollar) setzte sich der Norden weitgehend durch. Alle Parteien aus Nord und Süd wurden anerkannt. Nach mehrmaliger Verschiebung fanden 1993 freie Parlamentswahlen statt. Ali Abdullah Saleh, der auf Ausgleich und Verständigung orientierte Präsident des Nordjemen, gewann, aber auch die oppositionelle Sozialistische Partei schnitt respektabel ab; sie stellte fünf Jahre den Kulturminister, Jarallah Omar. Doch die Restauration des Islam und der alten Stammestraditionen aufzuhalten, vermochte offenbar niemand. Verteilungskämpfe begannen, heißblütiger geführt als in Deutschland. 1994 brach ein verlustreicher Bürgerkrieg aus, der mit der Einnahme Adens durch die Regierungstruppen endet. Der Krieg schwächte die Wirtschaft, die Demokratie und die Toleranz. Die Schuldigen flohen ins Ausland. »Die Einheit war gewollt, aber nicht so.« Ist es mein Satz oder der des Mitglieds des Adener Schriftstellerverbandes? Als ich ihn frage, ob man sich hier ähnlich wie in Ostdeutschland als Bürger zweiter Klasse fühle, lachte er hell auf und antwortet: »Als Bürger zehnter Klasse.« Er weiß, wie es ist, wenn die eigene Lebensleistung, das bisherige Wertesystem nicht mehr anerkannt werden und die jüngste Geschichte diffamiert wird. Ein harmloses Beispiel erlebe ich bei einer Führung durch Shibam, dieses »Manhattan der Wüste« oder »Poesie in Lehm«, wie Günter Grass es nennt. Beim Gang durch die dicht aneinander gedrängten, oft siebenstöckigen Lehmhäuser erklärt uns in hartem Englisch ein Touristenführer, der, wie nicht wenige jemenitische Männer, sein zu ergrauen beginnendes Haar mit Henna hellrot gefärbt hat: In sozialistischen Zeiten sei hier alles enteignet gewesen, und traditionsfeindlich, wie Kommunisten seien, hätten sie die jahrhundertealten Häuser einfach verfallen lassen. Erst seit die Stadt von der UNESCO zum Weltkulturdenkmal erklärt wurde, gehe es wieder aufwärts. Alle nicken erleichtert, aber als einzige Ostdeutsche in der Gruppe bin ich skeptisch. Ich glaube ein Gespür dafür entwickelt zu haben, wo Klischees zu dick aufgetragen werden. Ich bitte einen uns begleitenden Geologen aus Mukalla, der in Greifswald promoviert hat, Einwohner zu fragen, wie das war mit der Enteignung. Prompt bekomme ich zu hören, daß es nichts dergleichen gegeben habe; die Lehmhochhäuser hätten immer den darin wohnenden Familien gehört, die nach ihren bescheidenen Kräften versucht hätten, Material und Handwerker zu bekommen... Was stimmt? Wer hat Recht? Auf seine Art Günter Grass. Als er hört, nur noch drei über siebzigjährige Männer wüßten um die Geheimnisse des Lehmhochhausbaus, regt er an, für dieses Gewerk eine Berufsschule zu gründen, und spendiert auch gleich den finanziellen Grundstock. (Die UNESCO war auf diese naheliegende Idee bisher nicht gekommen.) Die Besitzunterschiede zwischen Nord- und Südjemen sind heute nicht so schroff wie die zwischen West- und Ostdeutschland. Die Armut ist flächendeckend. Aber wenn man fragt, wem heute die besseren Grundstücke und Häuser im Süden gehören, so werden nicht selten Offiziere oder einflußreiche Moslems aus dem Norden genannt. Ich sehe auf den Straßen des Landes keine einzige unverschleierte Jemenitin. Die Frauen sind völlig verhüllt vom schwarzen Sharshaf, der nur einen winzigen Sehschlitz frei läßt. Selbst im Hotel-Restaurant balancieren die Frauen ihre gefüllte Gabel umständlich unter den Schleier, und während unseres »Dialoges der Kulturen« hören wir in Schwarz gehüllte Stimmen, ohne im mindesten zu ahnen, mit wem wir es zu tun haben. Auf diese Demütigung angesprochen, wagt keine Frau zu klagen. Verteidigende Worte wie Gewohnheit und Tradition fallen. Ein einziges Mal gelingt es mir, eine andere Äußerung zu entlocken: Am Swimmingpool des Hotels in Aden spreche ich zwei Mütter an, die ihre planschenden Kinder beobachten. Statt des Gesichtsschleiers tragen diese Frauen nur ein Kopftuch über den schwarzen Umhang gebunden. Sie entpuppen sich als fließend englisch sprechende Gattinnen aus Regierungskreisen, die mit ihren Familien zum Ramadan von Sana’a in den warmen Süden geflogen sind. Sie kennen Europa, wir unterhalten uns angeregt. Endlich räumt die jüngere ein, es sei schon hart, in einem heißen Land mit Hunderten von Kilometern Meeresküste zu leben und nie baden zu können. In Sana’a unterhalte ich mich mit Frauen, die in den 60er Jahren aus der DDR dorthin geheiratet hatten. »Es war die Zeit der Miniröcke, wir konnten diese Mode hier tragen. Heute gehen wir in weiten, langen Gewändern, und unsere Töchter sind voll verschleiert.« Viele Mädchen würden heute nicht mehr zur Schule geschickt, da sie ja sowieso bald heirateten. Die Sozialistische Partei kann sich nur mit leiser Stimme gegen den Rückschritt aussprechen. Sonst würde sie in den Moscheen noch mehr angefeindet und bei Wahlen abgestraft; der Islam ist auch unter Frauen stark. In den letzten Jahren sind allein zwölf Funktionäre der Partei ermordet worden – eben erst ihr charismatischer Vizevorsitzender Jarallah Omar, den wir als aufgeklärten Intellektuellen schätzen gelernt haben. Der Islam missioniert im Südjemen viel gnadenloser als die Kirche in Ostdeutschland. Für diesen Vorzug sollten wir dem Schöpfer, wer immer das ist, auch mal dankbar sein. Die Aussage eines Treuhandchefs in einem Dokumentarfilm hat in östlichen Kinos immer nur Gelächter ausgelöst: »Generell haben wir das Problem, daß diese fünf Bundesländer wieder zu christianisieren sind, weil dieses verheerende SED-Regime viele Menschen aus der Kirche getrieben hat. 70 Prozent ohne Religion – das muß man sich einmal vorstellen.« Inzwischen hat die verheerende Kirchensteuer noch mehr Menschen aus der Kirche getrieben, was achselzuckend toleriert wird. Als der im Pariser Exil lebende syrische Dichterfürst Adonis in einer Abschlußerklärung fordert, auch in den arabischen Ländern müsse der Weg zur Demokratisierung über die Trennung von Kirche und Staat führen, kommt es beinahe zu Tumulten, Kein jemenitischer Autor wagt oder wünscht die Forderung zu unterstützen. Am letzten Tag unseres Aufenthalts lädt uns zu unserer Freude der Präsident der jemenitischen Menschenrechtsorganisation, Hamud Abdulhamid al-Hitar, zu einem Gespräch in sein Haus. Er ist zugleich Richter am Obersten Gericht und Initiator eines bemerkenswerten, gewagten Projekts. Entgegen dem vom US-amerikanischen Geheimdienst gemalten Bild des Jemen als einem mit religiösem Fundamentalismus sympathisierenden Land wurden aus Afghanistan zurückgekehrte Al-Kaida-Kämpfer und Extremisten aus dem eigenen Land ohne konkrete Anklage inhaftiert, was moralisch verständlich, aber juristisch angreifbar ist. Eine Vollversammlung der Rechtsgelehrten beschloß, die Gefangenen in Gesprächen mit Imamen und Juristen zu einer richtigen Interpretation des Islam zu befähigen und von der Gewalt abzubringen. Die meisten von ihnen seien Analphabeten mit starken Glaubensgrundsätzen, viele hätten den Koran auswendig gelernt, ohne ihn richtig interpretieren zu können; schließlich rufe der Koran in 124 Suren zum Frieden mit Nichtmuslimen auf, ein Gesetz verbiete das Töten. Nur wer den Islam aktiv bekämpfe, verdiene laut Koran keinen Schutz. Jihad aber bedeute Kampf um das bessere Argument. Welches das ist, bleibt allerdings umstritten. Aus Furcht, die an den Läuterungsgesprächen beteiligten Rechtsgelehrten könnten der Kollaboration mit dem Westen bezichtigt werden, waren außer Kadi al-Hitar nur drei Juristen zu dem Vorhaben bereit. Ihnen ist zu danken, daß nach den ersten zweimonatigen Gesprächsrunden 36 von 104 Inhaftierten entlassen werden konnten und man sich um ihre soziale Integration gekümmert hat. Auch al-Hitar hat dabei gelernt. Nachdem er ausführlich den Motiven und Überzeugungen der Extremisten zugehört hat, ist er sich jetzt sicher, welche drei Wege es gibt, den Terrorismus zu bekämpfen: Man müsse die Gewaltideologie austrocknen, Gesetzesverstöße juristisch verfolgen und auf einen weltweiten ökonomischen Ausgleich hinarbeiten. Zum Abschied äußert Günter Grass den Wunsch, es gäbe auch in den USA eine Kommission, die Präsident Bush ins Gebet nehme, Probleme nicht mit Kriegen zu lösen.
Erschienen in Ossietzky 1/2003 |
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