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All diese Proteste, so erfährt die deutsche Öffentlichkeit, richten sich gegen Präsident Hugo Chávez – als wäre er eine schreckliche Plage, die über das Land gekommen ist. Unerwähnt bleibt dabei, daß Chávez demokratisch gewählt ist – mit einer vorher nie dagewesenen Mehrheit – und daß er das Wohl der Armen zu seinem Programm gemacht hat. Er brachte Gesetze ein, die zu einer gerechteren Verteilung des Reichtums im Lande führen sollen, beispielsweise durch Besteuerung ungenutzten Ackerlands. Venezuela besitzt viel fruchtbaren Boden, aber nur ein kleiner Teil wird bewirtschaftet, weil die Eigentümer – fast immer dieselben 30 Familien – darauf nicht angewiesen sind. Daher mangelt es an vielen Grundnahrungsmitteln, die das Land jetzt in großen Mengen importieren muß. Diese und einige weitere Gesetze, die zum Beispiel die Verfügung über das Erdöl und die Zinsgebung der Banken betreffen, sind seit dem 1. Januar in Kraft. Die Grundidee ist, die Mehrheit der Bevölkerung – 80 Prozent der Venezolaner leben unterhalb der Armutsgrenze – an den Gewinnen der Wirtschaft teilhaben zu lassen. All das ist im Sinne der neuen Verfassung aus dem Jahre 2000, zu der Chávez den Anstoß gab und die per Volksentscheid angenommen wurde. Sie löste viele der korrupten Institutionen im Lande ab und errichtete auch rechtliche Barrieren gegen einen Militärputsch. Doch im April 2002 versuchten einige Generäle zu putschen. Zwar scheiterten sie und wurden angeklagt, aber der Oberste Gerichtshof sprach sie frei. Die Richter verleugneten ihre Herkunft und Gesinnung nicht. Seit mehreren Wochen ist nun ein Teil der Bevölkerung im Streik. Darunter darf man sich aber keinen Streik der Arbeiter vorstellen, eher im Gegenteil: eine Aussperrung, eine Arbeitsverweigerung der Unternehmer. Ihre Forderung lautet: Der Präsident soll abdanken! Andere Forderungen äußern sie nicht, geschweige denn andere Konzepte. Chávez soll bei einer Neuwahl nicht einmal mehr antreten dürfen. Und auch kein anderer regierungsfreundlicher Kandidat. Und die Verfassung soll wieder geändert werden. Weihnachten hatte die Opposition eine neue Idee, um den Präsidenten unter Druck zu setzen: Die Chávez-Gegner sollten mit ihren Autos die Straßen blockieren. Viele Menschen sind inzwischen dermaßen von der oppositionellen Propaganda paralysiert (fast alle Fernseh- und Hörfunksender sowie Tageszeitungen Venezuelas gehören großen Konzernen und dienen der rechten Opposition als Sprachrohre), daß sie wirklich am folgenden Tag nicht nur ihre Wohnstraßen oder die Hauptstraßen ihres Wohngebiets sperrten, nein, sie sperrten sogar die Autobahn. Es fiel auf, daß ausschließlich Autos der gehobenen Mittelklasse und neuer Bauart quergestellt wurden. Gerade in Lateinamerika fällt das besonders auf, denn die meisten Menschen haben alte, rostige, verbeulte Autos, wenn überhaupt. Die Boykottaktionen schädigen die Volkswirtschaft und beeinträchtigen die Lebensverhältnisse. McDonalds, einige Handelsketten und Einkaufszentren sind geschlossen. Zeitweilig gab es keine Milch, kein Bier, keine Cola. Das Benzin ist knapp; vor den Tankstellen an den Autobahnen bilden sich mehr als ein Kilometer lange Schlangen. Nach meinem Eindruck nervt der Streik die Menschen mehr und mehr; die Streikenden sehen, daß sie so nicht zum erhofften Erfolg kommen. Aufgeben wollen sie aber auch nicht, und darum greifen sie zu immer drastischeren Mitteln. Oppositionelle Gewerkschaften riefen zum Marsch auf den Präsidentenpalast und zur großen Schlacht auf, Radikale lieferten sich bewaffnete Auseinandersetzungen mit der Polizei; es gab Tote und Verletzte. Chávez verweist derweil auf die Möglichkeit, nach der Hälfte seiner zweiten Amtszeit, im August 2003, ein Referendum über die vorzeitige Beendigung der Regierungsperiode stattfinden zu lassen, wie es die Verfassung erlaubt. Die Opposition aber möchte nicht so lange warten. Offenbar fürchtet sie, bis dahin könnte sich die Lage Venezuelas wieder bessern. Gleich nach dem Amtsantritt des neuen brasilianischen Präsidenten Lula kam Unterstützung aus dem benachbarten Riesenreich im Süden. Ein erstes Schiff mit 550 000 Barrel Erdöl lief in Caracas ein, um die Sabotage zu durchbrechen; weitere Kooperation ist bereits vereinbart. Das gibt uns hier wieder Anlaß zur Hoffnung. Rechtzeitig zu Weihnachten hatte ich eine e-mail von der deutschen Botschaft erhalten, die uns empfahl, das Land zu verlassen, wenn wir hier nichts Wichtiges zu tun hätten; die Situation könne sich verschlechtern. Ich bin geblieben. Lothar Bergmann studiert Architektur. Er lebt seit einem halben Jahr in Caracas.
Erschienen in Ossietzky 1/2003 |
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