Lothar Kusche, Ein Buch ohne Verlag

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Ein Buch ohne Verlag

Über ein Päckchen ("0,833 kg Net Ge"), abgesandt am 18. November von der Verlagsgruppe Dornier (Berlin, Leipzig, Stuttgart), habe ich mich sehr gefreut, denn es enthielt den sorgfältig erarbeiteten, elegant und genau geschriebenen, mit unzähligen Fotos und faksimilierten Dokumenten illustrierten, in jeder Beziehung hochwertigen Band "Das Renaissance Theater. Von den Zwanzigerjahren bis heute. Biografie einer Berliner Bühne" von Steffi Recknagel (232 Seiten, 35 Euro). Dazu die höfliche Mitteilung: "Sie erhalten hiermit das von Ihnen gewünschte Rezensionsexemplar. Wir bedanken uns im Namen des Verlages für Ihr Interesse und freuen uns auf Ihre Rezension. Bitte vergessen Sie nicht, dem Verlag von Ihrer Besprechung zwei Belege zuzusenden." Und die Erläuterung, in der Verlagsgruppe Dornier seien Henschel Verlag, Kreuz Verlag, Theseus Verlag, Urania Verlag mit Ravensburger Ratgebern, E.A. Seemann Verlag, Edition Leipzig, Brandenburgisches Verlagshaus, Lüchow Verlag zusammengefaßt.

Die Autorin des feinen und intelligenten Theater-Albums ist mit dem Gegenstand ihrer Arbeit nicht nur theaterwissenschaftlich, sondern auch praktisch vertraut: Steffi Recknagel hat jahrelang als Dramaturgin am Renaissance-Theater gearbeitet. Sie kennt die Geschichte dieses Hauses und das Haus selber, seinen Zustand, seine Schönheit und seine Probleme. Wie Oskar Kaufmann, den sie einen "Theaterbaukünstler" nennt, mit dem Innenarchitekten und Bühnenbildner Cesar Klein und anderen ein schmuckes "Wohlfühltheater" an die Hardenbergstraße zauberte, beschreibt sie so suggestiv, daß man ahnt, wie schwer es sein mag, diesen Reiz zu erhalten (der Krisen und Krieg überlebte). Die Autorin erzählt viel über die vielen Künstler jedweden Genres und zeigt uns die Spuren, die sie im RT hinterlassen haben, und jene, welche das RT in ihre Charakterbilder prägte. Sehr lesenswert auch Werner Hechts Aufsatz "Die Entdeckung der Schauspielerin Helene Weigel". Als sie unter Theodor Taggers Leitung die Klara im Hebbels "Maria Magdalena" spielte (1925/26), war die Bühne so winzig wie heute.

Kurz nach meiner ersten Lektüre berichtete die Berliner Zeitung, daß der 144 Jahre alte berühmte deutsche Kunstverlag E.A. Seemann genau wie die Edition Leipzig von der sie "betreuenden" Verlagsgruppe Dornier stillgelegt worden sind. Gleichzeitig wird auch der traditionsreiche Henschel Verlag erwürgt, nachdem er uns das oben annoncierte Werk vermittelte. Alles ein Aufwaschen. Dukatenscheißer mit zeitweiliger Verstopfung werden ein für alle Mal kuriert. Mittels Euthanasie. "Außer Urania", meldete die Zeitung, "ist somit nichts mehr übrig von den Verlagen, die Silvius Dornier, Erbe einer Industriellenfamilie, nach der Wende in Ostdeutschland kaufte... Die Verlagsgruppe Dornier hat angekündigt, sie wolle sich auf ihre Kernkompetenzen zurückziehen: Buddhismus, Spiritualität, Ratgeber für existenzielle Fragen..." Früher hatten die Kriegsflugzeugbauer Dornier ganz andere Kernkompetenzen.

Bruno Henschel gründete 1945 einen unvergeßlichen Verlag, der u.a. Günther Weisenborn, Fritz Erpenbeck, Axel Eggebrecht, Peter Weiss, Stanislawski wie Brecht, Heiner Müller, Volker Braun, Christoph Hein und wichtige Theaterzeitschriften veröffentlichte. Nur Gautama Buddha wurde dort nicht gedruckt. Nun soll gar nichts mehr gedruckt werden. Das Theater möge es überleben.