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Bösartig zugespitzte, entlarvende Lektionen zur psychischen Befindlichkeit von Familie und Gesellschaft. Diese Einsprengsel werden musikalisch/akustisch aufgeheizt in den Zuschauerraum geschossen, schaffen Unruhe im Betrachter. Expressiv der Inszenierungsstil, dito die Schauspielkunst. Ein Tanz auf dem Vulkan findet statt, keine Note wird ausgelassen. Körpertheater in vollem Einsatz. Seele gekotzt, Clownsnummern in Faschingskostümen, Wahnsinn in Ekstase. Und die Schauspieler können das. Erst perfekt-perfide, dann berührend in seiner Wandlung Kay Bartholomäus Schulze als Krogstadt. Das hat Jack-Nicholson-Format. Jörg Hartmanns Helmer ist in schönster Unschuld der Prototyp des Vergewaltigers in der Ehe, meint jedoch, liebender Ehemann und Vater zu sein. Dieses von den herrschenden gesellschaftlichen Normen geprägte Klischee - Frau und Kinder haben für die PR des smarten Mannes da zu sein - benutzt er als ahnungsloser Überzeugungstäter. Ohne nachzudenken, schwimmt er im main stream. Zwangsläufig landet er tot im Aquarium. - Lars Eidinger spielt Dr. Rank. Aidskrank, verrücktes Huhn, liebenswert unmoralisch, führt er einen schaurigen Totentanz auf vor seinem Abgang, dem letzten. Gespenstisch. Großartig. - Nora hat mit gefälschter Unterschrift Geld aufgetrieben, ihrem Mann damit eine lebensnotwendige Kur im Süden ermöglicht. Wenn das der künftige Bankdirektor erfahren würde, wäre seine Karriere und damit die Existenz dieser Familie ruiniert. Das Schicksal nimmt seinen Lauf. Anne Tismer als Nora ist anfangs rührend, flatterhaft fröhlich, schwatzt nonstop, hält sich aufrecht an ihrem "Geheimnis", das sie eines fernen Tages lüften will, wenn "sie nicht mehr schön ist". Ihr Betrug wird aufgedeckt, Helmer entlarvt an dem Faktum sein wahres Wesen. Nora erschießt ihn. Nicht so bei Ibsen. Doch schon er mußte zu seiner Fassung eine weitere, versöhnlichere, für den Schluß liefern. Seither gab es viele Versuche, das Ende zu modifizieren und die Frage aufzuwerfen: Was nun? Nach ihrer Tat bricht Nora zusammen, ratlos. Ausweglos? Was wird in unserer Zeit aus einer wohlbehüteten Frau (drei Kinder, trautes Heim, Mittdreißigerin, vermutlich keine Berufsausbildung)? Mit dieser Frage entlassen Ostermeier und seine Compagnie uns in die Nacht. * Es macht wieder Lust, die Schaubühne zu besuchen. "Nora", auch "Feuergesicht" und nun "Das kalte Kind" von Marius von Mayenburg, Uraufführung unter der Regie von Luk Perceval (Antwerpen): politisches, sinnliches Theater in hoher Kunstfertigkeit. Das Ensemble (Bruno Cathomas, Cristin König, Thomas Bading, Ronald Kukulies, Robert Beyer, Christina Geiße, Stephanie Eidt, Katharina Schüttler) arbeitet professionell. Permanenter Spitzentanz sozusagen. Ein Spiegelkabinett, Irrgarten, Sichtblenden wie in Pinkelbuden irgendwo im freien Raum. Schwarz-Silber das karge Dekor, Schwarz-Weiß gekleidet die Darsteller/innen (Bühne/Kostüm: Annette Kurz und Ilse Vandenbussche). Rhythmische Geräusche entwickeln sich zu Clubmusik, die Darsteller beginnen zu tanzen, zucken und stampfen. Break. Stille. Heftiges Atmen erfüllt den Zuschauerraum. Wirklichkeit ist nicht ausgeführt auf der Bühne, sie wird behauptet. In der Ausstattung wie im Spiel. Mit großem Stilwillen hat Luk Perceval eine Art antiken Chorus als Erzählform für Mayenburgs poetischen, gnadenlosen Text gewählt. Wie in "Aars", der Orestie-Trilogie (2001 als Gastspiel in der Schaubühne), verfremdet Perceval auch hier, um den Inhalt kunstvoll deutlich zu machen. In Mayenburgs "Haarmann", in "Feuergesicht" oder "Parasiten" - immer geht es um den Sinn des Lebens, die Hoffnungslosigkeit des Menschen, ihn entdecken zu können. Mayenburgs theatralische Wirkung ist mit darin begründet, daß seine Tragödien komisch sind. Er macht, daß wir uns schütteln zwischen Lachen und Weinen. Und macht uns Gänsehaut. "Das kalte Kind" zittert und friert im Wagen während seine Eltern tanzen, die Mutter vom Ficken redet (hervorragend Cristin König) und irgendwann sagt: "Ich weiß nicht einmal mehr den Namen von meinem Kind." Entfremdung steht groß im Raum, Kälte breitet sich aus im Betrachter. Gewalt gegeneinander verknüpft die acht Figuren miteinander. Vernichtende verbale Attacken. Witzig, aasig, ohne Erbarmen zynisch jagt, hetzt, kratzt und beißt man den Mit-Menschen, den Liebsten, das Liebste. Große Schauspielkunst, eine sensible, genaue Inszenierung. Irgendwann entkleiden sich die Akteure. Ihre Nacktheit heißt Ausgeliefertsein, Verletzlichkeit. Riesige Spiegel vervielfältigen das Geschehen und uns, das Publikum. Unser Voyeurismus zeigt die eigene Verlorenheit. Die Paare springen in den Abgrund Ehe, tauchen wieder auf mit verbundenen Augen, tappen im Dunkeln durchs Leben. Aussichtslos. Ein Metzeln hebt an, ein Mehrfachmorden - denn einfach kriegt man einander nicht tot. Danach werden schmatzend Küsse ausgetauscht, als wär's ein Partyspiel gewesen. Eine Figur sagt: "Ich kann nicht mehr lächeln." Der Zuschauer am Ende auch nicht. Die Frage bleibt: Was tun?
Erschienen in Ossietzky 25/2002 |
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