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Da er aber sowieso schon lange verheiratet war und überall in der Welt Kriege geschahen, auch wenn er sie ablehnte, beschloß er, ein Haus zu bauen, und zwar im Taunus, wo er am höchsten ist und Fuchs und Wildsau sich gute Nacht sagen. Mitten im Wald saßen sie dann, diese lebenslangen Großstädter, die Natur genießend, die himmlische Ruhe preisend. Natürlich fuhren sie Auto, Frau wie Mann, jeder für sich, denn öffentliche Verkehrsmittel waren rar bis nicht vorhanden. Ein außergewöhnlicher Hund sowie zwei Schnurrkatzen komplettierten die Familie, in deren Umkreis Rehe, Eichhörnchen, Hirsche und Hasen wohnten, wie Mutter Natur es anordnete. Der kleine Schriftsteller lobte oft und gern sein Haus in der Waldesruhe, auch als das Nachbargrundstück zur Linken endlich bebaut wurde, zuvor war es gar zu einsam gewesen; und als im Tal hinterm Haus mehr und mehr Bäume verschwanden, ließ ihn das kalt, hatten sie beide in ihrem Garten in weiser Voraussicht doch allerhand Nadelgewächse eigenhändig angepflanzt. Rechts von seinem Anwesen blieb der Laubwald sicher und fest stehen, denn der Hang stieg zu steil an fürs Häuserbauen. So dachte er und dachte alle Welt, bis der Wald stracks geschlagen und gerodet und dafür eine Doppelreihe Bungalows dicht an dicht hingequetscht wurde. Dort zogen freundliche Nachbarn aus aller Herren Länder ein, so daß Reh und Hirsch samt Hase und Wildschwein in den letzten dichteren Forst emigrierten. Ja, unsere Welt ist voller Flüchtlinge. Die heilige Familie mitten in Gebirg und Wald war vom Ort eingeholt und umzingelt worden. Wir verstädtern, klagte der Autor, einst aus den steinernen Metropolen ins schöne einsame Abseits geflüchtet. Indessen war er zum Fünfundsiebziger aufgewachsen, was ihn nun doch mit leiser Unruhe erfüllte, zumal ihm die Frau im Jahrzehntabstand folgte, dabei hatten sie doch immer geglaubt, die Alten, das seien die anderen. Sei's drum, dem Glücklichen schlägt keine Stunde, erklärte der kleine Schriftsteller, der inzwischen nur noch selten schrieb, denn die Welt, die es zu verändern, d.h. zu verbessern galt, verschlechterte sich von Tag zu Tag, was der Mann als persönliche Beleidigung verstand, weshalb er seine vielen klugen Ratschläge lieber bei sich behielt. Es hatten inzwischen auch unzählige Kriege stattgefunden, unbekümmert um alle Proteste und Demos. Sie wollen halt schießen und bomben, äußerte der resignierte Dichter, und die Jets donnerten knapp übers Dach, zumindest bei Westwind. Der Flugverkehr war europaweit neu geordnet worden, einige Linien von landenden und startenden Maschinen beschenkten den Naturpark Hochtaunus mit Lärm und Abgasen, bei Ostwind aber herrschten noch immer Stille und Höhenluft, als wäre die Zeit stehengeblieben. Bis auf die Autos, die nun vermehrt vorbeifahren, der vielen Neuzuzügler wegen, und bis auf die Motor-Rasenmäher, die brummen und knattern. Die stolzen Besitzer neuer Häuser haben jahrelang zu tun mit Hämmern, Sägen, Bohren und Feiern. Inzwischen ist der Taunus noch moderner geworden. In den ehemals idyllischen Dörfern baut man keine einzelnen Häuser mehr, sondern errichtet Siedlungskomplexe mit eng aneinander gerückten Doppelspännern, damit sich die Leute nicht etwa fürchten. Von Gebäude zu Gebäude können sie sich die Hand reichen, ohne aus der Tür treten zu müssen. Das stärkt den Gemeinsinn. Wo vorher Wald und Wiese waren, schwenken Kräne, durchfurchen Lastwagen den Boden, reißen Bagger den Asphalt auf, mehr Menschen benötigen natürlich mehr Versorgungsleitungen, kilometerlange Rohre sind zu verlegen. Straßen und Wege versinken in sibirischen Zuständen, täglich testen so die Anwohner, was die Achsen ihrer Wagen auszuhalten vermögen. Die Autohändler ringsum lachen sich ins Fäustchen, da ist bald die eine oder andere Neuanschaffung fällig. Von zehn Bauarbeitern spricht einer deutsch, fünf sind fleißige junge Polen, und vier stammen aus Jugoslawien, das es nicht mehr gibt. Ansonst herrscht Krise, die eingeborenen Maurer und Zimmerleute gründen, weil zu teuer und nicht konkurrenzfähig mit den gigantischen Wohnungsbau-Gesellschaften, flotte Ich-AGs. Die Eichhörnchen, Wildschweine und Hasen sind beleidigt abgezogen, denn über den unendlichen Baustellen donnern immer mehr Militärtransporter und Jumbos dahin, bei Westwind jedenfalls, bei Ostwind kreischen nur die Kreissägen, Dachstühle werden Schlag auf Schlag zusammengehämmert, Betonmischmaschinen rumpeln, und dann muß die Straße nochmal aufgerissen werden, eine Leitung hatte man vergessen. Der einst aus der Stadt geflüchtete kleine Schriftsteller, inzwischen zum Rentner verwittert, wünscht sich zu Weihnachten einen Hubschrauber, weil er auf dem Landweg sein Haus nicht mehr erreichen kann. Damit der Lärmpegel nicht noch mehr steigt, müßte es ein Segelhubschrauber sein. Vielleicht aber kaufen sich die Frau und der Mann demnächst zwei Pferde, die sind leise und schnauben höchstens hin und wieder. Die Tochter, seit Jahren in Berlin lebend, besucht die Eltern im Taunus nicht mehr. Es ist ihr zu laut geworden, sie findet nachts keine Ruhe. Die Frau fuhr auf Besuch zur Tochter. Als sie zurückkam, sagte sie: "Dort kann man die ganze Nacht ungestört durchschlafen. Laß uns umziehen nach Berlin." Der Mann hörte ihre Worte, als wären es Schicksalsschläge. Die Tochter wohnt, nebenbei bemerkt, am Kurfürstendamm.
Erschienen in Ossietzky 25/2002 |
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